Eric Clapton. Ein Leben für den Blues. Peter Kemper
Crossroads-Skulptur von Vic Barbieri in Clarksdale, Mississippi
Gerade die ›Crossroads‹-Metapher weist eine reiche Geschichte auf: In der afrikanischen Volksmythologie steht die Kreuzung für einen Ort zwischen den Welten des Natürlichen und Übernatürlichen. Hier kann eine außerweltliche Macht kontaktiert werden, es gilt ein »weder hier noch dort.« Überall in Europa war der Aberglaube verbreitet, eine Kreuzung sei der Treffpunkt von Hexen und bösen Geistern. Deshalb haben Christen gern an solchen Stellen Kapellen für Heilige und Madonnen-Statuen aufgestellt.
Psychologisch betrachtet symbolisiert die Kreuzung den Brennpunkt von Entscheidungen und den Ursprungsort von Kreativität. Sie gilt als Treffpunkt, wo Ideen und Gedanken zusammenfließen, bevor sie sich in einer Entscheidung manifestieren. In dieser Perspektive ist die Kreuzung auch ein Symbol von Unentschlossenheit und Entscheidungsschwäche. An der ›Crossroad‹ stellt man sich die Frage, ob es an der Zeit ist, seinem Leben eine neue Richtung zu geben. Sie ist die Wegmarke, an der sich eine schicksalhafte Veränderung zum Guten oder Schlechten ergibt. Entsprechend oft steht die Kreuzung auch für innere Widersprüche, die ein Mensch auflösen muss.
Die ›Crossroads‹-Metapher drängt sich neben der Black-and-White-Problematik als Leitmotiv von Claptons Leben geradezu auf, das voll von Abstürzen und Neuerfindungen ist. Mit Hilfe des Kreuzungssymbols lassen sich entscheidende Wegmarken in seinem bisweilen widersprüchlichen Werdegang enträtseln, wie Clapton selbst im Interview mit Andrew Franklin erklärt:
Ich identifiziere mich mit Robert Johnson, und ich sehe mich ebenfalls oft an einer Kreuzung stehen. Ich durchlaufe dann immer einen Veränderungsprozess –, wenn ich in einer Situation bin, in der ich nicht mehr weiterweiß, nicht sicher bin, in welche Richtung ich gehen soll. Ich fühle mich nie in einer stabilen Verfassung. Ich bin nie wirklich mit mir zufrieden, halte immer nach mehr Ausschau. Ich bin mir auch nie sicher, wohin meine Reise geht. Wissen Sie, ich fühle mich wirklich richtungslos. Das ist schon ein komisches Dilemma, und es begann wohl, als ich Johnson zum ersten Mal hörte –, ohne dass ich ihm dafür die Schuld geben würde.
I. Motherless Child – Blues der Kindheit
Claptons Psychodrama nahm schon viel früher seinen Lauf: Als er seiner Mutter Pat zum ersten Mal bewusst begegnete, war er neun Jahre alt. Sie traf eines Tages im Jahr 1954 für Eric völlig überraschend mit einem Ozeandampfer in Southampton ein und führte ihre beiden Kinder mit sich, den sechsjährigen Brian und die einjährige Cheryl. Ein Foto von ihr auf der Gangway zeigt eine hübsche, wenn auch etwas streng wirkende Frau, die ihr rötlich braunes Haar der Mode entsprechend hochgesteckt trug. Auf Eric, der mit seiner Großmutter Rose am Pier stand, muss sie glamourös wie ein Hollywoodstar aus einer anderen Welt gewirkt haben. Rose und ihr Mann Jack hatten Eric erzählt, seine Schwester käme zu Besuch. Die letzten sieben Jahre hatte Pat nämlich in Kanada verbracht, wo sie mit ihrem Ehemann, dem Soldaten Frank McDonald, eine Familie gegründet und ihr erstes Kind Eric anscheinend aus ihrer Gedanken- und Gefühlswelt verbannt hatte.
Die vielleicht wichtigste Frau in seinem Leben: Clapton mit seiner Großmutter Rose Clapp in ihrem Haus in Surrey
Obwohl Clapton sich wegen seiner unehelichen Geburt lebenslang als Außenseiter fühlte, war er mit diesem ›Makel‹ keineswegs allein. Man nimmt an, dass rund 300 000 Kinder von unverheirateten britischen Frauen nach Ende des Krieges zur Welt gebracht wurden, während ihre Väter, amerikanische und kanadische GIs, in ihre Heimat zurückkehrten. Die meisten von ihnen hatten zuvor ein erstes militärisches Training in Aldershot durchlaufen, damals der größte Standort der britischen Armee. Um der Enge und Langeweile in ihrem Ausbildungscamp zu entgehen, besuchten die GIs aus Übersee gern Tanzveranstaltungen in der Umgebung und trafen sich dort mit Einheimischen. Sexuelle Liaisons zwischen GIs und englischen Mädchen waren an der Tagesordnung.
