Die Engel der Madame Chantal. Kurt Pachl

Die Engel der Madame Chantal - Kurt Pachl


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erwartete keine Antwort und legte auf.

      Kapitel 8

      Für Chantal war es wie der Beginn einer neuen Zeitrechnung.

      Vor zwei Tagen hatte Manuela sie auf ihre neue Welt vorbereitet. Sie war nervös gewesen wie ein Schulmädchen vor der Entjungferung. Doch bereits nach wenigen Minuten mussten sie über die verrücktesten Geschichten in ihrem Leben herzhaft lachen. Wenige Stunden zuvor hatte die Frau eines ehemaligen Stammkunden angerufen, um sich nach dessen Tod bei Chantal zu bedanken.

      Und jetzt unterhielten sie sich fachkundig darüber, auf welche sexuellen Wünsche und Sehnsüchte sich Chantal einzustellen hatte, um Frauenherzen höher schlagen zu lassen.

      Beide Frauen erinnerten sich kichernd daran, wie sie, Chantal, ihrer blutjungen Freundin Manuela vor vielen Jahren Nachhilfeunterricht gegeben hatte. Manuela war damals zwar bereits von einigen Burschen bestiegen worden. Aber das war es auch schon. Selbst aktiv zu werden, professionell, kreativ und ideenreich zu sein – dazwischen lagen Galaxien.

      Diese Nachhilfestunden waren für Chantal ungleich schwerer. Ihr ganzes bisheriges Leben drehte sich darum, Männer zufrieden zu stellen. Okay. Sie wusste, wie sie sich zu bewegen hatte, um selbst auch Spaß daran zu haben und dann zum Höhepunkt zu kommen, wenn dies auch im Interesse des Kunden stand. Doch jetzt? Frauen?

      Letztlich, nachdem sie weitestgehend geistig ausgeklinkt hatte, dass es sich bei dieser Frau um Manuela handelte, konnte sie sich fallen lassen; genoss es sogar. Aber primär ging es bei diesem Unterricht darum, das Gefühlsleben zu entwickeln, eine andere Frau schweben zu lassen.

      Nach vielen Stunden lagen sie sich lachend und weinend in den Armen. Sie waren beide glücklich, und es schien, als seien sie sich dadurch noch nähergekommen.

      Zum Abschluss gab Manuela ihrer Freundin noch viele hilfreiche Informationen für Chantals erste Kundin. Sie hieß Dr. Miranda Meinhard, wohnte in Taunusstein und war im Management einer großen Bank tätig.

      Die Frau aus dem Management einer großen Bank empfing sie zwei Tage später in einem langen und traumhaften Samtkleid von Puccini. Die Farben Dunkelblau, Rosa und Hellgrün flossen ineinander. Dazu trug sie blaue Pumps. Sie war schlank und wirkte grazil. Ihre langen blonden Haare hatte sie raffiniert hochgesteckt; erinnerten Chantal an Audrey Hepburns Hochsteckfrisur im Film „Frühstück bei Tiffany“.

      Für eine Sekunde versuchte Chantal, das Alter dieser verdammt gutaussehenden Frau zu schätzen. Manuela glaubte zu wissen, dass diese Frau so um die vierzig sei.

      »Da hast du dich ganz schön verschätzt liebe Manuela«, lachte Chantal in sich hinein.

      »Diese Lady ist mit Sicherheit einige Jährchen älter als ich mit meinen dreiundvierzig Lenzen.«

      Dieses grazile Wesen hatte eine Haut wie aus Seide, war aufwändig und gleichzeitig dezent geschminkt.

      »Oh Gott, was hast du dir denn dabei gedacht«, flüsterte Chantal in sich hinein. »Was für eine Verschwendung. Jedem Mann mit gutem Geschmack würden jetzt die Beine wegknicken.« Doch gleichzeitig flötete sie mit ihrer dunklen Stimme:

      »Einen schönen guten Tag Frau Dr. Meinhard. Sehen Sie es bitte nach, wenn es mir im Moment ein bisschen die Sprache verschlägt. Und das passiert bei mir höchst selten.«

      Ihre Worte trafen wie Pfeile. Das war unübersehbar. Ein offenes und ehrliches Leuchten erhellte das Gesicht der Geisha-Frau, wie Chantal sie in dieser Sekunde für sich getauft hatte. Sie übersah beflissentlich Chantals ausgestreckte Hand. Stattdessen umarmte sie ihren Gast. Sie begnügte sich nicht mit kleinen Küsschen auf die linke und rechte Wange, sondern schloss die Begrüßung mit einem keineswegs sanften Kuss auf die Lippen ab.

      »Sag‘ bitte Miranda zu mir. Deinen Namen kenne ich ja bereits. Ein wunderschöner Name«, sagte die leicht zitternde Frau mit einer erstaunlich warmen Stimme.

