Little Pearl. Madlen Schaffhauser
unangenehme Röte ins Gesicht.
»Ich bin soeben mit dem ersten Schliff fertiggeworden.« Er ist mir zum Tisch gefolgt. Mit seinen Händen fährt er über das Türblatt, um es vom Holzstaub zu befreien, der durchs Schleifen entstanden ist. »Es gibt noch ein paar Kerben zu füllen.« Dylan zeigt auf einige Vertiefungen.
»Dann ist er fertig?«
»Nicht ganz. Ich muss ihn lackieren, dann gibt es ein paar Zwischenschliffe. Danach wird nochmals Lack aufgetragen, um eine glatte Oberfläche zu erhalten. Zum Schluss wird noch eine Politur vorgenommen. Die verschnörkelte Schlossblende werde ich mit einer speziellen Farbe frisch anstreichen.«
Ich hänge an seinen Lippen, so sehr bin ich von seiner Stimme gefesselt. Ich glaube, ich habe ihn noch nie so viel reden hören.
»Hast du Fragen?«
Ich verneine kopfschüttelnd. Momentan bin ich unfähig etwas zu sagen. Aber ich möchte, dass er weiterspricht. Egal was, Hauptsache ich kann weiter seinem tiefen Ton lauschen.
»Er wird in deinem Esszimmer Hammer aussehen. Aber versprich mir, dass du ihn nicht mehr mit diesen schrecklichen Sachen vollstopfen wirst. Das wäre eine Schande für ihn.«
Ich muss lächeln, während Dylan liebevoll über das Holz fährt.
Als mich Dylan abwartend ansieht, nicke ich und antworte: »Versprochen.«
»Gut.«
»Hast du viele Aufträge?«
»Ich kann mich nicht beklagen.«
»Das Sofa da sieht fantastisch aus.« Ich zeige auf die Couch in der linken Ecke.
»War eine Menge Stück Arbeit. Aber es hat sich gelohnt.«
»Ich würde es sofort kaufen, wenn es nicht schon jemandem gehören würde.«
»Es ist meins.«
»Wow.« Ich sehe ihn entsetzt an. Ich glaube, dass ich ihn so ansehe, denn er zieht die Augen zusammen.
»Was?«
»Ich dachte ... ich habe nur nicht erwartet, dass du einen solchen Geschmack hast.«
»Wieso nicht? Ich mag antike Möbel. Sie haben Charakter, nicht so wie das moderne Zeug, das man heute überall kaufen kann.«
»Da haben wir etwas gemeinsam.«
Sein Blick ist mit einem Mal stählern. Gerne würde ich wissen, was gerade in seinem Kopf vor sich geht. Doch er bleibt still.
»Wie bist du zu diesem Beruf gekommen?«, frage ich weiter.
»Per Zufall.«
Er bleibt wortkarg. Eigentlich so, wie ich ihn kenne. Aber er hat mir vor wenigen Minuten gezeigt, dass er auch recht gesprächig sein kann. Man muss nur die richtigen Fragen stellen. Bloß denke ich, dass es davon nicht sehr viele geben wird.
»Was meinst du, wann du fertig bist?« Ich atme sein Aftershave und den schwachen Geruch nach Zigarette ein. Unsere Finger berühren sich, als ich wie er übers Türblatt fahre.
Wie von einem Blitz getroffen, zieht er seine Hand zurück. »In zwei, drei Tagen, vielleicht.« Er geht auf die andere Seite der Werkbank. »Du solltest jetzt gehen.«
Das feine Kribbeln, das seine Berührung ausgelöst hat, verschwindet von jetzt auf gleich. Verwundert, über seinen plötzlichen eisigen Ton, hebe ich den Kopf und sehe zu ihm. Doch er hat sich weggedreht, so dass ich ihm nicht in die Augen sehen kann.
Ich öffne den Mund, um etwas zu sagen, aber Dylan kommt mir zuvor.
»Ich werde dich anrufen, wenn ich fertig bin.« Er befestigt sich einen Mundschutz hinter den Ohren.
»Warum hast du mich hergebeten?« Ich werde nicht schlau aus ihm.
»Keine Ahnung.« Er zuckt mit den Schultern. »Jedenfalls war es eine blöde Idee. Du findest den Ausgang.«
Es sollte nicht und trotzdem ist es verletzend, wie er mich auf einmal behandelt. So abweisend und als wäre ich diejenige, die sich ihm aufgezwungen hat. Es ist eigenartig, dass er mich aus der Werkstatt jagen will. Okay, es sind seine Räumlichkeiten, dennoch kann er doch nicht so unhöflich sein? Vor allem, da er mich herbestellt hat.
