Schnee am Strand. Rohan de Rijk
Kapitel 4
Damian ließ den Wagen sanft ausrollen und als er stand, schaltete er den Motor ab. Die thermischen Spannungen malträtierten das Metall des Auspuffs, was ein unstetes Knacken zur Folge hatte, bevor Stille eintrat.
Sie waren den ganzen Tag unterwegs gewesen. Waren durch eine unwirtliche Ödnis gefahren, hatten das Motel weit hinter sich gelassen. Die Anonymität einer kleinen Stadt bot ihnen Schutz. Weder Damian noch Ashley konnten den alten Motelier einschätzen. Zu verwoben waren die Bande, die sich auf dem Land zwischen den Menschen erstreckten. Freundschaften hielten ewig und vielleicht bewegte sich im Dunstkreis des Alten ein Cop. Schulfreunde oder der Motelier zahlten Gefallen mit Zimmern, die keine Augen und Ohren hatten, so dass der Cop Strafzettel auf seine Art und Weise vergessen würde.
Sie hatten gegessen und sich auf einem verlassenen Hinterhofparkplatz eine Nase Speed gegönnt. Der Stoff wirkte und das Leben fühlte sich wieder leicht an, die Realität wurde in einen Schwebezustand versetzt, in dem die Wirklichkeit ein klein wenig verrückt wurde.
In den letzten Stunden kreisten Ashleys Gedanken immer um eine Szene: Damian, der brutale Schläger.
Sie kannte Damian mehr als drei Jahre und hatte ihn pazifistisch eingeschätzt. Umso erstaunter, erschrockener war sie, als Damian den Motelier mit einer Selbstverständlichkeit zusammenschlug ohne selbst Anzeichen von Unglauben in seinen Zügen widerzuspiegeln. Aber etwas reizte Ashley auch daran. Die Gewalt hatte neben ihrer Schattenseite auch etwas Anziehendes. Das Animalische eines Kampfes, vielleicht auch Pheromone, die sich unsichtbar den Weg zu ihr gebahnt hatten, oder es war das, was sich Frauen trotz aller männlichen Verweichlichung wünschten: Einen harten Kerl, der ihnen Schutz bot.
Ashley ließ sich tief in die Ledersitze des Wagens sinken. Das Speed hatte seine volle Wirkung entfacht. Sie fing an, mit den Gefühlen zu spielen. Auf der einen Seite konnte sie sich dem Kick voll und ganz hingeben. Auf der anderen Seite und das war das Faszinierende für Ashley, konnte sie klar denken und sich ohne Mühe in der Menschenmenge bewegen, ohne dass jemand ahnte, dass sie unter Einfluss von Speed stand.
»Hier wohne ich«, sagte Damian. Die Lichter seines Wagens erloschen und sie saßen, nur durch das matte gelb-orangene Licht einer Straßenlaterne erhellt, in der Dunkelheit. Damians Zuhause ragte wie eine mittelalterliche Festung in den finsteren Himmel hinauf. Getragen von massiven Säulen, wirkte der Eingang wie das weit aufklaffende Maul eines Ungeheuers, hinter dem sich ein massiver Körper aus Stein erhob. Damian schaute zu Ashley hinüber, die den Blick nicht von dem Haus abwenden konnte.
»So geht es den meisten.«
»Was?«, fragte Ashley und drehte den Kopf zu Damian herum.
»Das Haus. Es fasziniert und erschreckt die Leute zugleich. Es soll von einem rumänischen Architekten entworfen worden sein. Seine Referenzen bestanden darin, dass er angeblich Häuser für die Nachfahren von Vlad III. entworfen haben soll. Mein Vater fährt auf solches Zeug ab.«
»Vlad wer?«, fragte Ashley.
»Vlad III. war ein rumänischer Adliger, der es liebte, seine Feinde zu foltern und bestialisch aufzuspießen. Er soll die Vorlage für Dracula gewesen sein, habe ich jedenfalls gelesen.«
Ashley lief eine Gänsehaut über den Rücken.
»Du meinst, der Typ hat das da entworfen?«, Ashley zeigte über ihre Schulter auf das Haus.
»Ich meine gar nichts«, erwiderte Damian, »der Typ war verrückt und mit der Geschichte hat er wahrscheinlich versucht, Kunden zu gewinnen.«
Ashley ließ wieder ihren Blick über das monomentale Bauwerk schweifen. Die Dunkelheit weichte die Konturen auf und ließ das Haus größer erscheinen, als es in Wirklichkeit war. Mit der Geschichte im Hinterkopf schien es noch düsterer auf dem Grundstück zu hocken.
»Ich geh dann mal«, sagte Damian.
