Eric Clapton. Ein Leben für den Blues. Peter Kemper

Eric Clapton. Ein Leben für den Blues - Peter Kemper


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»Peggy Sue« nicht satthören. Den größten Eindruck auf den jungen Rock-Adepten aber machte Hollys futuristische Gitarre: eine rote Fender-Stratocaster, die mit ihrer Stromlinienform und dem fremdartigen Vibratohebel wie ein Objekt aus einer anderen Galaxie wirkte. Kein Wunder, handelte es sich doch um die erste Stratocaster, die man in Großbritannien zu Gesicht bekam. »Als ich sie sah, wusste ich: Das ist die Zukunft!«

      Am Radio im Wohnzimmer von Rose und Jack verfolgte Eric auch begeistert die Kindermusiksendung Uncle Mac’s Hour. Sie lief samstagvormittags und hier konnte man neben gängigen Rock-’n’-Roll-Nummern auch schon mal einen Folk-Blues-Song von Sonny Terry und Browny McGhee oder einen Memphis-Slim-Boogie hören. Als Clapton dann »My Life Is Ruined« von Muddy Waters bei Uncle Mac hörte, war es um ihn geschehen: »Ich dachte sofort: Das ist mein Ding. Und so wuchs in mir der Wunsch, genauso zu sein.« Plötzlich galt Blues als ultimative Verheißung – Elvis Presley war 1958 in die Armee eingezogen worden, Buddy Holly kam im Februar 1959 bei einem tragischen Flugzeugabsturz ums Leben und Chuck Berry saß im Gefängnis. Nicht nur Keith Richards hatte damals den Eindruck, aus dem Rock ’n’ Roll sei schon wieder »die Luft raus«. Umso spannender war die Frage, wo die Wurzeln dieser Musik lagen. Als Eric zum ersten Mal einen Blues-Song hörte, wirkte diese Musik auf ihn in primitiver Art und Weise schmerzlindernd: »Sie rauschte umweglos durch mein Nervensystem, und ich fühlte mich gleich unbesiegbar.«

      Die Blues-Texte mit ihren Bildern von Qual, Angst und Gefühllosigkeit, von Sinnlichkeit und Sex in Verbindung mit bodenständig-einfachen Rhythmen und gleichzeitig raffinierter Gitarrenbegleitung: Diese archaische Mischung hatte es dem pubertären Eric angetan. Sein Biograf Christopher Sandford zitiert ihn:

      Während meiner Jugend hatte ich fast immer das Gefühl, mit dem Rücken zur Wand zu stehen. Den einzigen Ausweg sah ich darin, diese Zeit mit Würde, Stolz und Mut durchzustehen. Und die Möglichkeit dazu gab mir eine bestimmte Art von Musik, der Blues.

      Clapton fühlte sich unmittelbar aus der kalten, grauen Welt im Nachkriegsengland auf die sonnendurchglühten Baumwollfelder im Mississippi-Delta versetzt, in die verruchten Blues-Kneipen der Gegend – ohne die geringste Ahnung von der Armut schwarzer Blues-Musiker und der Diskriminierung ihrer ›race music‹ im Heimatland des Blues zu haben.

      Um die Geheimnisse dieser verlockenden Musik zu enträtseln, musste eine Gitarre her. Jeden Morgen, auf dem Weg von der Hollyfield School zu den Gebäuden der Kunstabteilung, kam Eric an Bell’s Music Shop vorbei. Der Laden, ursprünglich auf Klaviere und Akkordeons spezialisiert, stellte jetzt im Schaufenster die jüngsten Sehnsuchtsobjekte aller musikbegeisterten Jugendlichen aus: Gitarren, Akustikmodelle, vor allem aber Solidbody-Instrumente mit elektrischen Pickups. Nicht nur Eric drückte sich jeden Morgen seine Nase an der Scheibe platt. Sein Auge fiel bald auf ein erschwingliches Exemplar, wie er in seiner Autobiografie schreibt:

      Es war eine in Deutschland gebaute Hoyer, die ungefähr zwei Pfund kostete. Es war ein seltsames Instrument, das aussah wie eine klassische Gitarre, jedoch keine Nylon-, sondern Stahlsaiten hatte, eine eigentümliche Kombination, die einem Anfänger das Spielen ziemlich schwer machte.

      Ausgerechnet das Exemplar, das Rose 1958 nach langem Bitten und Betteln schließlich bei Bell’s für ihren Enkel Eric erstand, hatte seine Tücken. Das Griffbrett war zu breit, die Saitenlage zu hoch und außerdem schnitten die Stahlsaiten schmerzhaft in Erics weiche Fingerkuppen. Im Stehen kam ihm der Gitarrenkorpus viel zu groß vor. Er konnte das Instrument nicht richtig stimmen – und dann riss ihm auch noch eine Saite. Doch nachdem er die ersten Frustrationserfahrungen überwunden hatte, machte Eric mit fünf Saiten unverdrossen weiter. Er verbrachte Stunden damit, sich die rudimentären Akkorde von Harry Belafontes Folk-Song »Scarlet Ribbons« anzueignen und überprüfte seine technischen Fortschritte auf einem portablen Grundig-Tonbandgerät, das ihm Rose und Jack zu seinem 14. Geburtstag geschenkt hatten.

