Pussycat. Peter Splitt

Pussycat - Peter Splitt


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häuslich ein. Das war nicht weiter schwer, denn ich hatte ja kaum etwas mitgebracht. Trotzdem versuchte ich, es mir irgendwie gemütlich zu machen. Tagsüber ging ich meinem Job als Serviererin nach. Ich nahm meine Aufgabe sehr ernst. Am Anfang war ich noch unbeholfen, aber lernwillig. Und ich lernte schnell. Meine Chefin, Frau Obermayr, zeigte mir sämtliche Kniffe, die Frau brauchte, um den meist männlichen Gästen ein gutes Trinkgeld zu entlocken. Dabei kam mir mein angeborener Charme zugute, und nach ein paar Tagen ging mir die Arbeit wie von selbst von der Hand. Fast kam es mir so vor, als hätte ich in meinem noch so jungen Leben nie etwas anderes getan als Servieren. Neben Frau Obermayr arbeitete auch eine junge Auszubildende in dem Café. Sie hieß Sabine, war siebzehn, nur unwesentlich jünger als ich. Wir schlossen schnell Freundschaft. Sabine stammte aus München und wusste immer, wo etwas los war. So arbeitete ich mich immer mehr in die westdeutsche Mentalität ein. Das war beileibe nicht so schwer, denn der westdeutsche Kleinbürger liebte Geld, Fußball und Autos. Darauf ließ sich aufbauen …

      War ich einmal nicht mit Sabine unterwegs, fing ich an, all das zu fotografieren, von dem ich glaubte, es könnte die Sowjets interessieren. Ich unternahm Ausflüge zu Kasernen und fotografierte militärische Einrichtungen, wann immer ich in ihre Nähe kam. Des Weiteren interessierte ich mich für industrielle Anlagen und Güter. Aus diesem Grund schloss ich mich sogar einer Gruppe ausländischer Investoren an, die verschiedene Betriebe besuchte. Nach zwei Wochen hatte ich meinen ersten Film voll. Mit einem gehörigen Gefühl von Stolz steckte ich die Filmrolle in den toten Briefkasten, den man mir zugewiesen hatte. Ich fühlte mich gut. Das war eine Tätigkeit genau nach meinem Geschmack. In der Zwischenzeit ließ mich Frau Obermayr sogar die Kasse machen. Ich hatte ihr Vertrauen gewonnen, erledigte meinen Job zu ihrer vollsten Zufriedenheit. Doch dann kam die bedenkliche Nachricht von meinem Führungsoffizier Ogoneck. Ich wurde zu einer Aktivität gebeten, bei der meine körperlichen Reize gefragt waren. Demzufolge hatte das KGB Akten über potenzielle männliche Opfer angelegt, die lange observiert worden waren und neben beruflichen und privaten Informationen auch deren bevorzugte sexuelle Praktiken enthielten. Es war im September 1977, als man mich in das Haus eines einflussreichen Industriellen schickte, wo an einem ganz bestimmten Tag eine ganz bestimmte Party stattfinden sollte.

      Woanders in Deutschland erreichte der Linksterrorismus seinen Höhepunkt. Am 5. September 1977 wurde der Präsident des Bundesverbandes der Arbeitgeber, Hanns Martin Schleyer, in Köln entführt. Die vier Begleiter Schleyers wurden erschossen.

      „Leopoldstraße“, verkündete der Taxifahrer mit schlaftrunkener Stimme. „Wir sind gleich in Schwabing.“

      Ich öffnete meine Handtasche, nahm einen kleinen Taschenspiegel hervor und überprüfte mein Make-up. Alles war perfekt. Also legte ich den Spiegel zurück und zog stattdessen eine Maske heraus, die ich mir extra für diesen Abend zugelegt hatte. Keine zwei Minuten später waren wir am Ziel. Das Taxi hielt an einer Straßenecke. Ich bedankte mich bei meinem Chauffeur, bezahlte und stieg aus. Da war ich nun. Wie würde es jetzt weitergehen? Mit gemischten Gefühlen näherte ich mich dem Haus mit der Nummer 22 und betrachtete das Gebäude. Von außen wirkte es schlicht und einfach. Anscheinend wollte der Eigentümer kein großes Aufsehen erregen. Jetzt stand ich vor der Eingangstür und versuchte, meine Nervosität in den Griff zu bekommen. Dann betätigte ich die Klingel. Im Hintergrund ertönte ein tiefer Gong. Oberhalb der Tür bewegte sich eine Kamera. Während ich so dastand und wartete, erinnerte ich mich an das, was mir Anika beigebracht hatte. Das Opfer in ein Gespräch verwickeln, dem Mann schöne Augen machen und bereit sein, den eigenen Körper für den Erhalt wichtiger Informationen einzusetzen. Jemand betätigte die Sprechanlage.

      „Das Kennwort, bitte“, sagte eine monotone Stimme.

      „Adel verpflichtet.“

      Die Tür öffnete sich, ich betrat das Haus und staunte. Das Innenleben war ganz anders, als man es aufgrund der äußeren Fassade erwarten durfte. Anscheinend hatte der Eigentümer die Ausstattung seinen extravaganten Wünschen angepasst. Allein die Ausmaße des Salons verschlugen jedem Besucher die Sprache. Mit mehr als hundert Quadratmeter Größe übertraf er alles, was die meisten bisher gesehen hatten. Eine exklusive Auswahl an Antiquitäten und teuren Teppichen auf blitzblank geputzten Marmorböden vermittelten den Eindruck von Wohlstand und Vermögen. Ich fühlte mich zunehmend wohler. Meine Nervosität war wie weggeblasen.

