Das Liebesleben der Stachelschweine. Christian Schacherreiter

Das Liebesleben der Stachelschweine - Christian Schacherreiter


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von einer gemeinsamen erfolgreichen Zukunft überzeugen: „Onkel Heinz hat sich aus dem Geschäftlichen zurückgezogen. Sein Partner Dr. Ferstl ist auch schon sechzig. Dietrich, in einigen Jahren wird das unsere Kanzlei sein! Pernauer & Pernauer. Anwälte.“

      Hätte ihm nicht Onkel Harald damals den Rücken gestärkt, wer weiß, vielleicht hätte er sich überreden lassen. Dietrich hatte sich aber behauptet gegen väterliche Autorität und brüderliches Werben, und darauf war er damals, als Achtzehnjähriger, stolz gewesen. Nicht Jura, nein, Mathematik und Geografie, vor allem Mathematik. Die reine, körperlose Welt der Zahlen hatte ihn immer schon angezogen, es gab keine schönere. Das Glücksgefühl, eine knifflige Aufgabe allein durch logisches Denken lösen zu können, war schon dem Volksschüler vertraut. Als Sechzehnjähriger wurde er bei der Mathematik-Olympiade Dritter. Die Urkunde hing gerahmt im Vorraum.

      Mit Sicherheit könnte ich heute eine glanzvolle wissenschaftliche Laufbahn vorweisen, wäre mir nicht die Politik dazwischengekommen, dachte Dietrich und nahm einen kräftigen Schluck aus dem Verbindungskrug. Zwei lange Studienjahre hatte er mehr Zeit mit Hochschulpolitik und Kneipkonvent verbracht als mit Mathematik. Das war der Fehler! Ehrgeizige Kommilitonen zogen an ihm vorbei und besetzten die wenigen Planstellen für wissenschaftliche Assistenzen. Der Name Dietrich Pernauer war zwar bekannt am Institut, aber nicht als fachliche Koryphäe und Zukunftshoffnung. Er war dieser Burschenschaftler in der Studentenvertretung, ansonsten unauffälliger Durchschnitt.

      Als er eines Tages ermüdet war von rhetorischer Kraftmeierei, parteipolitischer Konspiration und Machtspielchen im Vorhof der Politik, war es zu spät. Dietrich verließ die Universität als Magister und musste artig danke sagen zu einem Alten Herrn aus seiner Verbindung, der ihm zu einer glanzlosen Beamtenstelle im Landesdienst verhalf.

      Der Sonntag wurde lang und länger, der Himmel trüber. Regenwetter. Ein drittes Bier vielleicht? – Pfui, Dietrich, nicht um halb fünf! Disziplin und Rückgrat! Lass dich nicht so treiben! Ich sollte wieder einmal eine Mensur schlagen, dachte er. Seine letzte lag fast zehn Jahre zurück, seine erste mehr als zwanzig. Er war ziemlich eingerostet. Wollte er wieder einmal bestehen Mann gegen Mann, vielleicht ein letztes Mal in seinem Verbindungsleben, müsste er vorher viele Stunden auf dem Paukboden einplanen, damit ihm der Kontrahent nicht schon im ersten Fechtgang die Birne demolierte.

      Die Erinnerung an seine erste Mensur war bestens erhalten: die wochenlange Vorbereitung, die mühsame Gewöhnung an Körperschutz und Kampftechnik, die Einübung in das Regelsystem. Und dann der große Tag. Die Wahl der Klinge, beraten von Rüdiger, dem Fechtwart, die aufmunternden Worte der Bundesbrüder. Dann kam der Paukgegner, ein Vandale, an seinen Namen erinnerte er sich nicht mehr, aber etwas größer war er, etwas kräftiger, älter, erfahrener mit Sicherheit und ganz auf Offensive trainiert.

      Dietrich hingegen war ein Meister der raffinierten Abwehr. Selbstkontrolle, das war seine Stärke. Vierzehn Gänge hatte er tapfer durchgehalten, war nicht zurückgewichen. Standhalten! Koste es, was es wolle! Im fünfzehnten Gang sauste der Korbschläger des Vandalen rasiermesserscharf über Dietrichs Stirn. Contenance! Bloß kein Aufschrei! Die Wunde war nicht sehr tief, schmerzte nicht übermäßig, blutete aber beeindruckend. Wie das herunterfloss über Stirne und Wangen, das Unterhemd rötete. Zurück aus der Schlacht. Bluten für die Galerie.

