Schnee am Strand. Rohan de Rijk
Gestalten mit verbeulten Achselhöhlen auf. Immer wieder warte ich darauf, Schüsse aus dem Keller zu hören. Immer wieder denke ich, der Typ von UPS ist kein Lieferant, sondern ein Zivilcop. Aber was soll´s. Ohne dies alles hätten wir jetzt nicht die Taschen voller Stoff und wenn ich ehrlich bin, man gewöhnt sich an alles. Wirklich an alles.«
Damian reichte Ashley einen dunkeln, kühlen Gegenstand herüber. Als sie erkannte, dass es eine Pistole war, erschrak sie leicht. Aber dieser Moment war kurz, sehr kurz. Das Stück tödliche Metall, das sich in ihren Händen langsam erwärmte, fühlte sich auf eine morbide Art und Weise erotisch an. Ashley spürte die Macht, die von dieser Pistole ausging. Sie strich über den phalusartig nach vorne gereckten Lauf. Spürte die Finsternis in den Tiefen der brünierten Röhre, dessen zart gerundetes Ende ihren Fingerkuppen schmeichelte. Das Gefühl, das in ihr wuchs, war subtil, aber sie spürte, dass sie mit dieser Waffe Herrin über Leben und Tod war. Sie konnte die Welt verändern. Sie konnte die Weichen, auf denen der Zug des Lebens rollte, neu stellen. Schnell und ohne große Kraftanstrengung.
»Peng« und man war erledigt.
»Steck die Waffe ins Handschuhfach, bevor uns noch jemand sieht«, sagte Damian.
Ashley gehorchte, aber sie merkte, wie dieser prickelnde Reiz anhielt. Sie wusste, dass sie die Waffe wieder berühren musste, vielleicht, sie war sich nicht ganz sicher, auch benutzen würde.
»Wie sieht es aus? Bereit.«
»Bereit für das große Abenteuer, gib Gas.«
Kapitel 5
»Ich habe eine Frage?«, Damian lenkte den Wagen mit einer Hand und ließ die andere zärtlich über Ashleys Knie wandern. Die Straße führte schnurgerade auf dem Horizont zu, am Ende dieser kleinen Unendlichkeit bog sich die Erde zu einer sanften Krümmung und verschwand in einem milchigen Dunst aus Sonne und Staub.
»Warum sind wir nicht zu dir gefahren? Du hast nichts zum Anziehen, naja fast nichts.«
Ashley streifte Damians Hand von ihrem Knie herunter und ihr Körper versteifte sich in dem Sitz. Sie hatte damit gerechnet, dass Damian die Frage stellen würde, aber jetzt wo es geschehen war, fiel ihr die sorgsam zurechtgelegte Antwort nicht ein.
»Das ist eine lange Geschichte und ich möchte dich nicht langweilen.« Ashleys Stimme klang so, dass sie keinen Widerspruch akzeptierte. Aber Damian ließ nicht locker, zumal er es als sein gutes Recht ansah, alles über Ashley zu erfahren, da er ihr die Drogengeschichte über seinen Vater anvertraut hatte.
»Die Straße ist lang und der Sender spielt nur Müll. Und,« dabei sah er Ashley in die Augen, »ich bin ein verdammt guter Zuhörer.«
»Das mag sein. Ein guter Autofahrer bist du jedenfalls nicht.«
Damian riss das Steuer herum, der Wagen geriet ins Schleudern, die Reifen brannten einen Teil ihres Gummis in den Asphalt und hellblauer Rauch stieg auf. Damian brauchte mehrere Sekunden, bis er ihn wieder unter Kontrolle gebracht hatte.
»Schöne Frauen lenken mich nun mal ab«, sagte er.
Aber die Schweißperlen auf seiner Stirn sprachen eine andere Wahrheit.
Sie schwiegen. Die mittägliche Sonne und die Klimaanlage führten einen ungleichen Kampf, dem die Sonne unterlegen war. Röhrend pustete das Klimagerät eiskalte Luft in den Wagen. Damians Frage hing immer noch über dem Schweigen, wie ein Gewitter, dem die Möglichkeit entzogen worden war, sich zu entladen.
»Ich finde meine Eltern scheiße«, unterbrach Ashley die Stille.
»Wer tut das nicht«, sagte Damian.
»Das meine ich nicht. Wenn ich scheiße sage, dann meine ich richtig scheiße mit allem Drum und Dran.«
»Das habe ich dir nie angemerkt, dass dich deine Alten so nerven.«
»Frauen können gut verdrängen, vielleicht will ich es aber auch nicht wahrhaben. Das Leben hat auch etwas mit einer Erwartungshaltung zu tun. Vielleicht habe ich zu viel davon. Wenn man älter wird, verändert sich das Denken. Du willst nicht mehr gefallen, das liebe kleine Mädchen sein.
