Das Liebesleben der Stachelschweine. Christian Schacherreiter

Das Liebesleben der Stachelschweine - Christian Schacherreiter


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Anerkannten

      „Ich will mit dir reden, Dietrich, du bist beruhigend vernünftig, eine Anlage, die in unserer Familie leider Seltenheitswert hat … Sobald wie möglich, Lieber. Samstag zum Beispiel, hast du da schon was vor? Wie wär’s mit einem gepflegten Abendessen bei uns? Ich hab noch Wildlachs von der Alaska-Reise, selbst gefangen. Du, der wird dich begeistern!“

      Mein großer Bruder will mit mir reden, mit mir, dem Vernünftigen. Er braucht mich, er baut auf mich. Dietrich genoss das festigende Gefühl des Anerkannten. Wie lange war das her, dass Joachim ihn zum Essen eingeladen hatte! Ihn allein nämlich, nicht gemeinsam mit Mutti, der er als Chauffeur zweckdienlich war. So verbindet Joachim das Unerhebliche mit dem Nützlichen.

      Dietrich hatte sich schick herausgeputzt, war guter Laune. Sportlich elegant stand er vor der Villa, in der Rechten den Strauß für Birgit, in der Linken die Cognacflasche im Geschenkkarton. Birgit und Joachim begrüßten ihn mit wasserfester Herzlichkeit und eskortierten ihn auf die Terrasse. Im Sommerabendlicht nahm der selbst gefangene Alaska-Lachs schon Bräune an, und dieser Weißburgunder, „der, lieber Bruder Dietrich, wird dich in höhere Sphären heben.“

      Joachim hat so richtig Stil, dachte Dietrich, Birgit sowieso. Antipasti und Hauptgericht untermalten sie mit leichtgewichtiger, heiterer Konversation, erzählten Anekdotisches von Jens und Nils.

      „Apropos, wo sind denn eure zwei Racker?“

      „Im Pfadfinderlager, die beste Lebensschule“, sagte Joachim und ließ Erinnerungen an die eigene Kindheit folgen: Turnverein, harmlose Bubenstreiche, väterliche Strenge. „Und? Hat es uns geschadet? – Na also.“

      Birgit ist plötzlich so schweigsam, dachte Dietrich, und weil er gerne ihre angenehme Altstimme hören wollte, warf er ihr ein motivierendes Stichwort zu: „Eure Buben entwickeln sich prächtig.“

      Birgit lächelte dankbar. Kein Wort dazu? Keine weitere Beispielerzählung aus dem wirklichen Leben, die Dietrichs Neffenlob bewies? Nicht einmal ein spontanes O ja, sie machen uns viel Freude! Stimmte da etwas nicht?

      Nach dem Hauptgang holte Joachim die Zigarren und kam zum Thema. „Medias in res, Dietrich, du ahnst wahrscheinlich, worüber ich mit dir reden will.“

      „Das Wutscherhäusl.“

      „In der Tat.“

      Joachim ging ins Detail: das Wellness-Projekt, von unschätzbarem Wert für diese schwache Region, die dringend Arbeitsplätze braucht; die finanzielle Potenz der Investoren; die Handschlagqualität von Sergej. „Ein Mann mit dem Herz auf dem rechten Fleck und dem Hirn im richtigen Körperteil, wenn du verstehst, was ich meine. Und last not least – so viel Englisch darf schon mal sein in einem deutschen Haus – cash! Das runde Sümmchen, das man uns anbietet, kann sich sehen lassen. Jetzt sag, Dietrich, das wäre doch die Dummheit des Jahrzehnts, diese Chance nicht zu nutzen.“

      Dietrich lehnte sich zurück mit dem Pokerface des Geschäftsmanns, blies die Backen auf und den Zigarrenrauch aus. „Klar wie Leitungswasser. Ich bin völlig deiner Meinung.“

      Joachim hob das Cognacglas. „Ich würde jetzt gerne sagen: Mir fällt ein Stein vom Herzen. So ist es aber nicht. Ich hatte keine Sekunde einen Zweifel, dass du die Sache so siehst wie ich. Jetzt geht es nur noch darum, Mutti zu überzeugen.“

      „Was hat sie dagegen? Und vor allem: Was hält sie dagegen?“

      „Sentimentalitäten! Du kennst mich, Dietrich, Familie ist mir heilig, aber dieses Schmierentheater rund ums Wutscherhäusl, das ist doch alles Sage und Legende. Wer von uns interessiert sich denn wirklich noch für das Ding?“

      „Reingard“, sagte Birgit, „behauptet sie zumindest.“

      „Ja, Reingard!“ Joachim lachte höhnisch und wurde lauter. „Reingard ist der zickigste Trampel zwischen Atlantik und Ural!“

      „Joachim, bitte, die Nachbarn.“

      „Ist doch wahr. Ihr Köpfchen ist außen so schön, wie es innen hohl ist. Nie ist sie im Wutscherhäusl! Nie! Das ist ihr alles zu unbequem. Keinen Finger krümmt sie. Hat sie jemals einen Putzlappen in die Hand genommen? Ganz zu schweigen von Hammer und Rasenmäher! Was will sie also?“

      „Sie will, dass Waldemar das Wutscherhäusl kauft“, sagte Birgit.