      „Na, was haben wir denn da für ein hübsches Kätzchen?“ Es war eine angenehm männliche Stimme, die mich begrüßte.

      Ich drehte mich um und blickte in das Gesicht eines Dobermanns. Es war natürlich eine Maske, sie gehörte zu meinem Gastgeber. Und sogleich stach mich der Hafer. Zum Dank für das Kompliment machte ich brav einen Knicks, wobei ich gleichzeitig meinen Mantel öffnete und kokett lächelte. „Ich hoffe, dieses hier wird Ihnen noch besser gefallen.“

      Mein Gastgeber pfiff durch die Zähne und half mir aus dem Mantel. Darunter trug ich einen schwarzen hautengen Hosenanzug und rote Pumps mit hohen Keilabsätzen. Mein Gesicht hielt ich hinter einer Katzenmaske versteckt.

      Meinem Gastgeber schien zu gefallen, was er sah. Er ließ ein weiteres Kompliment folgen. „Freut mich sehr, dass Sie kommen konnten. Sie sehen hinreißend aus.“

      Er nahm mich bei der Hand und zog mich mit sich. Ich schaute mir alles genau an. Die Party war bereits voll im Gange. Die Gäste tanzten, tranken und flirteten, was das Zeug hielt. Ich sah, wie sich die ersten Pärchen bildeten. Auf einem Sofa verführten zwei Herren, maskiert als Helmut Schmidt und Franz Josef Strauß, eine Dame mit einer Maske von Margaret Thatcher. Ein Typ mit einer Ayatollah Khomeni-Maske filmte die ganze Aktion. Hinter dem Salon befand sich der berühmte Springbrunnen. Davon hatte ich bereits gehört, wusste sogar, was er beinhaltete – Fruchtbowle mit Zusätzen.

      Ich hielt es für besser, bei Mineralwasser zu bleiben, denn ich wollte wissen, was ich tat, während ich über die frivole Menge staunte, die sich zusammengefunden hatte, um eine ausschweifende Party zu feiern. Ich spazierte weiter durch das Haus.

      Hoffentlich ging das gut für mich aus.

      Mein Gastgeber hatte überall Bildschirme aufgestellt, auf denen schmutzige Filme liefen, selbst draußen auf der Terrasse. Und wie selbstverständlich wurde der Fruchtbowlen-Springbrunnen häufig frequentiert. Ich schaute mich weiter um. Die meisten der Gäste standen bereits unter Alkoholeinfluss. Um eine gewisse Anonymität zu bewahren, trugen sie Masken. Dahinter konnte man sich so wunderschön verstecken, wenn man die Sau rauslassen wollte. Ich machte mir einen Spaß daraus, das Verhalten der Partygäste zu beobachten. Manch einer befand sich bereits im fortgeschrittenen Stadium. Ein Individuum mit einer Piratenmaske starrte mich an. Als ich in ein anderes Zimmer ging, schlich er mir nach und trat genau in dem Moment aus einer Ecke hervor, an der ich vorbeigehen musste. Er stand ganz plötzlich vor mir, als ich mich umdrehte. Durch die Augenschlitze der Maske konnte ich seine Augen sehen – hellblau und eiskalt. Wie grausig! Ich fröstelte. Schnell drehte ich mich um, hielt Ausschau nach jemandem, mit dem ich mich unterhalten konnte, aber da war niemand, der so war, wie ich es mochte – charmant und witzig.

      Gegen 23:00 Uhr war ich die Einzige, die noch ohne fremde Hilfe aufrecht stehen konnte. Alle anderen hatten kräftig einen sitzen. Ein Mann mit einer Affenmaske lag tief schnarchend unter einem antiken Holztisch. Seine Hose war verschwunden, dafür hatte jemand sein bestes Stück rot angemalt. Ich musste grinsen, als ich sein kümmerliches Geschlechtsteil sah.

      Die meisten der kostbaren Möbelstücke waren beiseitegeschoben worden. Überall standen halb volle Gläser und Becher mit Fruchtbowle herum. Reste von Gebäck und Lachsschnittchen schmückten sich mit Konfetti und Luftschlangen. In den Salatschüsseln schwamm alles Mögliche, nur kein Salat. Es sah aus wie flüssige Pizza. Ich hielt Ausschau nach meinem Gastgeber – ohne Erfolg. Anscheinend wollte er sich nicht finden lassen. Weitere geeignete Kandidaten gab es nicht. Entweder waren die Typen betrunken und vulgär, oder aber bereits besetzt.

      Auch gut. So, wie die Dinge jetzt lagen, würde es heute wohl nichts werden mit Informationen.

      Ich fand, dass der richtige Zeitpunkt gekommen war, um mich unbeobachtet aus dem Haus zu schleichen. Ich sah die beiden schmalen Türen, die dicht nebeneinanderlagen und von denen eine hinaus auf die Terrasse führen musste. Ich tat genau zwei Schritte auf sie zu,


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