»Hab ich was falsch gemacht?«, frage ich mit angehaltenem Atem.
»Nein, ich will nur mit meiner Arbeit weitermachen.« Er sieht nicht mal auf, als er antwortet. Mit der Schutzmaske über dem Mund und einem kleinen Besen in der Hand fährt er über das Türblatt.
Perplex bleibe ich noch ein paar Sekunden stehen, bis ich die Kraft gefunden habe, auf meinen wackligen Beinen zu verschwinden.
Ich bin nicht wütend, als ich ins Freie trete. Ich bin gekränkt. Ich würde ihm jetzt gerne meine Meinung an den Kopf werfen, aber dann würde ich ihm meine Gefühle verraten. Das darf ich auf keinen Fall. Niemals darf er erfahren, dass ich trotz allem davon träume, von ihm gehalten zu werden. Von ihm geküsst zu werden.
Wo ich auf der Hinfahrt noch nervös und aufgeregt war, bin ich jetzt auf dem Weg nach Hause verstört und niedergeschlagen.
Was ist in seinem Leben passiert, dass er meine Berührung, so kurz sie auch gewesen sein mag, nicht aushalten kann?
Ständig frage ich mich, was seine Unzugänglichkeit, seine Distanziertheit bedeuten soll. Irgendwas muss in seinem Leben passiert sein, dass er sich benimmt, als würde ihn nichts und niemand interessieren, außer sich selbst.
Oder findet er mich einfach abstoßend? Denn als sich unsere Hände sich flüchtig berührt haben, hat sich seine Stimmung von einer Sekunde auf die andere umgeschlagen. Dieser Gedanke tut weh, weil ich den kurzen Kontakt zwischen uns noch immer in meinen Fingerspitzen spüre und ich ihn mir sehnlichst zurückwünsche.
Ich schüttle den Kopf, weil ich so dumm bin, sich zu jemanden hingezogen zu fühlen, der kalt wie ein Eisklotz ist. Ich muss diese albernen Gefühle unbedingt und so schnell wie möglich abstellen.
Auf dem Parkplatz des Blue House Inns steht ein weißes Auto, das ich nicht zuordnen kann. Hoffentlich sind es nicht schon meine neuen Gäste. Ich brauche noch ein paar Minuten, um meinen Kopf von Dylans eigenartigem Benehmen freizukriegen.
Gerade als ich die Tür ins B&B aufschließen will, drückt jemand hinter mir auf die Hupe.
Erschreckt wirble ich herum.
»Mann, muss das sein?!«, rufe ich aus, als ich meinen zwei Jahre älteren Bruder hinter dem Steuer seines blauen Chevys entdecke. Fertig ist meine Kopf-freibekommen-Zeit.
»Was ist denn mit dir los?«, fragt mich Evan aus dem offenen Fahrerfenster.
»Alle haben Freude daran, mir einen Schreck einzujagen.« Ich bin wahnsinnig schreckhaft, das weiß jeder aus meinem Bekanntenkreis, aber dass sie es auch noch ausnutzen müssen, ärgert mich manchmal.
Doch als ich Evans herzhaftes Lachen höre, vergeht mein Ärger so schnell, wie er gekommen ist.
»Was machst du hier? Hast du frei?« Ich muss meine Augen mit der Hand abschirmen, da mich die Sonne blendet.
Evan schlägt die Autotür zu und schlendert zu mir. Er hat ein enganliegendes T-Shirt und kurze Sportshorts an. Seine Füße stecken in Laufschuhen. Die Stufe auf die Veranda nimmt er mit einem großen Schritt. »Ich habe gerade einen Kunden nach Hause gebracht und da dachte ich, ich könnte einen kleinen Abstecher zu meiner Schwester machen.«
Mein Bruder ist Personaltrainer. Das sieht man seinem Körper von Weitem an. Er hat Oberarme so breit wie meine Waden. Mit seinen Kunden trainiert er im Freien sowie in seinem Fitnessstudio, das an der Main Street liegt. Je nachdem, was seine Kundschaft wünscht.
Wir umarmen uns, sobald er bei mir ist.
»Du siehst gut aus.«
»Danke.« Evan hebt sein dunkelblaues New York Yankees Cap vom Kopf, fährt sich über seine kurzgeschorenen dunkelbraunen