»Wohin?«
»Na rein. Ein paar Klamotten holen und«, Damian tippte sich an die Nase, zog die Tür auf und verschwand in der Dunkelheit.
Die Zeit dehnte sich aus. Immer und immer wieder schaute Ashley zu dem Haus hinüber, aber Damian erschien nicht. Fantasiegedanken stoben durch ihr Hirn, in denen das Haus ein Eigenleben entwickelte, mit einem maßlosen Hunger auf Menschenfleisch. Damians Fleisch. Unersättlich. Blutgeil wie Dracula.
Ashley schüttelte den Kopf und versuchte die Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Die Straße war menschenleer und nur spärlich von ein paar Laternen erhellt, die sich nach fünfzig Metern in einer leichten Linkskurve verloren. Damian wohnte in einem der nobelsten Stadtviertel. Die Grundstücke waren so groß, dass man seinen Nachbarn nur erahnen konnte. Dekadenz und Snobismus waren hier zu Hause. Aber irgendwie konnte sie nicht glauben, dass Damian hier wohnte. Er war so anders. So … Ashley fand keine Worte für dieses Gefühl. Er wirkte mit seiner Art in dieser Gegend wie ein Fremdkörper. Ein Freigeist, der sich verirrt hatte und, warum auch immer, geblieben war.
Endlich öffnete sich die Eingangstür dieses merkwürdigen Gebäudes und ein fahles Rechteck aus Licht fiel in die Dunkelheit der Nacht. Eine Gestalt, die eigentlich nur ein Schatten war, trat in den Lichtschein und schloss die Tür.
Es dauerte eine Zeit, bis aus dem Schemen Damian wurde, der mit einer Sporttasche den gekiesten Weg herunter ging. Er öffnete den Kofferraum und warf die Tasche hinein.
Ein leises Klicken verriet, dass er den Deckel ins Schloss gedrückt hatte. Wenige Sekunden später saß Damian wieder neben Ashley. Eine Last fiel von ihr ab. In dieser surrealen Gegend fühlte sie sich nicht wohl und die Dunkelheit hatte das Gefühl noch verstärkt.
»Wo warst du so lange?«, Ashley versuchte so wenig Vorwurf wie möglich in die Stimme zu legen, aber Damian wissen zu lassen, dass sie sich hier alleine fürchtete.
Aber Damian schien nicht die nötigen Antennen für so feine Nuancen zu besitzen. Er ignorierte Ashleys Frage.
»Wir können«, Damian wollte gerade den Wagen starten, als Ashley seine Hand nahm.
»Wo warst du? Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.«
»Ich wohne hier. Wer in drei Teufelsnamen sollte mir hier etwas antun. Ich habe uns nur ein wenig Futter für die Nase besorgt, das hat halt ein wenig gedauert. Es ist alles in Ordnung.«
»Du hast das Speed von deinem Vater geklaut?«
»Naja, geklaut ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck.
Mein Vater hat da so ein spezielles Hobby.«
»Was für ein Hobby?«, fragte Ashley und schaute zu dem steinernen Monster empor, von dem sie erwartete, dass jeden Moment die Tür aufgerissen wurde und Damians Vater oder Vlad III. herausgestürmt kamen.
»Mein Vater ist Apotheker, er hat sich im Keller unseres Hauses ein kleines Labor eingerichtet und dort stellt er das Speed her. Du musst zugeben, dass man sich mit Aspirin und Anti-Dünnschiß-Tabletten ein solches Haus nicht leisten kann. Mein Alter stellt das Zeug in Massen her, und nebenbei unterhält er eine kleine Armee von Dealern, die den Stoff verkaufen.«
»Oh mein Gott«, sagte Ashley, »das ist cool.«
Ashleys spürte wie sich ein zartes Pflänzchen mit Namen »Neid« an die Oberfläche ihrer Gedanken drängte. Es war nie wirklich ein Problem gewesen, dass ihre Eltern zu der breiten Masse der Mittelschicht gehörten. Aber je älter Ashley wurde, umso mehr erkannte sie, dass auch die geistige Leistung ihrer Eltern derer ihrer gesellschaftlichen Schicht entsprach: Mittelschicht. Zu oft waren Intoleranz und vorgekaute Meinungen Streitpunkte. Auseinandersetzungen, die keinen Sieger kannten, nur verhärtete Fronten, hinter denen immer wieder ein neuer, kleiner Krieg angezettelt wurde.
Mit der Zeit wurden Ashleys verbale Waffen immer feiner, trafen immer mehr den Nerv ihrer Eltern, deren standardisierten Abwehrfloskeln an Ashley nur noch abprallten. Die Frage, wann es zu einem Supergau kommen würde, wurde nur durch den Faktor Zeit bestimmt.
»Aber anstrengend.«
»Was?«,