Die Dämonen. Fjodor Dostojewski
das heißt, um einfach irgend etwas aus mir herauszuholen und mich dann meiner Wege zu schicken ... So steht es.«
»Schämen Sie sich!« rief ich, nicht imstande, mich zu beherrschen.
»Mein Freund, ich stehe jetzt vollständig allein da. Enfin c'est ridicule. Denken Sie nur: auch dort ist alles mit Geheimnissen vollgepfropft. Sie stürzten auf mich los und verlangten Auskunft über diese Nasen-und Ohrengeschichten und über einige Petersburger Geheimnisse. Sie hatten beide erst hier zum erstenmal von den Tollheiten gehört, die Nikolai hier vor vier Jahren angegeben hat; ›Sie sind ja hier gewesen; Sie haben es miterlebt,‹ sagten sie; ›ist es wahr, daß er verrückt ist?‹ Und wie sie auf diese Idee gekommen sind, das ist mir unbegreiflich. Warum will Praskowja durchaus, daß Nikolai sich als Verrückter herausstellt? Und das will dieses Weib, das will sie! Ce Maurice oder, wie sie ihn nennen, Mawriki Nikolajewitsch, ist ein brave homme tout de même; aber sollte sie das wirklich in seinem Interesse wünschen, und nachdem sie selbst zuerst aus Paris an cette pauvre amie jenen Brief geschrieben hat? ... Enfin, diese Praskowja, wie sie von cette chère amie genannt wird, ist ein Typus; sie ist Gogols Frau Korobotschka, und zwar in außerordentlich vergrößertem Maßstabe.«
»Nun, wenn sie es in vergrößertem Maßstabe ist, dann kommt wohl eine gehörige Schachtel heraus?«
»Na oder in verkleinertem Maßstabe; das ist ganz gleichgültig; unterbrechen Sie mich nur nicht; mir ist der Kopf sowieso schon ganz wirbelig. Dort haben sich die Weiber vollständig verzankt; außer Lisa, die immer noch ›Tantchen, Tantchen‹ sagt; aber Lisa ist schlau, und da steckt noch etwas anderes dahinter. Geheimnisse. Aber mit der Alten hat es einen großen Zank gegeben. Cette pauvre Tante tyrannisiert allerdings alle schrecklich. Aber da ist nun die Frau Gouverneur, und die Respektlosigkeit der Gesellschaft, und die Respektlosigkeit Karmasinows; und dazu nun noch auf einmal die Idee, Nikolai sei vielleicht geistesgestört, und ce Lipoutine, ce que je ne comprends pas ... und es heißt, sie habe sich Essigumschläge um den Kopf gemacht, und dann noch Sie und ich mit unseren Klagen und mit unseren Briefen ... Oh, wie habe ich sie gequält, gerade in einer solchen Zeit! Je suis un ingrat! Denken Sie sich: ich komme zurück und finde einen Brief von ihr vor; lesen Sie ihn, lesen Sie ihn! Oh, wie undankbar habe ich mich benommen!«
Er gab mir den Brief, den er soeben von Warwara Petrowna erhalten hatte. Sie schien ihre schroffe Anweisung vom Vormittage: »Halten Sie sich zu Hause!« zu bereuen. Das Briefchen war höflich, aber doch entschieden und wortkarg. Sie ersuchte Stepan Trofimowitsch, übermorgen, am Sonntage, pünktlich um zwölf Uhr zu ihr zu kommen, und riet ihm, einen seiner Freunde (in Klammern stand meine Name) mitzubringen. Sie versprach, ihrerseits Schatow, als Darja Pawlownas Bruder, hinzuzuziehen. »Sie können von ihr eine endgültige Antwort erhalten; wird Ihnen das genügen? Legen Sie auf diese Formalität solchen Wert?«
»Beachten Sie am Schlusse diese gereizte Redewendung von der Formalität! Arme, arme Freundin meines ganzen Lebens! Ich bekenne, diese plötzliche Entscheidung, die das Schicksal trifft, hat mich niedergedrückt ... Ich bekenne, ich hoffte immer noch; aber jetzt tout est dit; ich weiß jetzt, daß alles zu Ende ist; c'est terrible. O wenn es doch diesen Sonntag gar nicht gäbe, sondern alles wie früher wäre: Sie würden zu mir kommen, und ich würde hier ...«
»Sie haben sich durch all die Gemeinheiten und Klatschereien, die Liputin heute vorgebracht hat, ganz aus dem ruhigen Geleise bringen lassen.«
»Mein Freund, Sie haben soeben mit Ihrem Freundesfinger einen andern wunden Punkt berührt. Diese Freundesfinger sind überhaupt erbarmungslos und manchmal unvernünftig, pardon; aber (werden Sie es glauben?) ich hatte dies alles, diese Gemeinheiten beinah vergessen, das heißt vergessen hatte ich sie durchaus nicht; aber die ganze Zeit über, während ich bei Lisa war, bemühte ich mich in meiner Dummheit, glücklich zu sein, und redete mir ein, daß ich glücklich sei. Aber jetzt ... o jetzt denke ich an diese großmütige, humane, gegen meine häßlichen Mängel so nachsichtige Frau; das heißt, sie ist nicht durchweg nachsichtig gewesen, aber was bin ich auch für ein Mensch mit meinem schwächlichen, häßlichen Charakter! Ich bin ja ein eigensinniges Kind und besitze den ganzen Egoismus eines Kindes, aber ohne dessen Unschuld. Sie hat mich zwanzig Jahre lang wie eine Kinderwärterin gepflegt, dieses arme ›Tantchen‹, wie Lisa sie so anmutig nennt ... Und auf einmal, nach zwanzig Jahren, will das Kind sich verheiraten, ›verheirate mich, verheirate mich!