Die Engel der Madame Chantal. Kurt Pachl

Die Engel der Madame Chantal - Kurt Pachl


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und eine gewöhnungsbedürftige Moralvorstellung. Was sonst. Das hast du verdient. Dir ist es mit Sicherheit nicht bewusst, dass du uns immer das Gefühl vermittelt hast, die Gralshüterin der Moral zu sein.«

      Chantal beugte sich angriffslustig nach vorn.

      »Ach Gottchen. Wo hast du diesen tollen Begriff aufgeschnappt. Den muss ich mir unbedingt aufschreiben.«

      »Lass‘ diese überhebliche Scheiße. Sag‘ mir lieber, ob ich einigen zahlungskräftigen Frauen deine Nummer geben darf. Ich sag’s nur ungern. Aber für einige, aus den höheren Rängen, bin ich einfach zu doof. Die wollen auch mal hochgeistiges Zeug von sich geben – und obendrein auch noch verstanden werden.«

      Stille entstand in der lauschigen Ecke des noblen Restaurants.

      Iris und Manuela tauschten interessierte Blicke aus. Es schien, als hätten sie mit den Streichhölzern gespielt, und warteten nun voller Vorfreude auf den ersten Funken - oder gar auf ein herrliches Feuerchen.

      »Ich werde es mir überlegen«, flüsterte Chantal leise. »Aber ihr kennt mich. In den letzten Jahren bin ich noch nie unvorbereitet in den Krieg gezogen. Das ist ein völlig neues Terrain für mich. Da kann man mit Sicherheit eine Menge falsch machen.«

      Manuela schnellte aus ihrem Sessel, tänzelte zu Chantal hinüber, und gab ihr einen innigen Kuss.

      »Ich persönlich werde dich in die Geheimnisse der einzig wahren Liebe einweihen.«

      Mit gespieltem Lachen und einem Seufzer blickte Chantal zur Decke des Raumes.

      »Ach ihr Götter da oben. Ist das jetzt eine Verlockung oder eine Warnung?«

      Kapitel 7

      Die Zeit, das Schicksal, oder wer auch immer die Fäden über Chantals Leben in den Händen hielt, entschieden, dass die Ladies noch etwas warten mussten.

      An einem Vormittag im Mai 2006 brummte Chantals Smartphone. Es war ihre Mutter.

      »Kannst du kommen?«, begann sie mit verweinter Stimme.

      Seit einigen Jahren fiel es ihrer Mutter schwer, ihre Tochter „Schätzchen“ oder „mein Engel“ zu nennen, wie sie dies in ihrer Kindheit oder Jugend getan hatte.

      »Ist was passiert Mama?«, fragte Chantal besorgt.

      »Ja. Papa ist heute Nacht gestorben. Ich brauch‘ dich. Das schaff‘ ich nicht allein. Bitte.«

      Chantal warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Es war 10:45 Uhr. Heute Nacht ist er gestorben, schoss es durch ihren Kopf. Und erst jetzt ruft sie mich an. Außerdem war es nicht mein Papa. Es war mein Stiefvater. Und vor ihrer Flucht aus Freiburg hatte er sich als Schwein benommen. Deshalb fiel ihre Antwort knapp aus:

      »Ich werde gegen vierzehn Uhr bei dir sein Mama. Gut so?«

      »Oh das wäre schön. Danke«, schluchzte die Mutter.

      »Bis nachher«, sagte Chantal und legte auf.

      Nein. Ein schwarzes Kleid, das sich für eine Beerdigung eignen würde, hatte sie nicht im Schrank hängen. Auf dem Weg zu Autobahn kannte sie ein großes Bekleidungsgeschäft.

      Zu ihrer neuen Wohnung in der Wintersbachstraße gehörte selbstverständlich eine Garage. Darin ruhte sich ein Mercedes der oberen S-Klasse aus.

      Diese Nobelkarosse wurde nur wenige Male im Jahr bewegt. Hier in Frankfurt fuhr Chantal nur mit dem Taxi. Um in andere Städte zu gelangen, bevorzugte sie die Bahn oder flog.

      Beim Kofferpacken überfiel sie eine verrückte Idee. Ja. Diese würde sie umsetzen; musste sie umsetzen. Grinsend griff sie zum Telefon.

      »Karl, mein Freund. Hast du ein paar Tage Zeit?«, gurrte sie ins Telefon.

