Eric Clapton. Ein Leben für den Blues. Peter Kemper

Eric Clapton. Ein Leben für den Blues - Peter Kemper


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von Ripley eines Tages eine Art selbstgezeichnetes Penthouse-Magazin fanden. Die etwas unbeholfenen Skizzen der männlichen und weiblichen Genitalien ließen gleichwohl kaum noch Fragen offen.

      Fasziniert und schockiert zugleich nahm Eric am nächsten Tag all seinen Mut zusammen und fragte ein Mädchen, das gerade neu in die Klasse gekommen war, in aller Naivität: »Hast du Lust zu ficken?« Die anschließende Bestrafung mit sechs Rohrstockhieben durch seinen Klassenlehrer Mr. Dickinson führte dazu, die diffuse Ängstlichkeit des unbedarften Schuljungen noch zu verstärken. Eric war gar nicht richtig klar gewesen, was er seine Mitschülerin da gefragt hatte. Später meinte er: »Von da an neigte ich dazu, Sex mit Bestrafung, Schande und Peinlichkeit zu assoziieren – Gefühle, die mein Sexualleben noch auf Jahre prägen sollten.« Neben diesem Hang zum Selbsthass sollte der Vorfall in Verbindung mit der erlittenen Ablehnung durch die eigene Mutter Claptons Neigung verstärken, auf nahezu alle Frauen wütend zu sein. »Damit fing alles an. Bald wurde mir klar, dass ich das mit dem anderen Geschlecht auch machen konnte – dasselbe was meine Mutter mir angetan hatte.«

      Der geborene Außenseiter? Eric Clapton als Schüler

      Als Pat schließlich Hals über Kopf nach Kanada abreiste, befand sich Clapton in einer desolaten Stimmung und war kaum in der Verfassung, die für seine schulische Weiterbildung wichtige Eleven-Plus-Prüfung zu absolvieren. Dieser Test entschied darüber, welche begabten Schülerinnen und Schüler eine Grammar School – unserem Gymnasium vergleichbar – besuchen durften, und welche auf eine Secondary Modern gehen sollten. Da Eric keinerlei Ehrgeiz an den Tag legte und bei der Eleven-Plus durchfiel, wechselte er am 4. September 1956 in die St. Bede’s Secondary Modern, sozusagen eine Kombination aus Haupt- und Realschule, die in Ripleys Nachbargemeinde Send lag.

      Auf dem Schulhof sonderte er sich jetzt immer häufiger von seinen Klassenkameraden ab, galt als verschlossen und eigenbrötlerisch, wie er in der Juli-Ausgabe des Rolling Stone 1974 enthüllte:

      Ich war derjenige, nach dem man gern mit Steinen warf, weil ich so dünn und unsportlich war. Ich galt als der ewige 90-Pfund-Schwächling. Meist trieb ich mich mit drei, vier anderen Jungs herum, die sich in einer ähnlich misslichen Lage befanden – Außenseiter eben. Alle nannten uns nur die Bekloppten.

      Seit seinen ersten Schuljahren hatte Eric den Eindruck, die anderen würden hinter vorgehaltener Hand über ihn tuscheln und sich über seine uneheliche Herkunft lustig machen: »Oft habe ich mir gewünscht, die Erde würde sich auftun und ich könnte einfach darin verschwinden.« Als er dann noch eines Tages vorm Spiegel festzustellen meinte, ein fliehendes Kinn zu haben, wurden die Komplexe noch stärker. Fortan versuchte er, den anatomischen Makel durch Bärte verschiedenster Form und Länge zu kaschieren.

      Allein in seinen Zeichnungen konnte Clapton den Gefühlen freien Lauf lassen, obwohl sie meist nur tote Gegenstände und selten handelnde Menschen zeigten. Umso tollkühner ging es in seinem Kopf zu: In dieser Fantasiewelt herrschte sein furchtloses Alter Ego »Johnny Malingo«, der jedem mit äußerster Brutalität begegnete, sollte ihm der nötige Respekt verweigert werden. Malingo war der geborene Einzelgänger, der keine Freunde brauchte und allein mit seinem treuen Pony »Bushbranch« unterwegs war. Wenn Eric sich gerade nicht in ein neues Cowboy-Abenteuer von Johnny hineinträumte, konnte er stundenlang in der heimischen Küche hocken und Bilder von frisch gebackenen Pasteten anfertigen.

      Sein Zeichentalent war auch seinen Lehrern nicht verborgen geblieben. Als Eric dann im Alter von 14 Jahren an der St. Bede die Thirteen-Plus-Prüfung mit tatkräftiger Unterstützung seines Kunstlehrers Mr. Swan bestand, wechselte er auf die Hollyfield Road School in Surbiton, der die Juniorenabteilung des Kingston Art College angeschlossen war. Das bedeutete für den Jungen zwar jeden Morgen eine halbstündige Busfahrt, doch war das die Sache wert. Hier konnte er an einem dreijährigen Kurs für Malerei und Bildhauerei teilnehmen: Als Glasmaler hätte Eric nach Ansicht von Rose und Jack eine sichere Zukunft vor sich gehabt.

