Eric Clapton. Ein Leben für den Blues. Peter Kemper

Eric Clapton. Ein Leben für den Blues - Peter Kemper


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Freunde an ihrer Sucht gestorben waren? Clapton war sich nur nicht sicher, ob es sich dabei um eine gute oder eine teuflische Macht handelte. Jedenfalls sollten sich bald verblüffende Entsprechungen zwischen seinem Lebensweg und dem seines Blues-Idols ergeben. Ursprünglich mag er vor allem vom Mythos ›Robert Johnson‹, von jener Dunkelheit und Gefahr, die seine Legende ausstrahlte, fasziniert gewesen sein. Doch schon bald reagierte er in einem viel tieferen Sinne auf die Art und Weise, wie Johnson mit Angst, Einsamkeit und Trauer umging. Musik und Legende versteht Clapton – wie er Andrew Franklin in der Zeitschrift Musician im Januar 1991 erzählt – inzwischen als zwei verschiedene Dinge:

      Seine Musik besitzt ein eigenes Leben und wenn Johnson heute noch leben würde, und – sagen wir mal: ein etablierter Banker wäre, würde meine Wertschätzung seines Werks davon nicht im Mindesten betroffen sein. Die Aufnahmen sind aufregend und wahr – und alles andere ist nebensächlich.

      Fast wäre Claptons lebenslanger Leitstern verschwunden, bevor er vollends aufgehen konnte. Claptons Klassenkamerad Anthony ›Top‹ Topham erinnert sich 2015 im Gespräch mit Tony Scott:

      Samstagvormittags trafen sich alle Blues-Enthusiasten von der Art School in unserem Haus in der Clifton Road. Eines Morgens kam Eric völlig deprimiert bei uns an. Er hatte sich gerade sein erstes Robert-Johnson-Album gekauft und an der Haltestelle auf den Bus zu uns nach Kingston gewartet. Weil er noch ein paar Minuten Zeit hatte, lehnte er sich an das Bus-Stoppschild und stellte das Album neben sich auf den Boden. Als der Bus dann kam, sprang er gleich rein und merkte sofort, dass er die Platte vergessen hatte. An der nächsten Haltestelle stieg er gleich wieder aus und lief zurück, musste aber feststellen, dass das Album weg war. Er war fürchterlich aufgebracht, denn die Platte hatte ihn 30 Schilling gekostet, was damals viel Geld war.

      Clapton war nicht der einzige Blues-begeisterte Jugendliche, der sich von Robert Johnson angezogen fühlte. »Wo zum Teufel hast du diese Platte her«, wollte der 18-jährige Keith Richards von Brian Jones wissen, als dieser ihm das Album vorspielte. In Los Angeles bemühte sich zur selben Zeit der erst 14-jährige Ry Cooder mit einem Bottleneck und einer Gitarre vergeblich, etwas vom Zauber von Johnsons verrücktem Zeug einzufangen. Doch keiner dieser Blues-Jünger hat sich ihm so bedingunslos ergeben wie Eric Clapton. Noch 2004 bekräftigte er in den Liner Notes seines Tribute-Albums Me And Mr. Johnson, dass Johnson »der Grundpfeiler meines musikalischen Fundaments ist, ein Meilenstein, an dem ich mich immer wieder orientiert habe, wenn ich Gefahr lief, abzudriften.«

      Baumwollfelder an der Themse

      Anfang der 1960er Jahre galt der Blues in Amerika als ›toter Hund‹, während er auf der anderen Seite des Atlantiks geradezu enthusiastisch gefeiert wurde. In einem ersten Schritt eigneten sich britische Blues-Bewunderer diese schwarze Musikform an, indem sie sie so genau wie irgend möglich studierten, ihre musikalischen Strukturen anhand von Schallplatten, Radiosendungen, Büchern und Zeitschriften analysierten und nachahmten. In einem zweiten Schritt kam es zu einer produktiven Synthese aus Nachahmung und Neuerfindung: Die Rhetorik des Blues, seine Bildersprache, seine Mythen, sein Slang-Vokabular, seine musikalischen Phrasen und Wendungen wurden mit englischer Folklore, ebenso wie mit amerikanischer Rockmusik verschmolzen, vor allem aber mit Lautstärke und Aggression aufgeladen. So entstand Anfang der 1960er Jahre der typisch britische Blue-Eyed-Blues als eine Rekombination von traditionellen und aktuellen Elementen.

      Dabei bedeutete Blues als kulturelles Idiom und sozialer Text für Schwarze etwas völlig anderes als für Weiße. Die britischen Blues-Liebhaber – Musiker wie Publikum – wuchsen weder mit dem institutionalisierten Rassismus in Amerika auf, noch hatten sie zunächst eine Ahnung von den oft katastrophalen Lebensumständen schwarzer Musiker in den Südstaaten der USA. In Großbritannien speiste sich die Blues-Vorliebe eher aus Außenseiter-Instinkten, jugendlicher Rebellion und Nonkonformismus-Fantasien. Aus der tristen Welt englischer Vorstädte konnte man sich mühelos in die Rückzugsorte afroamerikanischer Blues-Musiker wie dem Mississippi-Delta, Memphis oder Chicago davonträumen. Nicht zufällig grassierte unter den britischen Blues-Boomern aus dem Stockbroker Belt von Surrey, südlich von London, der selbstironische Joke vom »Surrey Delta« oder von den »Thames Valley Cotton Fields«, denn man lebte tausende Meilen vom Mississippi entfernt.

