Die Engel der Madame Chantal. Kurt Pachl

Die Engel der Madame Chantal - Kurt Pachl


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und Vergebung. Einige junge Männer war gekommen, um mit ihren Smartphones das Objekt zu verewigen, worüber die schwarzen Krähen selbst am Grab fortwährend krächzten und tuschelten.

      Chantal trug ein langes, sündhaft teures Kleid. Sie ließ ihre schwarzen langen Haare über ihre Schultern fließen. Bezüglich ihrer Kopfbedeckung konnte man allerdings sehr geteilter Meinung sein. Der rabenschwarze Hut mit breiter Krempe war mit einer Stoffleiste versehen; verziert mit schwarzen Rosen. Der hauchdünne Tüllschleier verdeckte dezent ihr Gesicht. Doch dieser Schleier war mit kleinen Spinnen versehen. Die Worte des alten Pfarrers waren Nebensache. Das Ministranten-Gebimmel ging im Raunen und Getuschel der „Trauernden“ unter.

      Chantal blieb noch zwei Tage.

      Ihre Mutter war erst 66 Jahre alt.

      Diese früher so schöne Frau wirkte plötzlich wie 75. Vor allem die letzten Jahre mit Hannes Vögele waren, wie sie nach einigen Schnäpsen stockend erzählte, alles andere als ein Zuckerschlecken gewesen. Sie rang ihrer Tochter das Versprechen ab, bei der Testamentseröffnung anwesend zu sein; ihr bei den daraus resultierenden Dingen beratend zur Seite zu stehen.

      Vier Wochen nach dieser denkwürdigen Beerdigung ließ sich Chantal erneut nach Freiburg chauffieren.

      Wie sich herausstellte, hatte Hannes Vögele seiner Frau viel verschwiegen; verdammt viel sogar. Er hatte sie als Alleinerbin eingesetzt. Doch im Büro des Notars saßen noch zwei weitere Personen.

      Da saß der blasse und achtundzwanzigjährige Christian und neben ihm kauerte die fünfundzwanzigjährige Lisa. Ein Gutachten belegte, dass diese beiden Personen zweifelsfrei die leiblichen Kinder von Hannes Vögele waren. Sie beanspruchten 25 Prozent am Erbe.

      Mama Vögele verfiel in eine Starre. Sie bekam nicht mehr mit, was der Verstorbene sonst noch hinterlassen hatte: Parallel zur Gaststätte mit den vielen Übernachtungszimmern und dem Anbau, in dem sie so viele Jahre mit ihrem Mann gewohnt hatte, gab es da noch drei Häuser in guter Lage und Weinberge, viele Weinberge. Und da gab es noch ein stattliches Aktienpaket.

      Am Nachmittag beugten sich ein versierter Anwalt und ein Notar über alle Unterlagen des Nachlassgerichtes. Chantal hatte sich von Frankfurt aus mit ihnen in Verbindung gesetzt.

      Um nichts auf der Welt wollte Mama Vögele weiter in diesem großen Haus wohnen. Nein. Nach Frankfurt wollte sie auch nicht. Sie musste doch das Grab von Hannes pflegen. Das Grab des kleinen Gerard existierte allerdings nicht mehr.

      Chantal kaufte ein schönes Zwei-Zimmer-Appartement in einer Anlage für betreutes Wohnen.

      Das Schicksal hatte nur noch ein Jahr für Jaqueline Vögele auf dieser Erde vorgesehen. Sie starb an einem Hirnschlag. Es war ein schneller Tod.

      Der Notar, den Chantal ein Jahr zuvor engagiert hatte, achtete darauf, dass sie als Alleinerbin eingesetzt wurde.

      Der Nachlassverwalter schätzte das Vermögen auf zwei Millionen Euro.

      In den letzten Jahren hatte Chantal nie über Geld nachgedacht.

      Inzwischen war es ihr manchmal lästig, sich mit Finanzdingen beschäftigen zu müssen. In den ersten Jahren in Frankfurt konnte sie jährlich fünfzigtausend Euro auf die Seite legen.

      Doch bereits fünf Jahre später war es das zehnfache pro Jahr.

      Seit einigen Jahren war sie eine äußerst gefragte Begleiterin.

      Ihre Ausgaben waren vergleichsweise minimal. Harald hatte ihr die herrliche Wohnung im 22. Stock geschenkt. Meistens wurde sie zum Essen eingeladen. Einige Männer waren versessen darauf, ihr Kleider zu kaufen.

      Vor einigen Jahren gelang es ihr, das große Haus in der Miquelallee zu kaufen. In den Anfangsjahren hatte sie in diesem Haus ein Zweizimmer-Appartement gemietet. Das Objekt mit seinen achtundzwanzig Wohnungen und einer Tiefgarage war nicht mehr ganz taufrisch.

