Verwildert. George Monbiot
einzige Phänomen ist, das auf ein solches Verlangen verweist. Man vergegenwärtige sich nur die verbreitete und andernfalls unerklärliche Reaktion auf den Tod von Raoul Moat. Moat wurde 2010 aus dem Durham-Gefängnis entlassen, nachdem er eine Freiheitsstrafe wegen Kindesmisshandlung abgesessen hatte. Mit einer abgesägten Schrotflinte und vielleicht von »Roid Rage« gepackt – jener explosiven irrationalen Wut, wie sie Bodybuilder bei Einnahme von Steroiden befällt – zog er los, um mit seiner früheren Freundin und der Polizei eine vermeintliche Rechnung zu begleichen. Er schoss seiner Ex-Partnerin in den Bauch und tötete ihren Freund, dann feuerte er einem Polizisten ins Gesicht, der dadurch erblindete.
Polizeibeamte aus acht Polizeieinheiten wurden mobilisiert, um ihn dingfest zu machen, aber fast eine Woche lang konnte er immer wieder entkommen. Er lebte im Freien, schlief in Abwasserkanälen und verlassenen Gebäuden. Auf dem Höhepunkt der Fahndung waren zehn Prozent der diensthabenden Polizeibeamten in England und Wales für seine Jagd im Einsatz. Teile von Northumberland wurden evakuiert. Als er schließlich gestellt wurde, hielt Moat die Polizei sechs Stunden hin, bevor er sich selbst in den Kopf schoss.
In anderen Worten, er war das Gegenteil von einem Helden: er hat Kinder misshandelt, gemordet, unbewaffnete Menschen verstümmelt. Doch noch immer, lange nach Moats Tod, erscheinen auf Facebook-Seiten Lobgesänge auf ihn.* Hier ein paar Beispiele:
R.I.P. Sir Raoul Thomas Moat – Ein wahrer Volksheld. Sir Raoul wurde von der Polizei Northumbrias kaltblütig ermordet. Wer das Geräusch einer abgefeuerten Schrotflinte kennt, weiß, dass er sich nicht umgebracht hat. Wir werden dafür kämpfen, dass dir, unserem tapferen gefallenen Soldaten, Gerechtigkeit widerfährt.
R.I.P. Raoul, Du warst ne echte LEGENDE! Werden dich vermissen, Kumpel! Wären doch die Leute wie du, nicht lange rumreden und tun, was man vorhat! DENKE DU HÄTTEST NOCH WEITER GEHEN KÖNNEN! R.I.P. KUMPEL FELS IM HIMMEL FELS HIER UNTEN! TOTALE LEGENDE
Ein echter Volksheld … Krank, wie unser Nationalschatz behandelt wurde. R.I.P. Sir Raoul Moat, verschieden, aber unvergessen.
Es gibt tausende solcher Nachrichten, gepostet von Männern wie Frauen. Moat scheint ein Vehikel zu sein für einen Drang, dem nachzugeben, was wir uns nicht leisten können. Er wird bewundert für seine Gewandtheit, sich der Ergreifung zu entziehen, wie ein wildes Tier durch die Gehölze und Dickichte von Northumberland huschend, die von der Polizei eingesetzten Hunde und Hubschrauber überlistend. Er war aus seinem Käfig ausgebrochen und zum Wilden geworden und scheint damit die Sehnsüchte von Menschen freigesetzt zu haben, die sich in ihrem Leben gefangen fühlen. Einige der Kommentatoren, die die Bewunderung für einen Mörder beklagten, benutzten denselben Ausdruck. Sie missbilligten, dass Moat »zum Löwen gemacht«, also vergöttert wurde.15 Dieses Wort besitzt mehr Gewicht als von den Autoren beabsichtigt.
*Als ich kurz nach der Lektüre von Bruce Chatwins berühmtem Bericht in Südafrika war, bat ich den Kurator des Transvaal Museums, mir die Schädel von Dinofelis zu zeigen, den Scheinsäbelzahnkatzen, sowie die der Hominiden, auf die sie wahrscheinlich Jagd gemacht haben und deren Schädelknochen sie unmittelbar über der Wirbelsäule mit ihren mächtigen Reißzähnen durchlöchert hatten. Sie sahen genau so aus wie in Bruce Chatwins Traumpfaden beschrieben.
* Moats Geschichte – und die merkwürdige öffentliche Resonanz – gleicht der von Harry Roberts, dem bewaffneten Räuber und sadistischen Mörder von Gefängnisinsassen in den späten Kolonialkriegen. Nachdem er 1966 zwei Polizisten erschossen hatte, war er auf der Flucht. Bevor er ergriffen werden konnte, versteckte er sich 96 Tage lang in den Wäldern. Wie Moat wurde auch dieser aufbegehrende Mensch von manchen Leuten als Volksheld gefeiert.
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