Weißes Kleid, Löckchen und unendlich große Kulleraugen, das war einmal. Fast habe ich das Gefühl, dass der Alltagstrott die Gehirne meiner Eltern gelähmt hat. Die kamen nicht mehr mit. Irgendein seltsamer Mechanismus scheint sie verlangsamt zu haben. Ich habe mit ihnen gespielt, es ausprobiert. Je krasser sie reagiert haben, umso krasser habe ich weitergemacht und irgendwann ist die Bombe geplatzt und jetzt habe ich das Gefühl, dass keiner mehr zurück will.«, erschöpft ließ sich Ashley in die Lederpolster sinken.
»Heilige Scheiße, da hätte ich auch keinen Bock drauf, aber was hat das mit der Lähmung zu tun«, sagte Damian.
»Die haben stur auf die Situation reagiert, die ich ihnen diktiert habe. Sie haben es nicht geschafft, auszubrechen und ihre Gefühle auf das richtige Gleis zu bringen.«
»Hast du ihnen nicht Bescheid gesagt, dass das rebellische Töchterchen mit dem Sohn des Drogenbarons McLoy auf eine sündige Tour gegangen ist?«
»Nein, du?«, Ashley schaute Damian herausfordernd von der Seite an.
»Nein.«
Damian trat das Gaspedal durch und der Wagen beschleunigte auf der staubigen Straße.
Aus der orangenen Nachmittagssonne schälte sich eine Tankstelle. Ein halbes Dutzend heruntergekommener Häuser umringten sie wie eine Gruppe skelettierter Monster. Das Dorf sah aus, als ob es schon vor langer Zeit verlassen worden war. Damian bezweifelte, dass die Tankstelle geöffnet hatte. Seit einer Stunde war ihnen kein Auto mehr begegnet. Trotzdem, nur um sicher zu gehen, ließ er den Wagen zwischen den Zapfsäulen ausrollen. Im Inneren des Gebäudes läutete leise eine Glocke, als der Wagen über ein Kabel rollte, das über den Asphalt gespannt war.
Damian beugte sich zu Ashley herüber, küsste sie zärtlich auf den Mund, versuchte mit der Zunge zwischen ihre geschlossenen Lippen zu dringen und nahm sich die Pistole aus dem Handschuhfach.
»Was hast du vor?«
»Ich werde schauen, ob der Typ Lust hat, sich an unserer Urlaubskasse zu beteiligen.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, stieg Damian aus. Die Luft war heiß und staubig. Der V8 grollte durch die Stille wie ein wütendes Tier. Damian hatte den Motor nicht abgestellt. Das grelle »Open« Schild pulsierte wild in einem der dreckigen Fenster der Tankstelle und wirkte wie ein Alien in einer verfallenen Kulisse.
Die Tür war offen, weil sie windschief in den Angeln hing, wie Damian bemerkte. Er betrat den kleinen Raum, der nach Benzin und Motoröl stank. Er ließ seinen Blick zur Decke und in die Ecken wandern, konnte aber keine Kameras entdecken. Der Druck, den die Pistole in seinem Hosenbund ausübte, fühlte sich gut an, er beruhigte Damian und gab ihm die Sicherheit die Situation zu beherrschen.
Im hinteren Bereich des Raumes raschelte ein billiger Plastikvorhang und ein Mann unbestimmten Alters trat durch die Abtrennung.
»Ja?«, die Stimme des Mannes war von einem starken Slang geprägt, so dass dieses einsilbige Wort für Damian nur schwer zu verstehen war.
»Wir wollten nur …«, Damian zog die Pistole aus dem Hosenbund und rannte auf den Mann zu. Dieser bewegte sich einen Schritt rückwärts, bis ihm ein Regal den weiteren Weg versperrte. Leise klirrten die Flaschen, als das Gewicht des Mannes das Regal einige Zentimeter aus seiner ausbalancierten Mitte drückte. Mittlerweile hatte Damian den Mann erreicht und hielt ihm den Lauf der Pistole an die Schläfe. Ein feiner Schmauchgeruch aus den Tiefen des Pistolenlaufs schlug dem Tankwart wie ein Vorbote des Todes entgegen.
»Der hat die Pistole schon einmal benutzt. Scheiße, vielleicht hat der sogar einen Typen den Schädel weggeblasen«, dachte der Tankwart.
So wie der Geruch des Todes die Luft durchsetzte, so kroch auch die Panik wie ein unheilvoller Gedanke in dem Mann empor, während das Metall des Pistolenlaufs sich langsam an seiner Schläfe erwärmte. Fauliger, saurer Alkoholatem schlug Damian ins Gesicht und für