Pussycat. Peter Splitt

Pussycat - Peter Splitt


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Juri!“

      „Dann kann ich sie also auch für richtige Aufgaben einsetzen?“

      „Aber sicher! Sie hat den Test mit Bravour bestanden! Die kannst du überall einsetzen, glaub’s mir.“

      „Das höre ich wirklich gern, Sergej. Mir hat sie auch direkt gefallen. Sie ist ein Glücksfall für uns. Jemanden wie sie bekommen wir nicht alle Tage.“

      „Da ist was Wahres dran. Übrigens ist sie bei den anderen Besuchern meiner kleinen Party auch gut angekommen. Weil sie nicht prüde ist, sich aber eine gewisse Naivität bewahrt hat.“

      „Nun, sie ist ja auch noch sehr jung.“

      „Wie alt ist sie denn?“

      „Neunzehn.“

      „Oh, da habe ich sie ein wenig älter eingeschätzt. Vielleicht lag es an der Maske, oder am Make-up. Ihr Gesicht habe ich allerdings erst so richtig beim Sex gesehen.“

      „Du alter Lüstling!“

      „Ha, ha, ha … du wärst wohl selbst gern an meiner Stelle gewesen, was?“

      „Kein Kommentar, Sergej.“

      „Na ja, sie ist halt ein Klasse-Mädchen und ich freue mich, dass ich euch zu Diensten sein konnte. Immer wieder gern!“

      „Ha, von wegen! Beim nächsten Mal schicke ich dir unsere gute, alte Anika vorbei.“

      „O bitte nein, bloß das nicht!“

      „Ist ja schon gut, du Schlawiner. Ich bedanke mich für deine Auskunft.“

      „Nichts zu danken, Juri. Wie gesagt, ein Mädchen wie Larissa kannst du mir jederzeit vorbeischicken.“

      „Lustmolch! Habe ich das nicht bereits gesagt?“

      „So etwas Ähnliches, Juri. Mach es gut.“

      „Do svidaniya.“

      Alles war perfekt gelaufen. Die eigentliche Arbeit konnte beginnen.

      *

      Von dem Geld, das ich als Serviererin bekam, kaufte ich mir ein Kofferradio. Damit konnte ich die verschlüsselten Nachrichten der Russen bequem von meinem kleinen Dachzimmer aus über Kurzwelle empfangen.

      „77203 – Achtung 77538 – Achtung 76326, 80348 …“, lauteten die Codes, die sie mir schickten und die ich entschlüsseln musste.

      Dazu bediente ich mich einer bestimmten Tabelle mit Symbolen, die mir der Genosse Ogoneck mitgegeben hatte. Zugegeben, am Anfang kam mir das Gewühl aus Buchstaben und Zahlen noch reichlich verwirrt vor, aber mit der Zeit bekam ich den Dreh raus. Es war alles reine Übungssache, mehr nicht.

      Am 13. Oktober 1977 wurde die Lufthansamaschine „Landshut“ entführt. Ein Kommando der mit der RAF kooperierenden palästinensischen Volksfront zur Befreiung Palästinas zwang das Flugzeug mit siebenundachtzig Menschen an Bord zum Flug nach Mogadischu in Somalia, um den Druck auf die Bundesregierung zu verstärken. Die Geiselnahme wurde am 18. Oktober 1977 gegen Mitternacht durch die GSG 9 der Bundespolizei gewaltsam beendet. Sechsundachtzig Geiseln wurden bei dieser Aktion befreit, und drei der vier Terroristen erschossen. Flugkapitän Jürgen Schumann war zuvor bei einem Zwischenstopp vom Anführer der Terrorgruppe erschossen worden. Wenige Stunden nach der Befreiung der Geiseln beging die inhaftierte RAF-Spitze kollektiven Selbstmord. Hanns Martin Schleyer wurde noch am 18. Oktober 1977 erschossen, als seine Entführer vom Tod der RAF-Häftlinge erfuhren. Seine Leiche wurde am 19. Oktober 1977 im französischen Mühlhausen aufgefunden.