      Obwohl er anfangs große technische Schwierigkeiten hatte, das Instrument zu beherrschen, sah er in der Gitarre ein willkommenes Accessoire, um Distinktionsgewinne gegenüber seinen Mitschülern zu verbuchen. Dies dürfte auch der Grund dafür gewesen sein, dass er jetzt ständig mit der Gitarre unterm Arm herumlief, nachdem er die Vorderseite des Instruments mit dem selbstbewussten Schriftzug »Lord Eric« verziert hatte. Die Wirkung auf Mädchen blieb nicht lange aus, und bald begann Eric, sich mit einer Mitschülerin namens Diane Coleman zu verabreden. Mit ihr im Schlepptau plante Clapton auch seinen ersten öffentlichen Auftritt als Gitarrist in der Coffee Bar L’Auberge in Richmond. Zwar besuchten er und Diane zusammen dreimal diesen beliebten Schüler- und Studententreff, doch immer dann, wenn es drauf ankam, versagten Erics Nerven und seine angeborene Schüchternheit setzte sich durch.

      Neben der Leidenschaft für Blues und Rock ’n’ Roll entwickelte Clapton in seiner Pubertät eine Vorliebe für Radrennen. So gehörte er den Kingston Wheelers an und nahm an mehreren Wettkämpfen mit anderen Rad-Clubs aus Malden, Morden oder Feltham teil. Am liebsten aber streifte er allein mit seinem Fahrrad durch die Gegend und verlor sich dabei in Traumwelten. Zur selben Zeit entwickelte Eric sein Stilempfinden in Bezug auf Kleidung. Viele Schülerinnen und Schüler der Hollyfield-Schule favorisierten damals ein eher ›existenzialistisches‹ Aussehen mit schwarzen Hemden und Hosen, langen Haaren und spitzen Schuhen. Auch Eric war es jetzt nicht mehr egal, welche Jeans er trug und wie sein T-Shirt aussah. Nein, es mussten schwarze Jeans sein, mit drei grünen Steppnähten an der Seite, und auf dem T-Shirt musste »Ban The Bomb« stehen.

      Claptons bewusster Nonkonformismus artikulierte sich ebenfalls in seiner Vorliebe für fast vergessene, oftmals erblindete schwarze Blues-Musiker wie Blind Lemon Jefferson, Blind Blake oder Blind Willie Johnson – meilenweit entfernt vom damals angesagten Stromlinienpop eines Cliff Richard And The Shadows. Der erste authentische schwarze Blues-Sänger, der das Vereinigte Königreich besuchte, war ›Big Bill‹ Broonzy. Geboren am 26. Juni 1903 in Jefferson County, Arkansas, wurde er in seiner Jugend von Musikern wie Blind Lemon Jefferson und Lonnie Johnson dauerhaft beeinflusst. Bald verfügte er über ein breites Blues-Vokabular und beherrschte Country- und Work-Songs ebenso perfekt wie den härteren Chicago-Stil. Als Broonzy im September 1951 nach England kam und seinen Folk-Blues mit großem Erfolg in der Kingsway Hall in London zelebrierte, hatte er zu Hause in Amerika schon ein wenig von seiner Popularität eingebüßt. Sechs Jahre später kam er zurück auf die Insel, und auch Clapton zeigte sich von seinen rasanten Fingerpicking-Finessen fasziniert. In dem eingängigen Gitarreninstrumental »Hey Hey« spielt Broonzy ohne das übliche Plektrum nur mit den Fingern: Während sein Daumen für eine durchlaufende Bassfigur sorgt, zupfen Zeige- und Mittelfinger eine korrespondierende Melodielinie im oberen Register. Schon nach wenigen Minuten hatte Clapton sich diese anspruchsvolle Technik anverwandelt.

      Sein größtes Problem war inzwischen die Hoyer-Gitarre geworden. Mit ihr waren größere Fortschritte einfach nicht möglich. Auf dem Flohmarkt in Kingston wurde Eric 1960 endlich fündig:

      Es war eine akustische Gitarre, jedoch mit einem sehr schlanken Korpus, beinahe wie eine mittelalterliche englische Laute, auf deren Rücken das Bild einer nackten Frau klebte. Ich ahnte intuitiv, dass es eine gute Gitarre war. Ich kaufte sie gleich an Ort und Stelle für zwei Pfund und zehn Schilling.

      Ohne es zu wissen, hatte er ein relativ hochwertiges Parlor-Instrument der Chicagoer Marke Washburn von 1920 erworben, mit breitem, flachem Griffbrett und einer viel niedrigeren Saitenlage als auf seiner Hoyer, was komplizierte Akkordwechsel einfacher machte und auch schnelles Solospiel begünstigte. Hatte Clapton sich bisher auf notengetreue Nachahmungen von Folk-Blues-Nummern im Stile von Big Bill Broonzy konzentriert, so wechselten mit der neuen, besser bespielbaren Gitarre auch seine Vorlieben: Der elektrifizierte Chicago-Blues von Muddy Waters, Buddy Guy und Jimmy Reed ließ ihn jetzt nicht mehr los, und als es ihm gelang, die schrill jaulenden Anfangsnoten von Waters »Honey Bee« mit den erforderlichen Bendings (Dehnungen der Saiten mit der Greifhand, um so einen Ton stufenlos immer höher zu ziehen) auf den drei hohen Saiten perfekt zu reproduzieren, fühlte sich das für ihn wie ein Durchbruch an: »Mir kam es so vor, als würde ich damit das gesamte Vokabular der Gitarre beherrschen.«

      Die Hollyfield Road School bot einen idealen Nährboden für Blues-Begeisterte: Neben Clapton waren noch die beiden Gitarristen Chris Dreja (dem späteren Gründungsmitglied der Yardbirds) und Anthony


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