Sieben Welten - Seven Summits. Geri Winkler

Sieben Welten - Seven Summits - Geri Winkler


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verfehlen kann: ein riesiger Betonblock mit 3200 Zimmern, 5400 Betten – eine Kleinstadt in einem einzigen Haus! Wir sind hier in guten Händen. Eine Concierge wacht am Ende der Zimmerflucht die ganze Nacht über uns und kümmert sich rührend um unsere „Bedürfnisse“, indem sie die Zimmernummern westlicher Touristen an freundliche, junge Damen verhökert, die uns dann im Fünf-Minuten-Takt per Zimmertelefon aus dem Schlaf reißen und ihre reizenden Dienste anbieten.

      Der Anflug auf Mineralnye Vodý ist eine Erfahrung der eigenen Art. Flugzeugwracks jeder Bauart säumen malerisch die Runway und erinnern uns daran, dass wir durchatmen können. Wir sind sicher gelandet und rollen langsam auf das kleine Flughafengebäude zu. Da warten sie schon auf uns, mit freundlichem Lächeln heißen sie uns willkommen, Nikolai, Edip und Tanja, unsere drei Bergführer für den Elbrus. Drei Bergführer für sechs Gipfelaspiranten? Ungläubiges Staunen, mit Bergführern hatten wir gar nicht gerechnet. Das technische Know-how für eine eigenständige Besteigung dieses Kaukasus-Riesen bringt jeder von uns von zahlreichen Alpentouren mit. Doch wir sind weit davon entfernt, auf unsere Eigenständigkeit zu pochen. Mit diesen drei geselligen Russen durch den Kaukasus zu touren, das wird sicher unterhaltsam werden! Es wird uns manche Tür öffnen und manch verstecktes Juwel dieser Gebirgswelt zutage bringen. Das Großaufgebot an Bergführern findet schnell eine plausible Erklärung. Tanja ist Nikolais Freundin, Edip ist Bergführer-Lehrling, und beide wollen wie wir erstmals auf dem Elbrus-Gipfel stehen. Nikolai Kadoshnikov ist allerdings ein großes Kaliber in der Bergsteigerszene. Den Mount Everest hat er im Vorjahr bestiegen, den Makalu zwei Jahre zuvor.

      Ein liebliches Flusstal führt uns hinauf in grandiose Bergregionen. Diese Welt ist ein Schmelztiegel verarmter Völker, wo der russische Einfluss sich in den asiatischen Basaren verliert. Alte Menschen mit mikroskopisch kleinen Renten fristen hier in noch älteren Holzhäusern ihr bescheidenes Dasein. Die Jungen sind längst zu den Geldquellen der Großstädte abgewandert, auch die zahlungskräftigen Bergtouristen sind zu neuen Zielen aufgebrochen, denn der Zerfall der Sowjetunion brachte auch das Ende der staatlichen Förderung des Alpinismus mit sich. Die Bergvölker des Kaukasus sind aus dem festen Zugriff der Kommunisten in die Vergessenheit abgerutscht. Der bröckelnde Verputz liebloser Hotelanlagen erzählt traurig von besseren Zeiten.

      Auch unser Hotel Itkol, ein trostloser Plattenbau aus den Sechzigerjahren, bildet keine Ausnahme. Rissige Außenwände, muffige Teppichböden, herausgebrochene Schlösser, nie ersetzte Glühbirnen – dennoch finden wir in dieser abgewohnten Unterkunft alles, was das anspruchslose Bergsteigerherz begehrt. Im Matratzenlager auf den Berghütten in den Alpen können wir uns schließlich auch nicht einschließen und schlafen deshalb auch nicht schlechter. Fehlende Lichtquellen schrecken uns nicht, wir haben unsere Stirnlampen.

      Kleine Eingehtouren führen uns zu den fast senkrechten Eiswänden des Kaukasus. Sobald wir die Pfade dichter Nadelwälder verlassen, gelangen wir in eine tief zerrissene Gletscherwelt – ohne Übergang. Zonen karger alpiner Vegetation können wir hier kaum entdecken. Die Landschaft ist wie ein Gemälde aus dunklem Grün, blendendem Weiß mit steil aufragenden, schwarzen Zacken, die den tiefblauen Himmel berühren! In dieser grandiosen Bergwelt vergessen wir unser großes Ziel, den Elbrus, und kommen ihm doch näher. Die Touren zum Gumachi-Pass und auf den Cheget Bashi dienen der Akklimatisation, der Gewöhnung unserer Körper an die sauerstoffarme Luft am Gipfeltag.