      »Madam Chantal. Für Sie doch immer. Wann soll ich kommen?«

      »Gleich Karl. Gleich.«

      »Oh. Sie sind immer für eine Überraschung gut. In ein paar Minuten bin ich bei Ihnen.«

      »Nehmen Sie sich ein Taxi Karl. Gepäck für drei oder vier Tage.«

      Karl kannte Chantal schon viele Jahre. Er hatte das Gefühl, dass da noch etwas war, dass diese ungewöhnliche Frau loswerden wollte. Deshalb fragte er:

      »Sonst noch etwas Madame?«

      »Hm ja Karl. Dieses Mal ausnahmsweise Uniform und Dienstmütze. Ich erkläre das unterwegs.«

      »Selbstverständlich Madame Chantal. Das scheint dieses Mal spannend zu werden.«

      Karl Czech kutschierte früher vornehmlich Banker und Persönlichkeiten aus der Wirtschaft; Personen, die es nicht für sinnvoll erachteten, einen eigenen Chauffeur anzustellen. Inzwischen hatte er die sechzig überschritten, und wollte nur noch an seinem See sitzen und angeln. Für Chantal machte er gerne eine Ausnahme. Er liebte sie auf eine seltsame Weise. Platonisch natürlich. Dafür himmelte sie ihn an, gab ihm des Öfteren ein Küsschen auf die Wange, und entlohnte ihn fürstlich. Karl war vor allem verschwiegen. Und er konnte, sollte dies notwendig werden, gut mit einer Waffe umgehen; sehr gut sogar. Er liebte die Nobelkarosse, die er vor ein paar Jahren aussuchen durfte.

      Nachdem Chantal ihren verschwiegenen Fahrer mit einem Küsschen begrüßt hatte, nahm sie im Fond Platz. Sie wollte nachdenken; sich mental auf Freiburg vorbereiten.

      Dieser Tag, vor zwei Jahren, hatte sich in Chantals Seele eingefräst.

      Es war zum Ritual geworden, dass sie ihre Mutter kurz vor Weihnachten besuchte. Doch vor zwei Jahren wartete eine denkwürdige Überraschung auf sie. Ein Geschäftsmann aus Freiburg hatte sie auf dem Foto erkannt; mit ihr und Harald; an diesem verrückten Abend. Für den Geschäftsmann war es offenbar wichtig gewesen, Nachforschungen anzustellen. In Windeseile verbreitete sich die Story in Freiburg: Die Schwiegertochter von Hannes Vögele, dem Inhaber der weithin bekannten Weinschänke am Schlehbusch, ist eine Nobel-Prostituierte in Frankfurt; eine Art Rosemarie Nitribitt. Hannes Vögele wurde daraufhin noch bekannter – und wütender.

      Als seine Stieftochter, diese Hure, sein Haus betreten wollte, wartete er bereits mit einem Knüppel. Der Krankenhausaufenthalt brannte sich tief in Chantals Seele ein. Vergeblich wartete sie auf ihre Mutter. Das waren die schlimmsten Schmerzen – damals. Erst vor einem Jahr trat Mama den Gang nach Canossa an - telefonisch. Sie entschuldigte sich weinend. Sie berichtete, dass Hannes immer noch sauer sei. Seit dieser Sache, damals, konnten sie sich vor Gästen kaum noch retten. Sie pilgerten in Scharen zur interessant gewordene Gaststätte am Schlehbusch. Es war ein kurzes und einseitiges Telefonat gewesen.

      Diese scheinheilige Meute, die sich ihre Mäuler zerrissen hatten, sollten nun ihre Show bekommen.

      Chantal wartete selbstverständlich, bis Karl ausgestiegen war, bis er seine Dienstmütze aufgesetzt hatte, und ihr mit einer Verbeugung die Wagentüre öffnete.

      Die schwarzen Krähen glotzten und tuschelten. Der Tote war urplötzlich Nebensache.

      »Ach mein Schatz. Musste das denn sein?«, begrüßte die Mutter weinend ihre Tochter.

      »Schau sie doch an Mama«, sagte Chantal halblaut.

      »So sehen noble Leute aus, die deinem Mann ihre Aufwartung machen wollen. Schau dir

      meinen Lehrer an. Der hat mir mehr als einmal unter den Rock gegriffen. Der Herr Pfarrer, dieser alte Sack, hat mir in der Sakristei den Slip ausgezogen. Was er noch gemacht hat – darüber will ich an dieser Stelle lieber schweigen. Die Frau Häberle, da drüben, hat es mit mindestens zwanzig Männern getrieben. Alle haben es gewusst. Aber da erzähle ich dir nichts Neues. Und die Frau dort, ich hab‘ ihren Namen vergessen, hat ihre Kinder fast totgeprügelt. Jetzt ist sie natürlich mutterseelenallein. Und betet. Gott soll ihr erklären, was sie falsch gemacht hat. Soll ich weitersprechen Mama? Soll ich mich vor diesen Pharisäern schämen Mama?«

      »Ach Kind. So sind sie halt. Ich wohne hier. Und du in Frankfurt. Soll ich mehr dazu sagen?«

      Die


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