Eric Clapton. Ein Leben für den Blues. Peter Kemper

Eric Clapton. Ein Leben für den Blues - Peter Kemper


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wandelnde Blues-Enzyklopädie. Während des Krieges hatte er als Angehöriger der Royal Navy New Orleans besucht, war tief in die Jazz- und Blues-Szene eingetaucht und gab seine Musikbegeisterung gleich an seinen Sohn weiter. Weil der 15-jährige ›Top‹ sich außerdem zu einem talentierten Gitarristen entwickelt hatte, wurde sein Elternhaus bald zu einem beliebten Treffpunkt für Clapton & Co. Hinzu kam, dass Tophams Mutter die Blues-Jünger regelmäßig bekochte. Dennoch erinnert sich Anthony mit gemischten Gefühlen an die gemeinsamen Sitzungen:

      Eric war kein einfacher Mensch. An manchen Tagen konnte er absolut charmant sein, an anderen war er unfreundlich und ging einem ganz schön auf den Geist. Es war ganz offenkundig, dass er eine besondere Beziehung zum Blues hatte, weil auch er so viel Schmerz in seinem Innern verspürte.

      Nach drei Jahren an der Hollyfield-Schule wurde Clapton im Sommer 1961 mit einjähriger Probezeit am Kingston Art College angenommen. Mit 16 Jahren hatte er das GCE-Examen, eine Art Fachabitur, mit Bestnote bzw. einem A-Level-Abschluss in Kunst und dem O-Level in Englisch absolviert. Doch er interessierte sich kaum noch für die Schönen Künste und sein gewähltes Fach »Werbegrafik« war ihm herzlich egal. Oft fuhr er nach London, um die Blues- und Jazz-Szene in der Hauptstadt zu erforschen. Obwohl ihn die dortige Szene inspirierte, fühlte er sich in erster Linie als ›Country Boy‹ und jammte am liebsten auf sicherem, heimatlichem Boden in Kingston oder Richmond. Das lockere Künstlerleben an der Art School gefiel ihm dagegen sehr und bald zählten so völlig unterschiedliche Autoren wie Baudelaire, Kerouac, Ginsberg und Steinbeck zu seinen Lieblingen.

      Nach dem Krieg war im Zuge einer Bildungsreform in ganz England ein System von ›Oberschulen‹ (Grammar School, Secondary Modern) eingerichtet worden, die von allen Staatsbürgern kostenlos besucht werden konnten. Im Zuge dieser allgemeinen Demokratisierung entstanden auch die Art Schools. Jetzt konnten Arbeiter- und Mittelschichtskinder plötzlich eine Weiterbildungsform wählen, die mit ihren Privilegien bis dato nur Kindern aus reichen Familien vorbehalten waren. Das Hauptprivileg bestand in der Freiheit, seinen Lehrplan und damit seinen Tagesablauf selbst zu gestalten. In diesem Sinne funktionierten die britischen Art Schools wie eine Art ›bildungspolitisches Sicherheitsventil‹, das auch weniger erfolgreichen Schulabgängern immer noch die Chance bot, ihr Außenseitertum und ihr Unverstandensein in Kreativität umzumünzen. Schnell avancierten diese Schulen zu Brutstätten der britischen Blues- und Rock-Bewegung. Denn neben der Beschäftigung mit Kunsttechniken und Kunstgeschichte blieb genügend Zeit für alle möglichen musikalischen Vorlieben. David Bowie, unter seinem Namen David Jones zunächst ein passabler Blues-Musiker, erinnerte sich später: »In Großbritannien gab es damals diesen Witz: ›Du besuchst eine Art School, um Blues-Gitarrist zu werden.‹« Deshalb wussten die meisten ihrer Absolventen auch mehr über Rockmusik als über Kunst. Allein aus dem Kingston Art College im Großraum London gingen spätere Rockstars wie Eric Clapton, Paul Jones, Tom McGuiness, vier der fünf Yardbirds, Pete Townshend und Ron Wood hervor.

      Kurz bevor er sich seinen künstlerischen Talenten auf der Kunsthochschule widmen konnte, fand Clapton 1961 mit Robert Johnson seinen musikalischen Mentor. Das Album King Of The Delta Blues Singers brachte ihn beim ersten Hören fast um den Verstand: »Anfangs war es zu viel für mich, ich hielt diese Musik zunächst nicht aus. Es war ein Schock, dass es so etwas Kraftvolles überhaupt gab. Johnson wirkte auf mich zu intensiv, zu eindringlich.« Sechs Monate lang traute sich Clapton nicht mehr an Johnsons Musik heran, doch dann startete er einen neuen Versuch: »Johnson fing mich jetzt wie ein Insekt ein. Ich wurde regelrecht fanatisch und war von seiner Musik besessen. Dabei fielen mir jede Menge Parallelen zu meinem eigenen Leben auf.«

