EXIT. Michael Herl

EXIT - Michael Herl


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in Zeiten von Vorurteilen müsse das Wissen übereinander gefördert werden, so Mansour. Er plädiert stattdessen für einen nicht-bekenntnisorientierten Unterricht für alle Konfessionen gemeinsam. Es würde Muslimen gut tun, mehr über das Christentum und das Judentum zu erfahren »und zwar nicht in den Hinterhofmoscheen in Neukölln, sondern in einer staatlichen Schule von einem Religionslehrer, der gut ausgebildet ist, der ein Demokrat ist, der Aufklärung verstanden hat«, so dessen Kritik.

      Man möchte Herrn Mansour beipflichten – und ihm zurufen: Wie wäre es, vielleicht ganz auf den Religionsunterricht an staatlichen Schulen zu verzichten? Stattdessen eine Einführung in den evolutionären Humanismus, von Lehrerinnen und Lehrern, die sich der säkularen Aufklärung widmen? Aber es wird hierzulande vorerst beim bekenntnisorientierten Religionsunterricht bleiben, ordentlich separiert nach Konfessionen. Und nicht nur in Bayern unter einem Kruzifix an der Wand des Klassenzimmers.

      Ob im Gerichtssaal oder im Klassenzimmer: es geht nicht um die »Austreibung Gottes« aus der Welt. Glaubens- und Religionsfreiheit ist Menschenrecht. Im Gegenteil: Demokratische Staaten garantieren religiösen Gruppen, Gemeinschaften oder Kirchen, dass sie frei agieren können, soweit sie nicht die Freiheiten anderer gefährden oder die Gesetze verletzen. Aber wir hätten keinerlei Einwände, wenn das Neutralitätsgebot endlich Anwendung fände und der Einfluss der Religionen – hierzulande vor allem der beiden großen christlichen Konfessionen – entscheidend eingeschränkt und zurückgedrängt würde, inklusive aller Privilegien und Ressourcen, Subventionen und Ordnungsfelder. Und der Gottesbezug in der Präambel unseres Grundgesetzes? Auch der darf gerne gestrichen werden. Unser Grundgesetz sollte gottlos sein.

      Dass es an der Zeit ist, die »Kirchenrepublik Deutschland« hinter uns zu lassen und dafür zu sorgen, dass aus Verfassungstext endlich Verfassungswirklichkeit wird, wurde einmal mehr sichtbar, als im Februar 2019 im Deutschen Nationaltheater in Weimar der offizielle Festakt zu »70 Jahre Grundgesetz« und »100 Jahre Weimarer Verfassung« stattfand. Die Jubiläums-Dramaturgie sah wie selbstverständlich einen ökumenischen Gottesdienst mit der evangelischen Landesbischöfin und dem katholischen Erfurter Bischof vor. Dabei wurde gerade das, was die elementaren Bürgerechte betrifft – von Meinungsfreiheit bis Frauenrechte – kurz das, was heute Staat und Staatsbürger ausmacht, gegen den Klerus erkämpft.

      An diesem grundsätzlichen Mangel an demokratischen Standards wird, so ist zu befürchten, sich in naher Gegenwart wenig ändern. Dafür sorgt die politische Klasse, allen voran die C-Parteien. So inszenierte sich die neue Parteivorsitzende der CDU, Annegret Kramp-Karrenbauer, der große Chancen eingeräumt werden, Angela Merkel als Bundeskanzlerin zu folgen, wiederholt als Retterin des christlichen Abendlandes. Sie ist nicht nur Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), sondern demonstriert auch immer wieder ihre Frömmigkeit, wenn es um politische Inhalte geht. Eine Entscheidung des Saarbrücker Amtsgerichts, Kreuze aus den Sitzungssälen entfernen zu lassen, mochte sie nicht nachvollziehen: »Das Kreuz verdeutlicht, dass der Mensch nicht das Maß aller Dinge ist«, so Kramp-Karrenbauer im Saarländischen Rundfunk. Nirgendwo sieht die CDU-Frontfrau Änderungsbedarf, was den Status quo der genannten Privilegien, Subventionen und Zuwendungen betrifft, auch das staatliche Neutralitätsgebot sieht sie nicht verletzt. Alles soll so bleiben, wie es ist. Beispielsweise auch der »Blasphemie-Paragraph« (§ 166 StGB). Dort heißt es:

      »… Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. …«

      Kurz nach dem Attentat auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo sprach sich Kramp-Karrenbauer gegen eine Streichung aus, denn dieser Paragraph verdeutliche, »dass Religion und die damit verbundenen Gefühle der Menschen ein schützenswertes Rechtsgut« seien. Die CDU-Politikerin ist sich in der Beschwörung des »Respekt[s] vor religiösen Anschauungen« mit eifernden Glaubens-Fundamentalisten aller Religionen einig: Ob Adepten des Katholizismus, Vertreter eines Islams oder orthodoxen Judentums – sie alle reklamieren ständig und allerorten »Respekt!«. Einige fordern sogar einen neuen, schärferen Blasphemie-Paragraphen.

