Eric Clapton. Ein Leben für den Blues. Peter Kemper

Eric Clapton. Ein Leben für den Blues - Peter Kemper


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wirklicher Erlebnisse. In dieser Hinsicht kann auch der »Me And The Devil Blues« eher als Bekenntnis zu einem »sündigen Bewusstsein« verstanden werden. Auf keinen Fall darf man den Fehler machen, Johnsons Leben aus seinem Werk zu rekonstruieren. Auch für Clapton besitzen Johnsons Texte deshalb vor allem literarische Qualitäten und sind in hohem Maße interpretationsbedürftig, wie er im Gespräch mit Peter Guralnick für die Februar-Ausgabe der Zeitschrift Musician 1990 ausführt:

      Ich würde so weit gehen, zu behaupten, dass Robert über eine Eloquenz verfügte, die weit über seine Herkunftsbedingungen hinausging. Seine Sprache erinnert mich manchmal sogar an alte englische Dichter. Als ich ihn zum ersten Mal hörte, klang das für mich, als hätte er eine Sammlung englischer Gedichte zu Hause liegen gehabt: »She’s got an Elgin movement from her head down her toes« – Unglaublich! Fast im Stile von Byron – seine Formulierungen sind schon fast klassisch zu nennen. Ich war ja ein Arbeiterkind durch und durch und als die erste Platte vom ihm erschien, kam sie mir vor wie eine Art Radar. Das alles hatte eine Magie, die sich einfach nicht in Worte fassen lässt.

      Mit der Wiederentdeckung Johnsons im Jahr 1961 begann sogleich die Romantisierung dieses lange vergessenen Künstlers: Ein Geist aus der Vergangenheit kehrt zurück, um mit seiner herzzerreißenden Musik in unseren Köpfen herumzuspuken. Dabei ist es keine Überraschung, dass dieses verklärende Bild Robert Johnsons von desillusionierten, kunsthungrigen Art-School-Absolventen wie Eric Clapton oder Keith Richards in die Welt gesetzt wurde.

      Im Krebsgang zur ersten Bandgründung

      Während seiner Zeit auf dem Kingston Art College verbrachte Clapton nach eigener Aussage mehr Zeit in irgendwelchen Kneipen als in Seminarräumen. In dem Studententreff The Crown in Kingston nutzte er an Samstagnachmittagen die Open-Mic-Sessions, um mit anderen Blues-Begeisterten aus der Gegend zu jammen und seine Live-Präsenz auf der Bühne zu schärfen. Mit seiner Green-Line-Buskarte unternahm er regelmäßig Ausflüge nach Twickenham und Richmond, erforschte die dortige Kneipenkultur und wurde Stammgast in diversen Kaffeehäusern. Und abends ging es nach Eel Pie Island, einer kleinen Insel im Privatbesitz mitten in der Themse vor Twickenham. Dank der Pionierarbeit von Alexis Korner und Cyril Davies – während der eine zur Gitarre raue Folk-Blues-Songs intonierte, unterstützte ihn der andere mit seiner Mundharmonika – avancierte der verräucherte Keller im Eel Pie Hotel bald zum Mekka aller Blues-Enthusiasten und Skiffle-Jünger.

      Bis Februar 1957, als endlich eine Fußgängerbrücke auf das von verwunschenen Gärten überwucherte Inselchen gebaut wurde, musste man noch per Fähre übersetzen. Der konspirative Charakter dieses bekanntermaßen freizügigen Ortes zeigte sich nicht zuletzt darin, dass handgefertigte Pässe ausgegeben wurden, um »Eelpieland« betreten zu dürfen. Clapton genoss hier das Zusammensein mit Gleichgesinnten, wie er in JC Wheatleys Eel-Pie-Island-Hommage The British Beat Explosion von 2013 betont:

      Ich werde niemals das Gefühl vergessen, wenn du den halben Weg über die Brücke zurückgelegt hattest und plötzlich merktest, dass du im Mittelpunkt einer immer weiter anwachsenden Menge von Menschen standest, die alle irgendwie gleich aussahen. Es herrschte ein unglaubliches Gefühl der Zusammengehörigkeit.

      Verschworene Community auf »Eelpieland«

      In dieser lockeren Atmosphäre jugendlichen Überschwangs entdeckte Eric auch erstmals die Verlockungen des Alkohols. Er hoffte nicht zuletzt, seine Schüchternheit Mädchen gegenüber durch übermäßiges Trinken überwinden zu können. Zudem saß er dem Trugschluss auf, dass Trunkenheit ihn in irgendeiner Form attraktiver erscheinen ließ. Hochprozentige »Rum and Black«-Cocktails und Gin-Tonic wurden neben »Purple Hearts«, das heißt herzförmigen Amphetamintabletten, zu seinen bevorzugten Stimmungsaufhellern.