      Wir verlassen die Niederungen und brechen zum Elbrus auf. Staunend betrachte ich Nikolais und Edips überdimensionale Rucksäcke. Nachdem wir die Nahrungsmittel redlich auf unsere neun Gepäckstücke aufgeteilt haben, frage ich mich, was sie haben und wir nicht haben. Mit unseren Lasten steigen wir hinauf zu den berühmten Barrel Huts in 3800 Metern Höhe, riesige Fässer, in denen Bergsteiger schlafen, kochen und sich auf ihren Gipfelsturm vorbereiten – für viele das Basislager am Elbrus. „Kein Platz!“, lautet die ernüchternde Auskunft des amtierenden Hausmeisters. Hätte sich darum nicht Nikolai kümmern müssen? Ratlosigkeit, Achselzucken, wir stapfen weiter durch den Schnee. Besonders einladend haben diese runden Behausungen ohnehin nicht gewirkt. Nur etwa 50 Meter höher sehen wir auf einem Felsvorsprung eine winzige Holzhütte in grandioser Lage. Sie gehört dem geologischen Institut der Moskauer Universität und ist mit einem riesigen Schloss versperrt. Nikolai hat in seinem Rucksack alles, was man zum Bergsteigen in Russland benötigt. Zuallererst die Feile! In wenigen Minuten ist die Hütte offen und großmütig wie Nikolai eben ist, hat er gleich ein neues Vorhängeschloss mitgebracht. Acht enge Lagerplätze finden sich in dem kleinen Raum, Zeit zum Kuscheln für Nikolai und Tanja. Das Geheimnis von Nikolais und Edips großen Lasten ist schnell gelüftet: Elf Flaschen Wodka und einige Flaschen Bier kommen auf den Tisch. Unser durch fleißiges Feilen erworbenes Basislager lässt keine Wünsche offen, der Gipfelsturm kann beginnen!

      Wir wandern hinauf zu den Pastuchova-Felsen in über 4700 Metern Höhe, um unser Blut noch einmal kräftig mit roten Blutkörperchen aufzurüsten, denn unsere lange Gipfeletappe soll nicht an der Höhenanpassung scheitern. Dabei kommen wir an der Prijut-Hütte in 4100 Metern Höhe vorbei. Das wäre die ideale Basis für eine Elbrus-Besteigung. Wäre gewesen! Die Hütte ist vor einigen Jahren abgebrannt. In ihren Ruinen haben einige russische Bergsteiger ihr spartanisches Höhenlager eingerichtet. Sie hatten offensichtlich dieselben Probleme wie wir mit den überfüllten Barrel Huts, aber keine Feile im Gepäck.

      Die Ruhe vor dem Sturm! Am Ruhetag vor unserer Gipfeltour wollen wir unsere Speicher noch einmal füllen. Wir liegen in der Sonne auf unserem exponierten Plätzchen, können unsere Augen nicht von den grandiosen Kamelbuckeln, den beiden Hauptgipfeln des Elbrus, abwenden und genießen den Tag in dieser herrlichen Gletscherwelt. Den Tag genießen? Da wäre doch ein Bier nicht schlecht. Gibt es leider nicht mehr! Kurzerhand legen Ralph, Lutz und ich unsere Steigeisen an und steigen 500 Meter hinunter zur Mir-Station, dem Endpunkt der Seilbahn. Honeymooner bevölkern den Platz, drehen in High Heels und Lackschuhen einige Runden im Schnee, lassen sich von allen Seiten abknipsen und verschwinden wie wir in der schummrigen Bar. Ein Bier bitte! Für jeden eines? Ja, für jeden! Es sollte bei einem Bier bleiben, der Inhalt der Flasche beträgt satte 2,25 Liter. Gut hydriert machen wir uns an den langen Anstieg zu unserem Feriendomizil.

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      Bergwelt auf dem Weg zum Gumachi-Pass

      Die nächsten Momente zeigen die Professionalität unserer drei Bergführer und wir sind wahrhaft froh, sie in diesen Minuten bei uns zu haben. Tanja, in ihrem Hauptberuf Ärztin, zieht eine Spritze mit Dexamethason auf. Dieses Wundermittel gegen die Höhenkrankheit sollte unseren Bergkameraden schnell wieder auf die Beine bringen, doch der erhoffte Erfolg bleibt aus. Die Zeit wird knapp! Mit wenigen Handgriffen bastelt Nikolai aus einer aufblasbaren Matte und einem Kletterseil eine Art Schlitten mit vier Führungsgriffen. Wir verschnüren unseren dänischen Kollegen, während Nikolai die Mir- Station anfunkt und einen Ratrak bis unter die Pastuchova-Felsen ordert.

      Der Wettlauf mit der Zeit beginnt und es ist ein schweißtreibendes Rennen bis zur Atemlosigkeit. So schnell wir können, lassen wir den Schlitten den Hang hinuntergleiten. Wir müssen uns immer wieder abwechseln. Zu unerwarteter Stunde fordert


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