      Diese Frau sitzt im Management«, durchzuckte es Chantal. »Unglaublich. Aaach, und sie hat ein wunderbares Parfum.«

      Dieses DU widerstrebte ihr ein wenig. Aber das war jetzt nicht mehr zu ändern. Deshalb antwortete sie:

      »Mein Name gefällt dir? Aber Miranda klingt für mich wie Musik oder wie Poesie. Nenne mich bitte Chantal. So dürfen mich nur eine Handvoll Menschen auf diesem Planeten ansprechen.«

      Das Gesicht der Geisha-Frau wirkte sichtlich verwundert.

      »Ist das wirklich so. Wie sprechen dich die anderen Personen sonst an?«

      »Madame Chantal. Das funktioniert erstaunlich gut. Manchmal ist eine Spur Distanz sogar hilfreich.«

      »Wenn es dir lieber ist, spreche ich dich … äh … sie … auch gerne mit „Madame Chantal“ an. Das hat dann so etwas Knisterndes.«

      Miranda sezierte ihren Besuch mit fragenden Augen. Es waren gelbe Augen; wie die einer Katze. Dabei rieb sie genüsslich ihre Hände.

      »Das wäre vielleicht eine höchst interessante Variante. Du hast etwas leicht Dominantes an dir. Wahnsinn. Ich habe das Gefühl, dass es richtig spannend werden könnte.«

      »Ach du Scheiße«, zuckte es durch Chantals Kopf. »Dominant! Ich und dominant? Zum Schluss eine Art Domina. Aber vielleicht will sie mir damit lediglich zu verstehen geben, dass ich die männliche Rolle zwischen zwei Frauen einnehmen soll. Darüber muss ich unbedingt noch einmal mit Manuela und anderen Gleichgesinnten sprechen.«

      »Vielleicht lassen wir das einfach fließen, wenn ich das mal so gedrechselt sagen darf«, gurrte Chantal mit einem Lächeln. »Je nachdem, wie es die Situation aus deiner Sicht erfordert oder was deine Seele zu dir sagt.«

      »Ach du lieber Himmel. Das klingt ja fast schon wie ein Musikstück.«

      Sie hakte sich bei Chantal unter. »Jetzt komm‘ erst mal rein in meine gute Stube. Liebst du Musik?«

      Im großzügigen Entrée angekommen antwortete Chantal:

      »Ja. Nordische Musik. Smetana. Italienische Musik wie „die vier Jahreszeiten“ und warme und melodiöse israelische Stücke, wie zum Beispiel Anatevka „Fiddler on the Roof“.

      »Herrlich. Da ergänzen wir uns ungemein. Das werden wir heute Abend auflegen. Du übernachtest doch?«

      »Wenn du es wünschst. Selbstverständlich«, lächelte Chantal.

      Gleichzeitig schimpfte sie in sich hinein, sich künftig nicht zu verplappern. Vorhin wäre es ihr fast herausgerutscht, dass sie diese Musik oft zusammen mit Harald genossen hatte. Eine solche Bemerkung wäre an dieser Stelle pures Gift gewesen.

      Da es ein kühler Tag Ende September war, hatte Chantal sich einen dünnen Mantel übergezogen.

      Als sie diesen abstreifte, sah sie die taxierenden Blicke der Gastgeberin. Nein. Sie wollte unter keinen Umständen im Outfit von Manuela kommen. Sie war Chantal. Und als Chantal hatte sie sich in ein enganliegendes luftiges Kleid mit Seitenschlitz und tiefem Ausschnitt gezwängt.

      »Madame Chantal. Sie überraschen mich immer mehr«, seufzte Miranda. Ihr Blick richtete sich vor allem auf die wohlgeformten Brüste ihres Gastes. »Sie verstehen viel von Musik. Sie sind ein wahrer Augenschmaus, wenn ich das einmal ungeschminkt sagen darf. Ich bin gespannt, mit welchen weiteren Überraschungen sie mich noch begeistern werden.«

      Die große Villa war mit vielen zum Teil teuren Unikaten eingerichtet, die nur bedingt zueinander passten. Aber sie waren mit Sicherheit teuer gewesen. Darauf kam es der Hausherrin offensichtlich an.

      Während des Kaffee-Zeremoniells arbeitete Miranda dezent aber gleichzeitig zielstrebig eine lange Liste ab. Sie streifte Themen wie Kunst, Politik und landete schließlich bei ihrem Hauptthema Banken und Wirtschaft. Mit allergrößtem Interesse stellte die Gastgeberin fest, dass ihre attraktive Escort-Begleiterin extrem tief in wirtschaftliche Themen eintauchen konnte. Diese Frau mit den langen schwarzen Haaren und den herrlichen Wimpern hatte sogar aktiv geholfen, ein Unternehmen in China


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