EXIT. Michael Herl
Was ich von einem weltanschaulich-religiös neutralen Staat erwarte Zwanzig notwendige Korrekturen
PHILIPP MÖLLER
Bekenntnisse eines ehemals Unreligiösen und wie er zum »Atheisten-Aktionisten« wurde – Eine Chronik
ANDREAS ALTMANN
Über Kreuzzüge, gen Himmel fahrende Jungfrauen und anhaltenden Gotteswahn – Ein Schurkenstück
GEORG DIEZ
RICHARD DAWKINS
Ein Gespräch mit Daniela Wakonigg
JOHANN-ALBRECHT HAUPT
Gesetze und Verfassungen – Eine Dokumentation
Die Autorinnen und Autoren – Der Herausgeber
HELMUT ORTNER
Glaube. Macht. Gott.
Warum die Welt weniger Religion braucht – und der Glaube Privatsache sein sollte
Unser Land darf weiterhin auf göttlichen Beistand hoffen. Ein überwiegend christliches Kabinett setzte auch im März 2018 im Berliner Reichstag auf gewohnte Dramaturgie: zwölf Bundesministerinnen und -minister beendeten ihren Amtseid mit der Formel »So wahr mir Gott helfe«. In den Niederungen der Realpolitik mag eine Dosis göttlicher Eingebung mitunter durchaus hilfreich sein, doch möglich ist es den Ministerinnen und Ministern auch, ihren Eid »ohne religiöse Beteuerung« zu leisten. Sie sagen dann nur: »Ich schwöre es!« Drei der neuen Minister nutzten die Formel ohne religiöse Beteuerung: Bundesfinanzminister Olaf Scholz, Bundesjustizministerin Katarina Barley und Bundesumweltministerin Svenja Schulze (allesamt SPD). Schon Kanzler Gerhard Schröder hatte einst auf das religiöse Beiwerk verzichtet, ebenso wie sein grüner Außenminister Joschka Fischer und Umweltminister Jürgen Trittin. Die moralischen Grundwerte des rot-grünen Abendlandes gerieten – trotz leicht atheistischer Einfärbung – nicht in ernsthafte Gefahr. Immerhin.
Auch ohne Gottesschwur: Gott mischt kräftig mit in der deutschen Politik. In den Parlamenten, den Parteien, den Institutionen. »Dabei wird so getan, als hätte er ein ganz natürliches Anrecht darauf, als gehörte er zur politischen Grundausstattung, zum politischen Personal der Bundesrepublik, zur deutschen Demokratie«, konstatiert Dirk Kurbjuweit.
Nicht nur in der deutschen Politik, vor allem in deutschen Gerichtssälen, wird viel geschworen. Bei der Vereidigung vor Gericht geht dem Amts-Eid stets die Eingangsformel »Sie schwören …« (bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden) voraus. Im Strafverfahren wird nach § 64 StPO angemahnt: »… dass Sie nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen haben. «Die Ironie dabei ist: es wird ausgerechnet auf ein Buch geschworen, das viele Irrtümer, Erfindungen und Mythen enthält. Trotz allem: von der Kanzlerin bis zum Gerichtszeugen – auf göttliche Beschwörung, vor allem christliche Beteuerung, wird hierzulande also noch immer gerne vertraut.
Dass unsere heutige Demokratie unbestreitbar auf einem Menschenbild gründet, das viel mit dem Christentum zu tun hat, will niemand infrage stellen. Aber die Geschichte zeigt, dass die christlichen Kirchen nicht unbedingt Trägerinnen der Demokratie waren – und sind. Was heute Staat und Staatsbürger ausmacht, ist gegen die christlichen Kirchen erkämpft worden.
Hierzulande herrscht Glaubensfreiheit. Ob einer Christ oder Muslim, Buddhist oder Jude ist, darf keine Rolle dabei spielen, ob er als Bürger dieses Landes willkommen ist. Das Ideal eines Staatsbürgers sieht so aus: Er sollte die abendländische Trennungsgeschichte von Staat und Kirche akzeptieren, die Werte der Aufklärung respektieren und die Gesetze dieses Staates achten. Das reicht.
Wer Beamter, Staatsanwalt oder Richter werden möchte, schwört auf die Verfassung, nicht auf die Bibel oder den Koran. Deutschland ist ein Verfassungs- und kein Gottes-Staat. Und das, sagt der Rechtsphilosoph und Staatsrechtler Horst Dreier, ist die Voraussetzung für Religionsfreiheit. Alle Bürger dürfen ihren Gott, auch ihre Götter haben – der Staat aber muss in einer modernen, säkularen Grundrechtsdemokratie gottlos sein. Freilich: Wenn Verfassungsrechtler vom säkularen Staat sprechen, dann meinen sie keineswegs einen a-religiösen, laizistischen Staat, sondern einen, der Religions- und Weltanschauungsfreiheit garantiert und religiös-weltanschauliche Neutralität praktiziert. Entscheidend sind nicht religiöse Präferenzen, sondern Verfassungstreue.
Vorbei sind die Zeiten, als die beiden großen christlichen Konfessionen über Jahrzehnte das gesellschaftliche, politische Leben hierzulande beherrschten und die Religion aufgrund der kulturellen Harmonie eine integrierende und stabilisierende Größe war. Laut einer Umfrage sagen 33 Prozent der Deutschen, »mit dem Glauben an Gott nichts anfangen zu können«. Sie gehören zu den Bürgern, die in Deutschland keiner Glaubensgemeinschaft angehören – mit 36,2 Prozent der Bevölkerung –; das ist die Mehrheit. 28,5 Prozent (römisch-katholische Kirche) und 26,5 Prozent (evangelische Kirche) folgen – danach kommen weitere 4,9 Prozent (konfessionsgebundene Moslems) sowie 3,9 Prozent sonstige Religionsgemeinschaften (darunter: orthodoxe Kirchen – 1,9 Prozent, Judentum – 0,1 Prozent und Buddhismus – 0,2 Prozent). Wir sind also eine pluralistische, multi-ethnische, multi-religiöse Gesellschaft. Gläubige, Andersgläubige und Ungläubige müssen miteinander auskommen.
Deutlich wird: Die großen Konfessionen verlieren stetig an Mitgliedern – und an Vertrauen. Dennoch genießen sie nach wie vor eine Vielzahl von Privilegien, die eklatant gegen das staatliche Neutralitätsgebot verstoßen. Die Trennung von Kirche und Staat findet nicht statt: nicht in der Gesetzgebung, nicht in der Fiskalpolitik, nicht in der Medienpolitik, schon gar nicht in den Hochämtern und Niederungen der Politik.
Jüngste Beispiele? So verabschiedete die CSU-Landesgruppe Anfang 2019 auf ihrer Klausurtagung im bayrischen Kloster Seeon ein Strategie-Papier mit dem Titel »Innovation gestalten, Orientierung geben, Ethik bewahren«, in dem schon in der Einleitung die Rede davon ist, dass sowohl Rechtsstaat als auch Grundgesetz »untrennbar« mit dem christlichen Menschenbild verbunden sind. Auch Sozialstaat und soziale Marktwirtschaft sind »undenkbar« ohne die christliche Soziallehre. Und was auf keinen Fall fehlen darf: »Deutschland ist ein christliches Land« – der Klassiker.
Bayerischen CSU-Parlamentariern sei ihre religiöse Standfestigkeit unbenommen, nur: das staatliche Neutralitätsgebot hat Vorrang, vor allem, wenn es um die Umsetzung praktischer Politik von Mandatsträgern geht. So sieht es das Grundgesetz