Angst im Systemwechsel - Die Psychologie der Coronazeit. Jürgen Wächter
Pandemie und ihrer Zwangsmaßnahmen nehmen und manipulieren läßt.“5 Dr. Wolfgang Wodarg schrieb entsprechend: „Ich verstehe nicht, dass die Menschen so blöd sind“6 und Professor Max Otte meinte zu den Coronamaßnahmen: „Völlig irre, aber die Mehrheit schluckt es“.7 Erst mit der Zeit wurde es immer deutlicher. In der Coronazeit geht es hauptsächlich um Angst. Angst vor dem Virus, Angst vor den Regierungen, Angst vor dem Verlust des Jobs, Angst vor der Insolvenz, Angst vor Isolation. Dazu Ängste, die man manchmal gar nicht näher erklären kann. Angst ist die Schlüsselemotion zum Verständnis der Coronazeit. Hinsichtlich der Dummheit politischen Handelns schrieb Thilo Sarrazin völlig zu Recht: „Das Problem liegt eben nicht auf der Ebene des Verstandes …, sondern auf der Ebene der Gefühle“.8 Und der bekannte Münchner Facharzt Dr. Martin Marianowicz erklärte, dass unser Hauptproblem nicht das Virus ist, sondern die Angst.9 Der stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP, Wolfgang Kubicki, sagte schon im Mai 2020: „Ich verstehe nicht, warum den Menschen Angst gemacht wird“.10 Eine Frau äußerte im WDR: „Da passiert durch die Angst, dass die Eltern sich nicht mehr trauen, die Kinder vor die Tür zu lassen. Es ist Wahnsinn, was in diesem Land abgeht, aber auch weltweit. Wie kann denn eine ganze Welt in sechs Monaten so lahmgelegt werden. Was passiert hier?“11
Dabei ist Angst in den deutschsprachigen Ländern gar kein so neues Phänomen. Bereits in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts entstand der Begriff der „German Angst“ aus der für „internationale Beobachter rational wenig nachvollziehbaren Art, wie Politik und Medien … in Deutschland auf die sich verstärkt stellende Umweltproblematik im Kontext des Waldsterbens und des Atom-GAUs in Tschernobyl reagierten“.12 Das Thema Angst gewann unter den Menschen immer größere Bedeutung13 und die German Angst fand viele neue Themen. Immer mehr wurde plötzlich als Bedrohung angesehen, Dinge, über die man sich vorher kaum Gedanken gemacht hatte. Aber nun tauchten sie auf.
Nach der Atomkraft ergänzte eine Angst nach der nächsten unseren Panikvorrat. Angst vor dem Ozonloch, ungesunde Nahrung von unseren Äckern, Angst vor Alkohol, Zucker und Fett, Angst vor der Zerstörung unserer Umwelt, vor Waldsterben, der Verschmutzung der Meere, dem Bevölkerungsanstieg, Angst vor den Nebenwirkungen von Medikamenten, Genmanipulation, der Rentenlücke, einer Unterbrechung der Kühlkette, Arbeitslosigkeit und Klimawandel. Ebenso vor Nikotin, Feinstaub, islamischem Terror, Drogen, Überwachungskameras, den Rechten, den Linken, der AfD, den Russen, den Amerikanern, dem Meeresanstieg, Ausländern, Nazis, Aliens, der Gletscherschmelze auf Grönland, den Reichsbürgern, den Kommunisten, Nitrosamin in Bratwürsten, Glutamat in der Fertigpizza, Darmkrebs, Glyphosat auf dem Acker, Angst vor Salmonellen in Eiern und im Pudding von Altenheimen, Angst vor Elektrosmog, Ölunfällen, Autounfällen, Flugzeugabstürzen, Asteroideneinschlägen und vor Ferienwohnungen ohne Rauchmelder. Manche dieser Ängste verschwanden wieder, wie die vor dem Ozonloch, andere hielten sich oder wurden immer weiter verstärkt. In einer Schule in Osthessen verbot ein Schulleiter den Kindern sogar, Schnee anzufassen, denn dann könne kein Kind mit Schnee werfen und niemanden verletzen. Die Eltern der Kinder reagierten entsprechend: „Wie krank muss ein Schulleiter eigentlich sein?“14 Angst hat er, der Verantwortliche für was auch immer zu sein.
Nun könnte man „sehr einfach“ sagen: „Die heutige Gesellschaft hat Angst vor dem Leben. Sie zeigt Furcht, das zu verlieren, was sie ausmacht“15, und Professor Dr. Meinhard Miegel meinte schon 2016: „Die deutsche Bevölkerung ist heute eine fragile, ängstliche und weitgehend erstarrte Bevölkerung.“16 „Dabei ist gerade diese Angst, betrachten wir sie als gesellschaftliches Phänomen, ein Gradmesser dafür, dass wir uns möglicherweise als Gesellschaft in eine falsche Richtung bewegen. Weg von humanitären Werten oder von dem, was menschlich ist.“17
In der Vergangenheit wurde versucht, die Dinge, vor denen Ängste bestanden, in der Sache zu ändern. So folgten eine Flut von Vorschriften darüber, was nicht in unser Essen gehört, welche Abgaswerte an Autos und Industrieanlagen einzuhalten sind, wie weit Gentechnik genutzt werden darf, wie stark Äcker mit welchen Mitteln besprüht werden dürfen, wie häufig Kontrollen in Lebensmittelbetrieben, Chemieanlagen und Bratwürstchenbuden zu erfolgen haben. Technische DIN-Regeln18 wurden immer mehr erweitert und Reichsbürger werden überwacht. Aber hat das alles unsere Angst genommen? Noch nicht? O. k., dann stellen wir noch mehr Verkehrsschilder auf, damit nichts passieren kann, verringern noch mehr die Geschwindigkeiten auf unseren Straßen. Wo früher 70 km/h erlaubt waren, ist nun eine Tempo-30-Zone und auf Autobahnen kommt man kaum noch über 130. Am besten, wir senken die Geschwindigkeit auf null, dann kann bald nichts mehr geschehen.