      Da sie nicht spekulieren wollte und sich mit Aktiengeschäften nicht auskannte, legte sie sukzessive ihre Einnahmen, nicht zu vergessen das Erbe ihrer Mutter, in vier weitere Immobilien an.

      Darunter befand sich eine herrliche, alleinstehende Villa im Odenwald. Diese nutzte sie für verschwiegene Dates mit angesehenen Kunden.

      Die Villa hatte einen riesigen Keller mit alten bogenförmigen Sandsteingewölben. Iris durfte Teile davon als schaurig-schönes Folter-Refugium heranziehen. Eingeweihte waren geradezu besessen, für viel Geld darin ihre herrlichen Qualen durchleben zu dürfen.

      Es war ein verregneter Montagmorgen.

      Nach einem langen Frühstück, Harald hatte gerade die Villa verlassen, brummte Chantals Smartphone. Es war eine Frauenstimme.

      »Guten Morgen Madame Chantal. Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich Sie mit diesem Namen anspreche. Aber ich habe in den Unterlagen keinen anderen Namen gefunden. Mein Name ist Hedda Conzen. Können Sie mit meinen Namen etwas anfangen?«

      Unzählige Gedanken schossen durch Chantals Kopf. Warum rief diese Frau bei ihr an?

      Eric Conzen, der Inhaber einer Hotel-Gruppe in Wiesbaden, war einer ihrer langjährigen Stammkunden. Nein. Große Probleme waren von dieser Frau nicht zu erwarten.

      »Selbstverständlich Frau Conzen. Was kann ich für Sie tun?«, antwortete sie deshalb.

      »Es ist das ungewöhnlichste Telefonat meines Lebens.« Sie lachte kurz.

      »Aber ich bin fest davon überzeugt, dass auch Sie nicht jeden Tag ein solches Telefonat führen werden. Zunächst möchte ich Ihnen mitteilen, dass Eric vor einer Woche verstorben ist.«

      »Oh. Zunächst mein aufrichtiges Beileid.« Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: »Wenn ich Eric richtig verstanden habe, wussten Sie, dass er …«

      »Das stimmt. Er hat mir sogar einige Male Ihren Namen genannt. Ich habe hier ein Schreiben an Sie in seinen Unterlagen gefunden. Ich wollte es nicht einfach wegwerfen.«

      Chantal hatte ihre Fassung wiedergefunden.

      »Wir beide sind doch intelligente Frauen. Kürzen wir die Sache ab. Öffnen Sie einfach das Kuvert. Lesen Sie mir bitte vor, was der arme Eric geschrieben hat. Woran ist er gestorben, wenn ich fragen darf.«

      »Stilgerecht«, lachte die Frau. »In unserem großen Weinkeller. Mit einem Glas Sekt in der Hand.«

      »Herrjeh. Jaja. Eric hat das Leben geliebt.«

      »Sie sagen es. Sie sagen es … Ich habe jetzt das Kuvert geöffnet.«

      »Lesen Sie bitte Frau Conzen.«

      »Liebste Chantal. Es waren wunderschöne Stunden mit Dir. Ich spüre, dass meine Kräfte für eine so schöne Frau, wie Du es bist, nicht mehr ausreichen, und dass es bald zu Ende geht mit deinem Schnurri. Ich werde Dich da oben vermissen. Küsschen. Dein Eric.«

      Für lange Sekunden entstand Stille. Chantal hörte, dass die Frau am anderen Ende der Leitung leise weinte. Chantal ließ ihr Zeit.

      »Demnach hat er es gewusst, wie es um ihn stand«, sagte Frau Conzen leise.

      »Obwohl wir uns in den letzten Wochen so gut verstanden haben, wie schon lange nicht

      mehr. Nach diesen „Ausflügen“, wenn ich es einmal so nennen darf, kam Eric immer wie ausgewechselt zurück. Ich komme mir jetzt total bescheuert vor, wenn ich mich an dieser Stelle bei Ihnen bedanke. Das bleibt hoffentlich unter uns. Können Sie mir erklären, warum Eric diesen Brief nicht abgeschickt hat? Im Kuvert befinden sich zehntausend Euro.«

      »Ja das kann ich. Er hat mich vor ungefähr zehn Tagen angerufen. Er wollte meine Adresse haben. Das habe ich freundlich verneinen müssen. Ein Treffen war für mich nicht möglich, weil ich selbst einen Trauerfall hatte. Ich will das Thema abkürzen. Bitte schenken Sie das Geld einer armen Seele. Können wir so verbleiben?«

      »Ja. Selbstverständlich Frau … Frau … Macht es Sinn zu fragen, ob wir uns einmal auf einen Kaffee treffen?«

      »Ich glaube, dass das keine gute Idee wäre. Bitte haben Sie


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