      Als Brite war man überzeugt, Rassefragen und damit verbundene moralische Entscheidungen vernachlässigen und den Blues als quasi wertfreie musikalische Ausdrucksform übernehmen und weiterentwickeln zu können. Diese Haltung entsprach noch ganz der ›Shopping-Mentalität‹ des untergehenden britischen Empire, das geglaubt hatte, kulturelle Formen, Stile und Genres aus allen Teilen der Welt konsumieren, amalgamieren und nach eigenem Gutdünken verändern zu können. Selbst wenn jemand wie Clapton sich nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Ende des britischen Empire um den Verlust von – sagen wir – Indien oder Kenia wenig gekümmert haben mag, so konnte er doch nicht der verbreiteten nationalen Stimmung von Unsicherheit und kultureller Verknöcherung entfliehen. Erst in dieser Situation des Niedergangs konstruierten britische Blues-Liebhaber ›Amerika‹ als einen Ort, an dem Abenteuer und Bewegungsfreiheit noch möglich schienen – und nach einem Wort von Keith Richards »die Mädchen ohnehin besser aussahen.«

      Für Schwarze war das Leben im Mississippi-Delta in den 1920er Jahren, als der Blues entstand, eine Qual: Als Tagelöhner auf den endlos weiten Feldern wurden sie wie Geister behandelt: Bei Sonnenaufgang hatten sie lautlos zu erscheinen, mussten ohne Murren in glühender Hitze schuften und bei Sonnenuntergang möglichst geräuschlos wieder verschwinden. Auch einem einfachen ›farbigen‹ Sharecropper bzw. Pächter ging es nicht viel besser, war er doch von korrupten weißen Großgrundbesitzern abhängig, deren absurd hohe Pachtforderungen er kaum erfüllen konnte und sich deshalb immer weiter verschulden musste. Kein Wunder, dass die Schwarzen am Wochenende in sogenannten Juke Joints, von Alkohol und Sex durchtränkten Tanzveranstaltungen, Ablenkung von ihrem aufreibenden Alltag suchten. Die wüsten Partys in der Samstagnacht waren direkte Gegenveranstaltungen zum sonntäglichen Gottesdienst am nächsten Morgen. Inmitten der Massen von Prostituierten, Schaustellern und Whiskeyschmugglern hatten Blues-Musiker ihren festen Arbeitsplatz, ebenso in den zahllosen Camps der Tagelöhner, beides Brutstätten von Gewalt und Kriminalität. Hier konnte sich der Blues als Ausdruck einer erschöpften Seele und gleichermaßen als Demonstration unsterblicher Lebenslust entwickeln. Dabei ging es nicht in erster Linie um musikalische Virtuosität, sondern um innere Einstellung. Können ist zwar eine Voraussetzung, »aber die wahre Tugend des Blues-Musikers liegt darin, dass er sein Leben akzeptiert, ein Leben, für das er nur zum Teil verantwortlich ist«, so der amerikanische Rockkritiker Stanley Booth.

      Schnell durchschaute der junge Robert Johnson dieses geheime Gesetz: Der Blues machte die Schrecken der Welt besser erträglich, einer brutalen Welt, »die tagtäglich auf der Lauer lag, sobald man den Fuß aus der Kirche setzte« – wie es der amerikanische Musik- und Kulturkritiker Greil Marcus formulierte. Nie war der Blues transzendent oder huldigte dem Höchsten. Anstelle göttlicher Gnade bettelte er um Erlösung durch Liebe und Sex. Das musste bei heranwachsenden, vom britischen Zeitgeist enttäuschten Jugendlichen zwangsläufig auf offene Ohren treffen. Eric Clapton und die Rolling Stones sollten deshalb in der Folgezeit viele Johnson-Songs covern, von »Love In Vain«, »Stop Breaking Down«, über »Ramblin’ On My Mind« und »From Four Until Late« bis zu Claptons lebenslanger Erkennungsmelodie »Crossroads«.

      Die Bedeutung von Johnson lässt sich dennoch nicht allein an der Anzahl der Coverversionen messen, sein Einfluss reicht tiefer: Für viele Rock- und Blues-Musiker wurde er zum Spiegel und Prüfstein zugleich. Blues verkörperte für die weißen jungen Briten ungeschulte Rauheit anstelle von gekonnter Professionalität, bäuerliche Vorzeit statt städtischer Modernität und herbe Männlichkeit anstelle von zarter Weiblichkeit. Doch der Hauptgrund, warum weiße britische Mittelschichtsjugendliche sich für den Delta-Blues begeisterten, war ihre Suche nach den Wurzeln, nach den historischen Vorläufern des Rock ’n’ Roll. Wo kam Elvis eigentlich her? Aus welchen Quellen schöpfte Carl Perkins? Woher nahm Chuck Berry seinen Rhythmus? Und wie kam Little Richard zu seiner Rock-Röhre? Wurzeln galten den jungen Briten als das Wahre, die Quelle garantierte für sie Authentizität, noch unverdorben durch modernes Stadtleben und Kommerz.

      Den ersehnten Ursprungsmythos fanden sie schließlich


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