      In dieser turbulenten Zeit vergingen die Tage und Wochen wie im Flug. Der Winter kam, und ich versuchte, mein halbwegs normales Leben weiterzuführen. Ich schmückte die kleine Dachkammer von Frau Obermayr gemäß den festlichen Anlässen, stellte Kerzen und Weihnachtssachen auf. Außerdem hatte ich mir einen Adventskalender mit Schokoladenfüllung, einen einfachen Adventskranz mit Tannenzapfen und einen winzigen Weihnachtsbaum besorgt. Kleinbürgerlicher ging es schon bald nicht mehr. Tagsüber ging ich zum Servieren ins Café, abends traf ich mich mit Sabine. Sie kannte den neusten Tratsch und die Lokale, die gerade trendy waren. So erhielten die Sowjets gezielte Informationen direkt aus der Schickeria. Ich gab ihnen durch, wer sich wann und wo mit wem traf, und sie fügten diese Hinweise ihren Akten bei. Spuckten die dann ein neues potenzielles Opfer aus, war ich zur Stelle und stellte den Kontakt her. Dabei hielt ich mich stets an die Vorgaben, die ich von Anika bekommen hatte. Natürlich ging ich nicht gleich mit jedem Mann ins Bett. Zunächst ging es nur um die Kontaktaufnahme. Ich traf mich mit den Männern, verwickelte sie in unzählige Gespräche, versuchte, etwas herauszufinden, was meine Auftraggeber interessieren konnte. Ich ging ins Theater, ins Kino, in Bars, in Konzerte, in die Oper, zum Fußball und auf Messen. Ich war jung, liebte das Leben, genoss es in Saus und Braus. Die Männer waren großzügig und nett. Für mich war es eine Zeit voller neuer Eindrücke und Ideen. Ich war nicht prüde. Wenn mir ein Mann gefiel, dann nahm ich ihn mir. Danach bekam Oberst Kurganow seine Informationen und bedankte sich auf seine Weise – mit Geld und Geschenken.

      Mit der Zeit spürte ich, wie langsam eine unheimliche Veränderung in mir vorging. Ich begann bei meinen heimlichen amourösen Abenteuern eine nie gekannte Lust zu empfindlich. Eine Lust, die sich im gleichen Verhältnis steigerte, in dem meine Angst abnahm. Wie eine Kartenleserin verließ ich mich auf die Zeichen, Symbole und körperlichen Reaktionen der Männer, mit denen ich zusammenkam. Mit einem einfachen, leichten Griff öffnete ich ihre Hosen, führte ihre Hände an meine Scham, ergötzte mich an ihrer Wollust, wenn sie mich berührten und spürten, dass ich vollkommen nackt unter meiner Kleidung war. Von meiner Blöße waren sie überrascht und angetan zugleich. Ich vermochte ihr Geschlechtsteil zu kontrollieren wie ein Formel-Eins-Fahrer seinen Rennwagen. Der männliche Phallus wurde zu meinem Spezialgebiet. Jedermanns Phallus, denn die meisten Männer, mit denen ich zusammen war, kannte ich nicht wirklich. Ich kannte nur das, was ich in meinen Händen hielt, kannte es besser als meinen eigenen Körper. Unter meinen weichen Händen wurden die Männer gefügig und erzählten mir ihre Geheimnisse.

      „Die machen, was du willst, wenn du weißt, was sie wollen“, hatte Anika mir immer eingebläut, und genau so war es auch.

      Im schwachen Licht einer Zimmerlampe wirkte mein Körper anziehend und geheimnisvoll. Er bot einen aufregenden Anblick. Ich zeigte ihn, um die Augen der Männer zu verführen und sie für ihre Geilheit zu belohnen. Doch bei der Vereinigung empfand ich weder Lust noch Mitleid. Ich tat es aus Überzeugung, wir würden einander geben, was jedem von uns fehlte. Glaubte der ausgewählte Mann dann, in mir die Partnerin seiner Träume gefunden zu haben, schnappte die Falle zu. Schnell wurde er eines Besseren belehrt, nämlich dass er von nun an keine andere Wahl hatte, als für das KGB zu arbeiten, wenn er nicht wollte, dass wir sein Sexualleben der Öffentlichkeit preisgaben. Nach außen hin blieb ich unverändert, in meinem Inneren jedoch wurde ich eine andere. Das, was ich lernte, war Folgendes: Geh mit den Männern genauso um, wie sie es mit dir tun würden. Durchschaue sie, lenke sie, werde eins mit ihnen, indem du zum Kern ihrer Sehnsüchte vordringst, der sich hinter der Leere ihres Seins verborgen hält.

      Am 11. Mai 1978 wurden die RAF Terroristen Brigitte Mohnhaupt, Peter-Jürgen Boock, Sieglinde Hofmann und Rolf Clemens Wagner im jugoslawischen Zagreb verhaftet. Für mich erwachte im Frühling das Leben zu alter Gewohnheit. Die Morgen waren melancholisch schön. Die Sonne stand wie verschütteter Honig im Dunst über der bayrischen Hauptstadt. Frühling, das bedeutete saftiges Grün auf den Grasflächen, Blumen mit voll aufgebrochenen Knospen, Blätter, goldgrün wie alte Juwelen mit Smaragden, und junge Mütter mit Kinderwagen am Ufer der Isar. Ich liebte den Frühling.

      Ogoneck setze mich auf einen prominenten Arzt an. Was mich hätte stutzig machen müssen, war die Tatsache, dass er mir zusätzlich eine Packung Stimmungsaufheller mitgab und dabei zweideutig grinste.

      Ich traf den Arzt wie zufällig in seiner Mittagspause und verwickelte ihn in ein Gespräch.

      „Im Frühling hat man das Gefühl, man könne die Landschaft, die Stadt, die Natur in den Körper eines jungen Mädchens stecken, bevor man mit ihr ins Bett geht“, sagte


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