      Die Blasphemie ist eine Konstruktion und hat eine lange und wechselhafte Geschichte. In Frankreich wurde sie als »imaginäres Verbrechen«, als strafwürdiges Delikt 1791 abgeschafft. Lange war sie im modernen, aufgeklärten Europa verschwunden. Spätestens seit den Mord-Drohungen gegen die Herausgeber und Redakteure einer dänischen Tageszeitung, die Mohammed-Karikaturen veröffentlich hatte (was in der moslemischen Welt zu einem Sturm der Entrüstung führte), aber kehrte die Diskussion um ein Blasphemie-Verbot zurück. Wendepunkt war dann der terroristische Angriff am 7. Januar 2015 auf die Pariser Redaktion des Satireblatts Charlie Hebdo, bei dem zwölf Redaktionsmitglieder von moslemischen Glaubensfanatikern ermordet wurden. In den Tagen danach distanzierten sich zwar zahlreiche muslimische Organisationen von dem Anschlag, doch einige konnten der Versuchung nicht widerstehen, dem Ganzen ein »Aber« hinzuzufügen. Man verurteilte die Terroristen wegen ihrer Gewalttat, doch im gleichen Atemzug wurde – auch von linken Intellektuellen – der Zeitschrift vorgeworfen, sie habe die »Gefühle von Millionen Muslimen überall auf der Welt verletzt«.

      Das Prinzip der Rede- und Meinungsfreiheit, aber auch das der Pressefreiheit im Zusammenhang mit den islam-kritischen Zeichnungen war schon vor dem Attentat »im Namen des Respekts vor Religion« immer wieder kritisch thematisiert worden. Gegen solcherlei Vorwürfe und Attacken wehrte sich das Blatt.

      Der Zeichner und Chefredakteur Charb schrieb an die Kritiker einen längeren Text mit der Überschrift »Brief an die Heuchler« (der später in Buchform erschien). Er konnte nicht ahnen, dass er zwei Tage, nachdem er das Manuskript abgeschlossen hatte, nicht mehr leben sollte – ermordet von fanatischen Killern, die behaupteten, im Namen Allahs zu handeln.

      »Ein Fanatiker ist ein Mensch, der nur bis eins zählen kann«, beschreibt Amos Oz, weltweit gelesener und vielfach ausgezeichneter israelischer Schriftsteller (unter anderem mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1992) das autistische Weltbild dieser mörderischen Irrläufer:

      »Die fanatischen Kämpfer sind uns von Gott gesandt, um die Welt zu reinigen, um uns von all dem Schmutz zu befreien, der an uns haftet. … In den Augen moslemischer wie auch anderer Glaubensfanatiker ist die Befolgung sämtlicher religiöser Gesetze in ihrer schärfsten Form die einzige Medizin gegen alle Krankheiten der Menschheit.«

      Ihr mörderischer Irrsinn ist zeitlos. Noch heute arbeitet die Charlie Hebdo-Redaktion an einem geheimen Ort in Paris, der mit Panzertüren gesichert ist, rund um die Uhr bewacht von einem privaten Sicherheitsdienst. Immer wieder gibt es Drohungen, vor allem im Internet.

      Warum aber sollte man Religionen einen besonderen Respekt entgegenbringen? Es ist eine Errungenschaft der Aufklärung, dass es in einer freiheitlichen Demokratie keine »Meinungsdelikte« – definiert von Kardinälen, Imamen oder Rabbinern – gibt. In einer säkularisierten Gesellschaft schützt der Staat immer den Gläubigen, nie aber eine einzige Religion. Und deswegen müssen Religionen, welche es auch immer sein mögen, Spott aushalten, ganz gleich, ob es ihren Gott oder ihre Propheten trifft.

      Ich halte es hier gerne mit Rowan Atkinson, besser bekannt als der zappelnde Kino-Komiker »Mr. Bean«, welcher der Meinung ist, man dürfe grundsätzlich über alles Witze machen, selbstverständlich auch über Glaube und Religion. Der britische Ex-Außenminister Boris Johnson, ein Politiker, der Witz und Spott zum Stilmittel in der Politik erhob, hatte Burka-Trägerinnen als »Briefkästen« bezeichnet – und damit in seinem Land heftigen Protest ausgelöst. Mr. Bean, alias Rowan Atkinson, sprang ihm bei und erinnerte an den Grundsatz der Rede- und Meinungsfreiheit:

      »Wir dürfen auch Witze über Burka-Trägerinnen machen, denn das Prinzip der Redefreiheit ist ein zwingender Bestandteil einer funktionierenden und selbstbewussten Demokratie. … Ich bin auch manchmal beleidigt, wenn jemand was sagt, was mir nicht gefällt. Schlimm ist es nur, wenn Menschen für das Recht kämpfen, nicht beleidigt zu werden. Dann geht es der Meinungsfreiheit an den Kragen.« Großartig, dieser Mr. Bean!

      Keine Frage: Das Bekenntnis gläubiger Menschen verdient Achtung, doch es darf


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