Das Liebesleben der Stachelschweine. Christian Schacherreiter

Das Liebesleben der Stachelschweine - Christian Schacherreiter


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auch die ungerechten, sozusagen.“

      „Birgit, ich hab es satt!“

      „Was denn?“

      „Ich lasse mich nicht von meiner eigenen Frau als skrupellosen Geschäftemacher und eitlen Karrieristen hinstellen. Noch dazu vor meinem Bruder!“

      Bitte, nein, dachte Dietrich, holt jetzt bloß nicht mich in euren Boxring. Ich will nicht der Kampfrichter sein. Aber es war zu spät. Die erste Runde war schon eingeläutet. Birgit legte Protest ein.

      „Hab ich Joachim als eitlen Karrieristen und skrupellosen Geschäftemacher bezeichnet? Dietrich, hab ich das?“

      „Nnnein, nicht direkt …“

      „Nicht direkt! Hörst du? Nicht direkt! Natürlich nicht direkt! Aber indirekt! Birgit, ich kenne dich ja so gut, das Spiel über die Bande, das beherrschst du ausgezeichnet.“

      „Ich weiß zwar nicht, was ein Spiel über die Bande ist …“

      Dietrich hob die Hand und sagte: „Hallenfußball! Oder Eishockey.“ Er setzte so eifrig zur Erklärung an, als wäre er hier der Klassenbeste. „Das Spiel über die Bande funktioniert zum Beispiel so: Der Verteidiger steht in der eigenen Hälfte, der Angreifer in der gegnerischen, dazwischen die Abwehr …“

      Birgit interessierte sich leider nicht für die Spieltechnik, und Joachim kannte sie schon. Dennoch hatte Dietrichs nervöser und scheinbar unangebrachter Exkurs in den Mannschaftssport die Kampflaune des Paars abgekühlt. Birgit räumte den Tisch leer und sagte halb spöttisch, halb beleidigt: „Dann sorg ich mal für die Nachspeise. Wie sich’s gehört für die brave deutsche Frau.“

      Dietrich wusste nicht, wie er nach Birgits stolzem Abgang in die Küche weitermachen sollte.

      „Nimm dein Glas mit“, sagte Joachim, „dann drehen wir eine Runde durch den Garten. Wundere dich bitte nicht über gewisse Spannungen. Bei uns ist seit Wochen dicke Luft.“

      „Oje, Eheprobleme …“

      „Ja und nein. Ich meine, nicht das Übliche, also, es geht nicht um eine Affäre oder so etwas.“

      „Sondern?“

      „Du weißt ja, dass mich Herbert nach Wien holen wollte.“

      „Herbert?“

      „Stichwort Innenministerium.“

      „Nein, das weiß ich nicht.“

      „Ach, hab ich dir das nie erzählt? Na, egal, nach dem Ibiza-Schlamassel ist das sowieso Schnee von gestern. Wir sind nicht mehr in der Regierung und Herbert ist nicht mehr Minister. Er ist aber sicher der kommende Mann in der Partei. Dietrich, ich habe den Fünfziger hinter mir, wenn ich noch einmal ganz vorne mitspielen will, dann muss ich jetzt am Ball bleiben.“

      „Ja, klar, versteh ich.“

      „Birgit ist dagegen.“

      „Warum?“

      „Politische Bedenken, wegen Herbert. Wenn man schon in einer rechten Partei ist, dann soll man wenigstens nicht an ihrem rechten Rand stehen.“

      „Sagt sie …“

      „Ja, es ist ihr peinlich. Du weißt, ihre Eltern, ihr liberales Umfeld. Und wenn ich ihr erkläre, dass es mir nicht um rechts oder weniger rechts geht, sondern um vorne oder hinten, dann nennt sie mich zynisch. Ich nenne das pragmatisch. Der Wille zur Macht, das ist etwas Natürliches. Ist doch so!“

      Na also, Burgfrieden, dachte Dietrich, als Birgit die Nachspeise brachte und Joachim einen versöhnlichen Kuss auf ihre Wange andeutete. Alle drei bemühten sich um Risikominimierung in der Themenwahl. Womit er derzeit beruflich zu tun habe, fragte Joachim den Bruder, und Dietrich erzählte etwas zu ausführlich von seiner statistischen Untersuchung zur Nutzung von Güterwegen. Der Abend hatte an Schwung verloren, und auf das Thema Wutscherhäusl kamen sie erst wieder, als sich Dietrich von Birgit verabschiedet hatte und Joachim seinen Bruder zum Gartentor begleitete.

      „Wie machen wir weiter? Wann reden wir mit Mutti?“, fragte Dietrich.