Patricia Molly Clapton, die älteste Tochter von Rose, war erst 15 Jahre alt, als sie unmittelbar vor dem sogenannten D-Day am 6. Juni 1944, der Invasion der Alliierten in der Normandie, eine kurze Affäre mit dem acht Jahre älteren Edward Walter Fryer hatte. Der in Montreal geborene Soldat war 1942 nach England gekommen und in Surrey, in der Gegend von Guildford – nicht weit von Aldershot entfernt – stationiert worden. In den Pubs der Umgebung verdiente sich Fryer an den Wochenenden etwas Taschengeld dazu – wie er es regelmäßig tat, seit er im Alter von 14 Jahren von zu Hause weggelaufen war –, indem er am Klavier amerikanischen Boogie-Woogie zum Besten gab. Fryer war ein erklärter Jazz-Enthusiast und fühlte sich besonders dem Swing der Big-Band-Ära verpflichtet. Bei einer dieser Tanzveranstaltungen lernte er eines Abends die bezaubernde Pat kennen und lieben, die von der Charme-Offensive des gutaussehenden, singenden Soldaten völlig überrumpelt wurde. Nach einem One-Night-Stand war sie mit Eric schwanger. Fryer weigerte sich jedoch, jegliche Verantwortung zu übernehmen. Im prüden England galt damals ein solcher Unfall als Skandal, der Mutter und Kind nachhaltig stigmatisierte. Kein Wunder, dass man in der Öffentlichkeit Pats Schwangerschaft – so gut es ging – zu verheimlichen suchte, und ihr Sohn am 30. März 1945 im oberen Schlafzimmer des winzigen Hauses von Rose und Jack zur Welt kam. Eric Patrick erhielt den Nachnamen seiner Mutter: Clapton, während seine Großmutter und ihr Mann den Namen Clapp trugen.
Rose war in erster Ehe mit dem Anwaltsgehilfen Reginald ›Rex‹ Clapton verheiratet, dem Sohn eines in Oxford erzogenen Armeeoffiziers, dessen betuchte Eltern sich zunächst vehement gegen die Liaison ihres Sohnes mit einem Mädchen aus der Arbeiterklasse gewehrt hatten –, auch wenn sie aus einer der ältesten Familien Ripleys, den Mitchells, stammte. Doch die beiden hatten sich durch keine Intrige auseinanderbringen lassen. Nach ihrem Erstgeborenen Adrian, brachte Rose am 7. Januar 1929 in London ihre Tochter Patricia zur Welt. Als Rex Clapton drei Jahre später an Tuberkulose verstarb, zog Rose mit ihren beiden Kindern von Woking in das fünf Meilen entfernte Dörfchen Ripley. Heute ein beliebter Pendler-Ort, galt Ripley Mitte der 1940er Jahre als verarmte Gemeinde, in der hauptsächlich schlecht bezahlte Landarbeiter wohnten, deren Lebensstil sich in den letzten 100 Jahren kaum verändert hatte. Hier lernte Rose ihren zweiten Mann, den großgewachsenen, schwarzhaarigen Jack Clapp kennen, einen geschickten Handwerker, den sie 1942 heiratete. Ein roter Backsteinbau mit vier Zimmern und Toilette im Garten, der an offenes Weideland, die sogenannten »Fuzzies«, grenzte, musste den bescheidenen Ansprüchen der vierköpfigen Familie genügen: Es gab in dem kleinen Mietshaus weder Elektrizität noch ein Badezimmer. Da Roses Sohn Adrian das zweite Schlafzimmer für sich beanspruchte, musste Eric in seinen ersten Lebensjahren entweder im ebenerdigen Wohnzimmer oder im Schlafzimmer seiner Großeltern in einem Campingbett nächtigen.
Man darf davon ausgehen, dass Pat ihren kleinen Jungen vom ersten Moment an ablehnte, markierte er doch nicht nur das Ende ihrer Jugend. »Mir war schon bei seiner Geburt klar, dass ich keine Chance haben würde, ihn großzuziehen. Darüber werde ich nie hinwegkommen, denn ich habe mich schuldig gemacht«, gestand sie später. Schon während Pat mit Eric schwanger war, wurde sie mehrfach auf der Straße angespuckt und beschimpft. Schmierereien an der Hauswand der Clapps stellten ihre moralische Integrität in Frage. Man kann sich lebhaft vorstellen, dass während des desolaten Kriegswinters 1944/45 in der Familie Clapp auch das Stimmungsbarometer auf den Gefrierpunkt fiel: Wie sollte man in den beengten Verhältnissen, bei ständiger Lebensmittelrationierung und zunehmender Geldknappheit ein weiteres Kind aufziehen?
Schon früh hatte man sich auf eine Scharade verständigt; der Plan war einfach und tausendfach erprobt: Pat, gerade erst von der örtlichen höheren Schule abgegangen, sollte fortan als die ältere Schwester ihres Sohnes auftreten, während seine Großeltern sich als seine leiblichen Eltern ausgeben wollten: Eric, der Junge von Rose und Jack. Obwohl sie ihn nie offiziell adoptiert hatten, behielten seine Großeltern bis zu seiner Volljährigkeit de facto die Vormundschaft. So konnte auch die Abwesenheit seines leiblichen Vaters verschwiegen werden, der (wie Philip Norman erst jüngst durch Recherchen im Armee-Register nachwies) keineswegs als Kampfpilot nach England gekommen und auch nicht verheiratet war. Vielmehr gehörte er zur Infanterie und wurde 1946 wegen »unerlaubten Entfernens von der Truppe« unehrenhaft aus der Armee entlassen, kurz bevor seine Einheit ohnehin in die kanadische Heimat zurückkehrte.
Nach dem Sieg der Alliierten fand England nur langsam