      Die Bundesbrüder sparten nicht mit Anerkennung. Der Paukarzt versorgte Dietrichs Kopf mit sechs Nähten, natürlich ohne Betäubung. Ha, ein kräftiger Schluck vom Korn genügt. Der ritterliche Handschlag mit dem Paukgegner. Die Bierkrüge. Das Trinkopfer! Alles ehrenhaft. Um Sieg und Niederlage geht es nicht. Schon gar nicht um Feindseligkeit. Eine Mensur ist kein Duell. Keinem ist hier die Ehre abgeschnitten worden. Beide haben Ehre, weil sie dem ehrlichen Kampf nicht ausweichen. Ein Kerl, der die Mensur schlägt, beweist Charakter, Willenskraft. Auf so einen kann die Gemeinschaft zählen. Das ist der tiefe Sinn des Rituals. Dietrich trug seinen Schmiss mit Stolz. Warum, das verstehen nur wenige.

      Hannelore hatte es auch nicht verstanden. Es ist schon interessant, dachte Dietrich, wie konsequent in der Familie über sie geschwiegen wird. Hannelore, das verlorene Schaf, das keiner zu vermissen scheint. Wie lange war sie schon weg? Wie alt ist sie jetzt? Achtundvierzig. Abgehauen ist sie mit sechsundzwanzig. Das war vielleicht ein Drama! Hannelores Abschiedsbrief … dieser Hass! Der Fluch unserer Nazifamilie hatte sie geschrieben, … eine Familiengeschichte aus Gewalt, Niedertracht, Selbstgefälligkeit und Lüge … Flucht als einzige Überlebenschancedie einzig mögliche Rettung meiner Seele sogar und ähnlich pathetisches Zeug.

      Mutti brach zusammen, lag eine Woche in der Psychiatrie. Vati trug es mit Haltung, obwohl ihm die designierte Nachfolgerin abhandengekommen war. Hannelore hatte soeben ihr Medizinstudium abgeschlossen, hätte irgendwann die Ordination übernehmen sollen. Das ist nur der Zeitgeist, sagte Vati, Autoritätskrise und Feminismus. Das geht vorüber. In einem halben Jahr ist die verlorene Tochter wieder bei uns. Ihr Kern ist gut. – Mutti gab den Familienaufstellungen schuld, die Hannelore besucht hatte. Das müsste man verbieten, sagte sie, da wird doch nur Schmutzwäsche gewaschen. Nach diesen Wochenenden war Hannelore immer so aufgewühlt. Krank ist das, wahrscheinlich haben es die Juden erfunden.

      Einmal im Jahr schickte Hannelore an Hildegard ein kleines, schwaches Lebenszeichen. Als es zum ersten Mal angekommen war, hatte Mutti den Brief noch vorgelesen: Du bist und bleibst genauso verstrickt in diese verfluchte Familie wie alle anderen. Dennoch bleibst du meine Mutter und hast ein moralisches Recht zu erfahren, wie es deiner Tochter geht. Was dann folgte, war kaum zu glauben. Hannelore war am Amazonas, kümmerte sich um Ureinwohner mit Steinzeitgesichtern, trug auf diese Weise Familienschuld ab, wie sie schrieb. Wir sollten ihr dankbar sein.

      Dietrich verschwieg, dass Hannelore ihn vor ihrer Abreise ins Vertrauen gezogen hatte, nur ihn. Reinhard und Reingard sind zu jung, hatte sie gesagt, Joachim ist ein zynisches Arschloch, aber du, Dietrich, du bist der Empfindsamste von uns allen. Du bist der einzige, der mich verstehen könnte, wenn du nur wolltest! – Der Empfindsamste? Was für ein Unsinn! Das wollte er nicht sein, das war er nicht. Ein Neugermane hat das Herz auf dem rechten Fleck, aber er ist nicht empfindsam.

      Hannelores Ermutigung, er solle auch Tabula rasa machen, alle Brücken abbrechen, woanders ganz neu beginnen, hatte ihn verstört. Brüsk hatte er zwar ihren heißen Appell zurückgewiesen (Ein Pernauer desertiert nicht!), aber im dunklen Hintergrund hatte er sich dauerhaft festgesetzt und trat gelegentlich ans Tageslicht. Hätte ich vielleicht wirklich …? Habe ich da wieder einmal etwas falsch gemacht? Wäre ich heute glücklicher und freier, wenn …?

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