Wo früher eine Baustelle mit dünnen Dreizackstangen und rotweißem Flatterband gesichert war, da sind es heute schwere und große Absperrbaken zu Dutzenden und die sind manchmal für Autofahrer so aufgestellt, dass sie gefährlicher als die eigentliche Gefahrenstelle sind. Aber wenigstens hat man etwas getan. Ach, wäre ich doch noch einmal zwanzig Jahre alt, dann würde ich im Jahr 1982 eine Firma für solche Absperrbaken und Straßenschilder aufmachen; ich wäre heute mehrfacher Millionär bei solch einem Umsatz. Aber nicht nur dieses Gewerbe hat profitiert. Auch die Hersteller von Alarmanlagen, Tür- und Fenstersicherungen, Überwachungskameras und Sicherheitsdienste sind aufstrebende Branchen.
Angst war es, die das Vorsorgeprinzip immer mehr zur Vormacht brachte. Und diese Angst beschränkte sich bald nicht mehr auf die deutschen Staaten allein. Frank Furedi sprach schon 2002 von einer Angst- und Vorsorgekultur in den westlichen Gesellschaften19 und 2007 wies der amerikanische Rechtsphilosoph Cass Sunstein auf die Überbetonung des Vorsorgeprinzips in den westlichen Gesellschaften hin.20 Doch all das führte nicht dazu, dass die Angst weniger wurde. Denn Angst lässt sich nicht einfach dadurch abbauen, dass wir die Situation ändern. Angst ist in uns.
Das lässt sich sehr schön an der 2018 aufgekommenen Angst vor Feinstaub in der Luft erkennen. Wann war denn die Luft dreckig und wann sauber? Fakt ist, in meinem Leben seit 1962 war die Luft noch nie so sauber wie heute. Als Kind forderte die SPD auf Wahlplakaten den blauen Himmel über der Ruhr. Und tatsächlich war es dort eher grau und braun und dreckig und stinkend. Das ist aber durch viele Umweltmaßnahmen vorbei. Der blaue Himmel ist da. Als ich 1989 nach der Grenzöffnung Eisenach besuchte, qualmte über jedem Haus ein Schornstein Braunkohlenasche in die Luft, die Industrieanlagen bliesen Schadstoffe hinaus, wie wir es uns heute kaum noch vorstellen können. Sie wurden ebenso erneuert wie die stinkenden Trabbis, und ebenso verschwanden Blei und Schwefel aus dem Benzin. Das Immissionsschutzrecht wurde weiter verschärft, Heizungen saniert, Motoren und Verbrennungsanlagen optimiert und mit Filtern und Katalisatoren ausgestattet. Alles das war richtig und half unserer Umwelt und unserer Gesundheit. Nun ist die Luft in Mitteleuropa so sauber wie wohl seit hundert Jahren nicht mehr. Das zeigen sogar einige Flechten und Moose an den Rinden von Straßenbäumen, die teilweise ganz verschwunden waren, da sie verschiedenste Schadstoffe nicht ertragen können. Nun kehren sie zurück. Unsere Luft wird besser und besser. Das heißt nicht, dass wir sie nicht noch sauberer bekommen können. Wir sollten weiter daran arbeiten; Verunreinigungen sollten so weit wie eben möglich minimiert werden. Aber dass jetzt eine Angst vor Feinstaub aufkommt, ist völlig irre. Hätten die Menschen im Ruhrgebiet oder in der DDR damals Angst gehabt, und es gab ja tatsächlich heftige Atemwegserkrankungen durch Schadstoffe, dann wäre das erklärbar gewesen. Aber jetzt, wo alles schon relativ gut geworden ist, noch eine Panikwelle? Das hat mit den Luftwerten nichts mehr zu tun. Da steckt etwas anderes, Psychologisches, hinter.
„Da Angst ansteckend ist, kann sie zum vorherrschenden sozialen Trend werden.“21 Hendrik Streeck, Chefvirologe der Universitätsklinik Bonn, betonte zu Recht, dass es „zu viel Angst“ gebe, und sieht „das Problem in den Köpfen der Menschen“.22 „Zwei von fünf Menschen in Deutschland leiden heute unter einer leichten Angst, jeder 10. wird von seiner Angst im Alltag stark behindert.“23 „Laut einer DAK-Studie zeigt jedes vierte Schulkind in Deutschland psychische Auffälligkeiten. Mit Corona hat sich ihre Belastung noch verschärft. Viele Kinder leiden still.“24 Stäheli schrieb schon 2013: „Das ‚fear marketing‘ gedeiht in einer ‚Angstkultur‘ besonders gut, ist die Angst doch die Kehrseite einer Kultur, die Sicherheit dadurch steigert, dass immer neue Quellen der Unsicherheit geschaffen werden.“25 Die Coronaangst ist somit nicht unbedingt etwas Neues. Die Angst hat nur ein neues Objekt gefunden, ein Virus.
„Angst regiert überall in der angeblich freien