      Rock ’n’ Roll als Rettungsanker

      Den stärksten Rückhalt aber bot dem Heranwachsenden die Musik, zumal sie Clapton buchstäblich in die Wiege gelegt schien. Schon sein Urgroßvater mütterlicherseits, Timothy Mitchell, spielte Akkordeon und Violine und hatte dafür gesorgt, dass seine Tochter Rose als Jugendliche regelmäßig Klavierunterricht erhielt. In ihrem Haus 1, The Green, in Ripley, stand im Wohnzimmer ein Harmonium, das später durch ein Piano ersetzt wurde, auf dem Rose mit Vorliebe sentimentale Music-Hall-Hits von Gracie Fields und Josef Locke spielte. Erics Onkel Adrian versuchte sich dagegen mit Erfolg auf der Mundharmonika, profilierte sich aber am liebsten als Tänzer zu Swing-Nummern der Big Bands von Posaunist Glenn Miller, Klarinettist Benny Goodman oder Posaunist Tommy Dorsey. Dies war auch die Musik, die Erics Mutter Pat während ihres Besuchs in Ripley ständig auflegte. Auch er fühlte sich eine Zeit lang vom melancholischen Ton des Trompeters Bunny Berigan in seiner Interpretation von »I Can’t Get Started« angesprochen. Allerdings waren Erics erste musikalische Gehversuche nicht von Erfolg gekrönt: Nachdem er unter lautem Quietschen vergeblich versucht hatte, auf einer alten Violine seiner Großeltern nachzuahmen, was ihm sein Urgroßvater Mitchell so virtuos vorgespielt hatte, gab er sein erstes Saiteninstrument bald wieder auf.

      Als 1955 der Film Blackboard Jungle (Saat der Gewalt) in die englischen Kinos kam, war der Begriff ›Rock ’n’ Roll‹ in aller Munde. Bill Haley, Elvis Presley, Little Richard und Jerry Lee Lewis lieferten jetzt auch im Vereinigten Königreich den Soundtrack einer jugendlichen Revolte. Eric war wie elektrisiert und fest davon überzeugt, dass diese rohe, mitreißende Musik – entgegen den Prognosen englischer Zeitungen – keineswegs in sechs Monaten vorbei sein würde. Sein Schulfreund Philip Solly erinnerte sich später: »Für jeden auch nur einigermaßen frustrierten Jugendlichen, also für die meisten von uns, war diese Musik wie ein Geschenk des Himmels. Plötzlich sahen wir einen Ausweg.« Rock ’n’ Roll sollte sich als wichtigster kultureller Export Amerikas entpuppen, das nach dem Niedergang Großbritanniens ab 1945 das ökonomische, politische und kulturelle Leben in Europa dominierte: Coca Cola, Comics, Hamburger, Hollywoodfilme voller Action – all diese Konsumartikel wirkten wie Heilsversprechen eines Reichs der Freiheit, voller Abenteuer und Verlockungen.

      Bill Haleys »Shake, Rattle ’n’ Roll« und »Rock Around The Clock« schafften es als erste Rock-’n’-Roll-Songs im Dezember 1954 und November 1955 in die britischen Charts. Das war jedoch nichts im Vergleich zum sensationellen Durchbruch von Elvis Presley im Jahr 1956, der ebenso wie in Amerika zum Liebling der Teenager und zur Hassfigur der Erwachsenen im Vereinigten Königreich avancierte: Man warf ihm idiotische Texte, einen peinlich larmoyanten Gesangsstil und sexuell aufstachelnde Musik vor. Patrick Doncaster beschrieb Elvis’ Gesang im Daily Mirror als »ein Gurgeln atemloser Krämpfe« und verglich ihn mit dem »Durchspülen eines Abwasserrohrs«. Mit rassistischem Unterton diskreditierte man seine Songs als »schwarze Musik« und die Daily Mail war sich nicht zu schade, den Rock ’n’ Roll als die »Rache des Negers« zu werten. Beiderseits des Atlantiks verfielen die Feuilletonisten in apokalyptische Schnappatmung.

      Doch davon ließen sich weder Clapton noch Tausende andere Jugendliche auf der Insel beeindrucken. Schon während seiner Zeit auf der St. Bede School hatte Eric sich mit John Constantine angefreundet. Der Junge aus gut situiertem Hause teilte seine Rock-’n’-Roll-Faszination, zumal seine Eltern eine Musiktruhe besaßen, einen klobigen Holzschrank mit eingebautem Radio und Plattenspieler, damals eine Rarität. Hier hörte Eric 1956 zum ersten Mal den Elvis-Presley-Kracher »Hound Dog« und war vor allem von Scotty Moores Gitarrensolo mit seiner Weniger-ist-Mehr-Phrasierung völlig begeistert.

      Home Is Where My Record Player Is: Claptons erster Plattenspieler

      Zu seinem 13. Geburtstag im März 1958 bekam Clapton von Rose und Jack seinen ersten eigenen Plattenspieler geschenkt. Es war ein portabler Dansette Club, auf dem er wieder und wieder sein erstes Album von Buddy Holly And The Crickets abspielte. Als Holly im selben Jahr in der TV-Reihe Sunday Night at the London Palladium auftrat, saß Clapton


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