      Vielleicht half Clapton bei dieser Stilisierung seiner Kultfigur auch, dass Johnson damals schon ein Vierteljahrhundert tot war und noch kein Bild von ihm existierte. Das Cover des ersten Johnson-Albums King Of The Delta Blues Singers zierte deshalb auch kein Foto, sondern ein geheimnisvolles Gemälde von Burt Goldblatt. In den Augen von Clapton muss dieses Bild das Image des mysteriösen Einzelgängers noch verstärkt haben: Goldblatt, bekannt für seine abstrakten Karikaturen, hatte einen schwarzhäutigen Gitarristen gezeichnet, auf den der Betrachter von oben herabblickt. Der Mann ist gesichtslos und wirft einen langen Schatten auf eine leere Fläche. Zunächst ist diese Perspektive irritierend, der Betrachter muss sich erst im Bild zurechtfinden, um die Bezüge zwischen Mensch, Schatten und Instrument zu entwirren. Hat er das geschafft, präsentiert ihm die grafische Covergestaltung einen geheimnisvollen Fremden, nicht klar erkennbar und unergründlich, allein auf seine Musik konzentriert – ein Mann, hin und hergerissen zwischen seiner physischen und seiner schattenhaften Existenz. Bald begriff Eric das Johnson-Album als heiligen Text. »Ich habe bis heute nichts Seelenvolleres und Ausdrucksstärkeres gehört als Robert Johnson auf dem Album, das ich besitze. Er verkörpert noch immer den kraftvollsten Schrei, zu dem die menschliche Stimme fähig ist.«

      Doch wer war dieser Robert Johnson wirklich? Wie konnte aus einem rastlosen, bitterarmen Delta-Phantom der ›James Dean des Blues‹ werden? Und warum wurde er für Eric Clapton zum alles entscheidenden Wegweiser?

      Exkurs: Robert Johnsons langer Schatten

      Den meisten Quellen zufolge wurde Robert Leroy Johnson am 8. Mai 1911 in Hazlehurst, Mississippi, als unehelicher Sohn von Julia Ann Majors Dodds und dem Farmarbeiter Noah Johnson geboren. Obwohl dieses Datum von Johnsons Halbschwester Carrie bestätigt wurde, gibt das Verzeichnis der Indian Creek School, die Johnson vier Jahre lang besucht hatte, sein Geburtsjahr mit 1910 an. Johnsons erste Heiratsurkunde wiederum nennt das Jahr 1907, sein Totenschein dagegen geht von 1912 als Geburtsjahr aus. Das, was man über Johnson weiß, ist an keiner Stelle eindeutig und bietet immer Raum für Spekulationen: Auf seiner ersten Heiratsurkunde ist der Name seines Vaters mit »Nora« angegeben, auf der zweiten wird dieser gar »Nola« anstelle des korrekten »Noah« genannt. Auch Johnsons Hautfarbe wird hier irritierend für den heutigen Leser als »männlich« bezeichnet. Anscheinend spiegelt sich in diesen Einträgen eine Tendenz jener Zeit wider, die Daten von Afroamerikanern nur pro forma einzutragen: Ein ›Farbiger‹ war offenbar keiner Mühe wert.

      Das Einzige, was wir sicher über Robert Johnson wissen, ist, dass er in »eine Welt voll sozialer Ungerechtigkeit, Rassismus, Aberglauben und Verunsicherung hineingeboren wurde«, so die amerikanische Blues-Forscherin Patricia R. Schroeder. Seine Mutter Julia und ihr Ehemann Charles Dodds Jr. bewirtschafteten zunächst eine kleine Farm und versorgten eine Familie mit neun Kindern mehr schlecht als recht. Dodds war ein sogenannter Sharecropper, also ein Landarbeiter ohne eigenen Boden, der als Pacht einen Teil seiner Ernte an den Landbesitzer abliefern musste. In Dodds Fall waren das die Marchetti-Brüder. Diese zwangen ihre Pächter durch immer stärkere Verschuldung dazu, immer größere Mengen ihres Ernteertrags direkt an sie abzuliefern. Als Dodds von den Marchettis die Zwangsvollstreckung seiner Hypothek angedroht wurde, floh er um 1907 nach Memphis, Tennessee: Die weißen Landbesitzer hatten angedroht, ihn zu lynchen, falls er nicht zahlen würde. Aus Selbstschutzgründen änderte er dort seinen Namen in »C. D. [d. i. Charles Dodds] Spencer«. Seine Geliebte Mollie gebar ihm später zwei weitere Kinder.

      Julia blieb mit ihren Kindern zurück. Nach ihrer Affäre mit dem Farmarbeiter Noah Johnson erblickte Robert das Licht der Welt. Die ersten drei Lebensjahre verbrachte er zusammen mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in diversen Farmarbeitercamps, bis Julia ihre Kinder nahm und zu ihrem ersten Mann Dodds/Spencer nach Memphis übersiedelte. Dort ließ sie Robert für ein paar Jahre in dessen Obhut, bis dieser es leid war, für den Jungen die erzieherische Verantwortung zu übernehmen. In dieser Zeit dürfte Robert von seinem Halbbruder Charles Leroy die Grundlagen des Gitarrenspiels gelernt haben.

      Das Wiedersehn mit seiner Mutter verdankte sich nach Aussagen seiner Halbschwester Carrie purem Zufall. Die beiden schlenderten 1918 durch die Front Street in Memphis, auch als »Cotton Row« bekannt, als Carrie plötzlich mit einem Finger auf eine Frau zeigte und rief: »Da ist Mama!«. Sie hatte Recht. Julia nahm ihren Sohn mit auf die Richard-Leatherman-Plantage nahe Robinsonville, Mississippi, wo ihr neuer Ehemann Willie ›Dusty‹ Willis als Sharecropper sein Geld verdiente. Willis war ein strenger Stiefvater, von dem Johnson wiederholt Prügel bezog. Mit seinem neuen Stiefsohn kam er überhaupt nicht zurecht, zumal der sich konstant weigerte, ihm bei der schweißtreibenden Arbeit auf den Baumwollfeldern zur Hand zu gehen. Wahrscheinlich aus Protest


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