      Am liebsten aber stöberte Eric in Londoner Plattenläden wie Ray’s oder Dobell’s auf der Suche nach seltenen Blues-Importplatten herum. Er schien vollkommen in der Musik aufzugehen und an anderen Verlockungen des Bohemian-Lebens kaum interessiert zu sein. Nach Aussage seines Kommilitonen Guy Pullen war Eric damals »nicht gerade ein Romeo«. In den Kneipen von Kingston beteiligte er sich zwar an den immerwährenden Gesprächen über Mädchen und Sex, beschränkte sich dabei aber mangels praktischer Erfahrungen meist auf theoretische Bemerkungen. Das Yardbirds-Mitglied Chris Dreja ist davon überzeugt, »dass Eric als Teenager überhaupt kein Sexualleben hatte. Das aggressive Macho-Gehabe, von dem er glaubte, dass es zum Blues gehöre, wirkte ja nicht gerade anziehend auf Frauen. Er wollte eben unbedingt anders sein.«

      Lange währte sein Studentenleben nicht. In seinem Probejahr hatte Clapton kaum am Unterricht teilgenommen, und so verwunderte es niemanden, dass er nach mehreren Vorwarnungen am Ende nicht genug Material für seine Kunstmappe produziert hatte. Am Schluss des Probejahres wurde er daher aufgefordert, das Kingston Art College zu verlassen. Jahre später sollte er dennoch ohne Zorn zurückblicken: »Auf der Art School habe ich zum ersten Mal bemerkt, dass etwas in mir sein musste, das respektiert wurde, wenn auch nur für Momente.« Nach seiner Relegation bot Großvater Jack ihm zähneknirschend an, ihn bei einigen seiner Bauprojekte zu beschäftigen. Eric arbeitete zunächst als Maurer und Fliesenleger, und schon bald versuchte er, dem Perfektionsdrang seines Großvaters nachzueifern: »Als Fliesenleger war er ein wahrer Künstler, der ein ganzes Zimmer in knapp zwei Stunden kacheln konnte. Bei ihm habe ich mir abgeschaut, dass bei der Arbeit die kleinen Dinge ganz wichtig sind.« Wenn es auf dem Bau gerade nichts zu tun gab, hielt er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser und arbeitete in der Weihnachtszeit als Aushilfsbriefträger.

      Im Januar 1963 wendete sich das Blatt. Der Blues-Fan Tom McGuiness lud Eric in den Prince of Wales Pub in New Malden zu einem Vorspiel ein. Vermittelt hatte den Kontakt McGuiness’ Freundin Jennifer Dolan, die Clapton von der Art School kannte. Tom, 21 Jahre alt und Jesuitenschüler, schätzte zwar die Blues Incorporated von Alexis Korner, kam aber von der Rock-’n’-Roll-Seite des Rhythm ’n’ Blues und bevorzugte daher den kantigeren Sound der Rolling Stones. Nachdem McGuiness schon mit ein paar Freunden in South London erfolglos Nummern von Cliff Richard And The Shadows gecovert hatte, beschloss er 1962, eine eigene Rhythm-’n’-Blues-Band zu gründen. Inserate im Melody Maker, mit denen er Gleichgesinnte ansprechen wollte, halfen zunächst nicht weiter. Nach der Audition war klar, dass Clapton, gerade 18 geworden, die Leadgitarre und McGuiness die Rhythmusgitarre übernehmen würde. Einen Bassisten hatte die Band jedoch noch nicht. Das Line-up bestand aus dem Sänger Terry Brennan (laut McGuiness brachte er »eine gute Little-Richard-Imitation zustande«), Eric Clapton, dem Drummer und Autobesitzer Robin Mason, Tom McGuinness an der zweiten Gitarre und Ben Palmer am Piano. Ihr Name The Roosters war vermutlich durch Songs wie Howlin’ Wolfs »Little Red Rooster« oder Lightnin’ Slims »Rooster Blues« inspiriert. Zudem galt der »Little Red Rooster« (»Der kleine rote Hahn«) im Blues-Idiom als Umschreibung für den Penis. Von einem potenten Sound konnte bei den Roosters aber nicht die Rede sein, denn ihr kleiner 20-Watt-Verstärker musste für zwei Gitarren und ein Gesangsmikrofon ausreichen.

      Während McGuiness stolzer Besitzer einer in England produzierten Futurama-Gitarre mit protzigen, großen Tasten zur Pickup-Umschaltung war (auch George Harrison und Jimmy Page nutzten Futurama), spielte Clapton in jenen Tagen eine Kay Jazz II. Im Herbst 1962 hatte er sich die Gitarre bei Bell’s Music in Surbiton ausgesucht. Seiner noch immer spendablen Großmutter Rose blieb nichts anderes übrig, als sie auf Ratenbasis für ihren inzwischen Blues-besessenen Enkel zu erwerben, wollte sie doch seinen Enthusiasmus – nach dem Rausschmiss auf der Art School – auf keinen Fall dämpfen. Es handelte sich um eine halbakustische E-Gitarre mit Double Cutaway, um die oberen Bünde leichter erreichen zu können, und einem Bigsby-Vibrato. Allerdings war sie nur die billigere Kopie der damals leider unerschwinglichen Gibson ES-335, die mehr als 100 Pfund kostete. Die Kay war für ein Zehntel davon zu haben. Schon nach vier Wochen verzog sich der Hals der Gitarre ein wenig, da sie keinen verstellbaren Stahlstab besaß, das heißt ihre Saitenlage war alles andere als optimal. Doch Eric musste mit diesen Widrigkeiten klarkommen, hatte er doch keine Alternative. Zudem fehlte ihm ein Verstärker, so dass er die elektrische Kay zunächst nur akustisch spielen konnte. Weil er auf diesem unvollkommenen Instrument auch seine ersten Versuche startete, Robert-Johnson-Songs nachzuspielen,


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