      „Ich ruf dich nächste Woche an, Dietrich, und danke! Ich weiß deine Loyalität zu schätzen.“

      4 Der lärmempfindliche Maulwurf war Dietrichs Lieblingstier

      In Onkel Haralds Wohnzimmer hing – soweit Dietrichs Erinnerung zurückreicht – immer diese billige Reproduktion eines Ölgemäldes aus den Dreißigerjahren. Es zeigte einen vierschrötigen, auf ungehobelte Art gesunden, anmaßend grinsenden Männerschädel mit schräg aufgesetztem, schmalkrempigem Bauernhut vor einer winterlichen Berglandschaft im Sonnenlicht. Ein Geschenk aus sehr lieber Hand, hatte der Onkel gesagt und tiefgründig gelächelt.

      Dietrich fand das Gemälde abstoßend. Als er nach Haralds Tod dessen Wohnung geerbt hatte, entfernte er den vorwitzigen Bauernplutzer nicht nur, er zerstörte ihn mit einer für ihn selbst unerklärbaren Wut, indem er das Bild in kleine Stücke schnitt und diese anzündete. Dietrich hielt das Fanal fest und gab seiner Fotografie den Titel Verbrennung eines rotzfrechen Knechts.

      Über dem Sofa, wo der entfernte Naturbursche eine helle Fläche hinterlassen hatte, brachte Dietrich die hübsch gerahmte Großaufnahme eines Maulwurfs an. In augenloser Zufriedenheit lag das Pelztierchen auf einem frisch aufgeworfenen Humushügel, umgeben von einer frühsommerlichen Blumenwiese. Die großen Grabekrallen standen seitlich ab und das rosige Schnäuzchen, aus dem einige dünne Härchen herauswuchsen, überragte wie ein kleiner Sendemast das breite, schweigsame, gutmütig dumme Maul.

      Der lärmempfindliche Maulwurf war Dietrichs Lieblingstier. Er lebt und wirkt im Verborgenen, wirft aber, des Beifalls vielleicht doch bedürftig, Zeichen seiner Tätigkeit auf. Darüber ärgern sich die Menschen und verfolgen die unschuldige Kreatur. Dietrich war als Achtjähriger Zeuge einer abscheulichen Maulwurfsjagd geworden. Als im Garten des Wutscherhäusls der achte Hügel aufgeworfen worden war, lauerten Vati und Onkel Heinz dem unerwünschten Gartengast auf. Keine zehn Minuten hatten sie in konzentrierter Jagdhaltung zugebracht, da bewegte sich das Erdreich. So verriet das ahnungslos ackernde Tier seinen Standort. Jetzt!, rief Vati. Onkel Heinz rammte blitzartig den Spaten in die Erde und beförderte den zitternden, zappelnden Maulwurf an die Oberfläche. Bevor das Tier seinen Schock überwinden und flüchten konnte, drosch Vati die breite Fläche einer langstieligen Gartenschaufel wuchtig darauf. Onkel Heinz, angetan mit grobem Schuhwerk, Wadenstutzen und Knickerbocker, sprang, ein entschlossenes Hopp! rufend, darauf und trampelte auf der Schaufelfläche herum. Erledigt!, sagte Vati. Heinz Albert stieg von der Schaufel. Als Vati sie weghob, zeigte sich den wohlig erregten Jagdgästen ein formloser Matsch aus Blut, Fell und Innereien. Weidmannsheil!, sagte Vati. Weidmannsdank!, sagte Heinz. Mittagessen!, rief Tante Berta und klatschte in die Hände. Dietrich kotzte.

      Wenn einem Lebewesen grobes Unrecht widerfährt, davon war Dietrich überzeugt, dann ist es der Maulwurf. Man unterstellt ihm, er fräße die Wurzeln der Gartenpflanzen an. Das stimmt aber nicht, er ernährt sich von Schnecken, Engerlingen, allerlei Gewürm. Großzügig betrachtet erweist er sich als Nutztier, aber man dankt es ihm nicht. Einiger unerheblicher Erdhaufen wegen schimpft man den Maulwurf eine Landplage und ignoriert seinen wohltätigen Fleiß, seine Verdienste um ein lockeres Erdreich, sein in unauffälliger Bescheidenheit vorgeführtes Können unter Tage.

      Hätte man mir, dachte Dietrich, vor drei Jahren, als der Hofrat Birkel endlich in den Ruhestand trat, die Abteilungsleitung anvertraut, was könnte ich heute alles bewirken! Was könnte ich einbringen an Ideen für Projektentwicklung und Strukturreform! Aber nein, man befördert mich nicht! Im Gegenteil, man demütigt mich, indem man mir diesen Kerzenschlucker vor die Schnauze setzt, diesen Parteigünstling, diesen Quadratschädel! Meine Bewerbung haben die Herrschaften nicht einmal in Erwägung gezogen. Die Einladung zu einem Gespräch wäre wohl das Mindeste gewesen, und wenn sie nur aus Taktgefühl erfolgt wäre. Aber bitte, dann eben nicht! Dann eben Dienst nach Vorschrift! Mehr hat man von mir nicht mehr zu erwarten.

      Dietrich holte eine


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