      „Und? Kauft er?“, fragte Dietrich.

      „Nie und nimmer!“ Joachim war da ganz sicher. „Wahrscheinlich möchte er sogar, der verliebte alte Esel, aber seine Frau macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Ohne ihre Zustimmung kann er solche Beträge nicht loseisen. Und wisst ihr, was ich euch sage? Ich verstehe diese Annegret, ja, ich verstehe sie. Was erwartet man denn von ihr? Dass sie der jungen Geliebten ihres Göttergatten die Herzenswünsche erfüllt? Annegret ist eine Frau mit Stolz und Rückgrat, nicht so eine würdelose Masochistin wie Rebekka.“

      Joachim seufzte und griff zur Cognacflasche. „Willst du auch noch?“ Dietrich nickte.

      „Alles klar, Joachim, aber was kann ich für die Sache tun?“

      „Wir müssen noch einmal mit Mutti reden. Du und ich, gemeinsam hebeln wir den Schwachsinn aus, den ihr Reingard einredet.“

      Gemeinsam, dachte Dietrich in sanfter Trunkenheit, wir zwei, die Vernünftigen. Seit Jahren hatte er keine so gute Stunde mehr genossen wie jetzt, an diesem milden Sommerabend. Angereichert mit Speis und Trank, das Cognacglas in der einen, die immer noch glimmende Zigarre in der anderen Hand, in ernster, fester Kameradschaft mit seinem großen Bruder, der seine Hilfe brauchte. Und da sie in ihrem Urteil über die dumme, narzisstische, freche kleine Schwester so unzerstörbar einig waren, lag es nahe, ihr männliches Pendant, den faulen, gerissenen Hochstapler Reinhard auch gleich abzuhandeln, sozusagen im Gesamtpaket. Was getan ist, ist getan. Dietrich fühlte vor.

      „Welche Rolle spielt denn eigentlich unser flanierender Weltensammler in diesem Drama?“

      Joachim antwortete nur mit einer wegwerfenden Handbewegung, aber Birgit überraschte: „Keine so üble, finde ich.“

      „Du meinst, er hält sich raus.“ Joachim wollte einem möglichen Missverständnis vorbeugen. „Das ist keine Leistung. Er hat in dieser Sache, nüchtern betrachtet, nichts zu erben.“

      Birgit erinnerte lachend an die kleine Szene, die Reinhard bei der Abreise vom Sonnwendfest zum Besten gegeben hatte. Loslassen, hat er gesagt, einfach nur loslassen! Nehmt euch zurück und nicht so wichtig. Fragt doch das Wutscherhäusl selber, was es will. Breitbeinig hatte er sich vor die Haustür gestellt und gerufen: He, Wutscherhäusl, willst du deinen irdischen Weg beenden? Aus Ziegel, Mörtel, Stein und Holz bist du gemacht, zu Bauschutt wirst du werden! Früher oder später! Durch Wettergötter oder Russengold!

      „Dieser Spinner“, brummte Joachim.

      „Ja, einerseits“, sagte Birgit, „er muss sich halt immer inszenieren. Aber andererseits, vielleicht lebt man mit so einer Einstellung wirklich leichter und freier.“

      „Hippie-Flausen“, sagte Joachim.

      „Vielleicht. Aber wenn einer nichts anderes im Kopf hat als Vermögen und Karriere, sind das auch Flausen, andere Flausen, aber Flausen.“

      Birgit starrte trotzig auf den Wasserkrug und Dietrich spürte, dass sich in Joachim jetzt etwas Undeutliches, aber Starkes und Grundsätzliches aufrichtete.

      „Das geht wahrscheinlich gegen mich, ja? Das geht wieder einmal gegen mich.“

      Es wäre für Birgit ein Leichtes gewesen, das aufziehende Unwetter vorbeizuwinken. Ein sanftes Natürlich nicht, mein Schatz oder ein empathisches So etwas würde ich dir nie unterstellen, Liebster hätte gereicht. Dietrich hoffte sehr auf einen dieser Sätze, aber Birgit sagte einen anderen: „Wenn du dich betroffen fühlst.“ Und das fiel auch noch schnippisch aus. Dietrich war unglücklich.

      „Ich fühle mich keineswegs betroffen“, sagte Joachim.

      „Dann kannst du ja gelassen bleiben.“

      „Die


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