‹ sagt es und schreibt Brief auf Brief, und sie hat sich Essigumschläge gemacht, und ... und da hat es nun am nächsten Sonntag erreicht, was es wollte, und ist ein verheirateter Mann; es klingt komisch! ... Und warum habe ich denn selbst darauf bestanden und die Briefe geschrieben? Ja, das hatte ich noch vergessen zu sagen: Lisa ist entzückt von Darja Pawlowna; wenigstens sagt sie es; sie sagt von ihr: ›C'est un ange; sie versteckt es nur etwas.‹ Beide haben sie mir dazu geraten, sogar Praskowja ... übrigens hat mir Praskowja nicht dazu geraten. Oh, wieviel Gift liegt in dieser Frau Korobotschka verborgen! Und auch Lisa hat mir eigentlich nicht dazu geraten: ›Wozu wollen Sie eine Frau nehmen,‹ sagte sie; ›Sie haben doch an den gelehrten Genüssen genug.‹ Dazu lachte sie. Ich habe ihr ihr Lachen verziehen, weil ihr selbst nicht wohl ums Herz ist. Aber sie sagten beide: ›Ohne Frau können Sie nicht zurechtkommen. Die Jahre der Altersschwäche rücken bei Ihnen heran; da wird dann die Frau Sie betreuen‹, oder wie sie da sagten ... Ma foi, ich habe auch selbst in dieser ganzen Zeit, während ich hier mit Ihnen zusammensaß, bei mir gedacht, daß wohl die Vorsehung selbst sie mir beim Ausgange meiner stürmische Tage sendet, und daß sie mich betreuen wird, oder wie sie da sagten ... Enfin, sie ist in meiner Wirtschaft notwendig. Was herrscht bei mir für eine Unsauberkeit! Und sehen Sie nur: alles liegt herum; vorhin habe ich befohlen aufzuräumen, und nun liegt noch ein Buch auf der Erde! La pauvre amie hat sich immer darüber geärgert, daß es bei mir so unreinlich aussieht ... Oh, jetzt wird ihre Stimme hier nicht mehr ertönen! Vingt ans! Und sie haben, wie es scheint, anonyme Briefe erhalten, in denen steht, denken Sie nur, Nikolai habe sein Gut an Lebjadkin verkauft. C'est un monstre: et enfin, was für ein Mensch ist dieser Lebjadkin? Lisa hörte mit gespannter Aufmerksamkeit zu; nein, wie sie zuhörte! Ich habe ihr ihr Lachen verziehen; ich sah, mit was für einem Gesichte sie zuhörte, und ce Maurice ... ich möchte jetzt nicht an seiner Stelle sein, brave homme tout de même, aber etwas blöde; übrigens wünsche ich ihm alles Gute ...«
Er schwieg; er war müde und konfus, saß mit gesenktem Kopfe da und blickte mit matten Augen starr auf den Fußboden. Ich benutzte diese Pause und erzählte von meinem Besuche im Filippowschen Hause, wobei ich in scharfem, trockenem Tone meine Meinung dahin aussprach, daß Lebjadkins Schwester (die ich nicht gesehen hatte) tatsächlich einmal Nikolais Opfer geworden sein könne, in jener rätselhaften Periode seines Lebens, wie sich Liputin ausgedrückt hatte, und daß es sehr möglich sei, daß Lebjadkin aus irgendwelchem Grunde von Nikolai Geld empfange; das sei aber auch alles. Was die Klatschereien über Darja Pawlowna anlange, so sei das alles nur dummes Zeug, Verdrehungen des Schurken Liputin; wenigstens versichere das Alexei Nilowitsch mit großer Wärme, und es sei kein Grund vorhanden, diesem zu mißtrauen. Stepan Trofimowitsch hörte meinte Versicherungen mit zerstreuter Miene an, wie wenn ihn die Sache gar nichts anginge. Ich erwähnte bei dieser Gelegenheit auch mein Gespräch mit Kirillow und fügte hinzu, Kirillow sei vielleicht geistesgestört.
»Er ist nicht geistesgestört; aber er gehört zu den Menschen mit beschränktem Gesichtskreise,« murmelte er matt und anscheinend nur mit Überwindung. »Ces gens-là supposent la nature et la société humaine autres que Dieu ne les a faites et qu'elles ne sont réellement. Manche scherzen mit diesen Leuten; aber Stepan Werchowenski tut das jedenfalls nicht. Ich habe sie damals in Petersburg gesehen, avec cette chère amie (oh, wie habe ich diese Freundin damals gekränkt!), und habe mich nicht nur ihren Schimpfreden, sondern auch ihren Lobsprüchen gegenüber furchtlos bewiesen. Ich fürchte sie auch jetzt nicht; mais parlons d'autre chose ... ich habe, wie es scheint, schreckliche Dinge angerichtet; denken Sie sich: ich habe gestern einen Brief an Darja Pawlowna abgeschickt, und ... wie verwünsche ich mich nun deswegen!«
»Was haben Sie ihr denn geschrieben?«
»O mein Freund, Sie können mir glauben: es war alles ein Ausfluß edler Gesinnung. Ich teilte ihr mit, daß ich schon fünf Tage vorher an Nikolai geschrieben hätte, und zwar in demselben Sinne.«
»Jetzt