Wozu ein Himmel sonst?. Norman G. Dyhrenfurth

Wozu ein Himmel sonst? - Norman G. Dyhrenfurth


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begraben werden, auf halber Höhe zwischen den Lagern.

      Welch ein deprimierendes Nachtmahl! Wie Elendshäufchen saßen wir um die flackernde Kerze, jeder machte sich Gedanken, fragte sich, ob die heutigen Ereignisse nicht das Ende unserer großen Hoffnungen bedeuteten. Falls die Sherpas allzu demoralisiert sein sollten, um weiterzukämpfen, wären wir erledigt! Alle waren sich dessen bewusst, aber es wurde kaum gesprochen. Die große Stille der Bergwelt war bedrückend und kaum ertragbar. Stumm sahen wir zu, wie Ernst aus einem Kistendeckel ein Kreuz anfertigte und eine schlichte Inschrift einkerbte. Jeder war mit seinen Gedanken allein. Raymond und Tensing verließen als Erste das Messezelt.

      Wir saßen noch einige Zeit vor Kälte zitternd um den Kerzenstummel und sprachen von der Heimat. Kurz nach acht suchten auch wir unsere Zelte auf. Die Nacht schien ungewöhnlich kalt und die riesigen Berge glitzerten im grellen Mondlicht. Das tückische Blankeis unserer Anstiegsroute war gut erkennbar, aber zu dieser Stunde sah alles eher harmlos und friedlich aus. Trotzdem machte ich mir große Sorgen. Die größten Schwierigkeiten standen uns noch bevor, und sechs Leute waren bereits ausgeschieden: Zwei Träger starben infolge Kälte und Erschöpfung beim Anmarsch, und nun war ein Sherpa tot und drei andere schwer verletzt. Wie lange konnten wir unter diesen Umständen weitermachen?

      Im Morgengrauen stiegen wir am 1. November zum Lager 5 auf. Mingma Dorjes Leichnam wurde aus dem Zelt geholt und in Säcke gewickelt. Dann begann die melancholische Prozession unter einem schwarzblauen Himmel. Jeder Sah’b und alle mehr oder weniger einsatzfähigen Sherpas nahmen teil. Am Bestimmungsort angekommen, gruben die Männer im beinharten Moränenschotter ein flaches Grab. Schweigend sahen wir zu, wie der Tote in seine letzte Ruhestätte gelegt wurde. Er war uns allen nahegestanden, und wir würden ihn sehr vermissen. Unser einfaches Holzkreuz wurde am Fußende eingegraben. Eine Lage von schweren Steinplatten und Felsbrocken, dann eine obere Schicht von kleinen, weißen Steinen, wie es in Sherpafamilien der Brauch ist: Sirdar Tensing Norgay zelebrierte die Totenfeier nach buddhistischem Ritus. Es war eine tief bewegende Szene, diese Gedenkstunde im Schatten des Gipfels der Welt. Chomolongma, Göttin-Mutter des Landes, hatte einen ihrer Söhne zu sich genommen: Mingma Dorje aus Namche Bazar.

      Im Kampf um den Südsattel

      Am 4. November steigen wir ins Lager 5 auf. Ajiba, einer der Stärksten, wird mir als Ersatz für den leider erkrankten Ang Dawa zugeteilt. Ich schaue mir seinen Schritt an und übernehme gleich die Spitze, um ihm mein Tempo zu diktieren – seines hielte ich nicht lange aus. Am gleichen Tag stoßen Jean und Gustave vor und errichten Lager 6 auf etwa 7100 Meter in der Lhotse-Flanke, unserer neuen Anstiegsroute. Morgen sollen sie Lager 7 aufstellen, von wo aus der Südsattel in einem Tag zu erreichen wäre.

      Zwischen Lager 4 und 5 gibt es erstaunliche Unterschiede: unten kalt, bei Sonne erträglich, relativ wenig Wind. Oben heulender Sturm, unerträgliche Kälte. Die Zelte knattern und schwanken ununterbrochen, warm hat man in keiner Stellung mehr, dazu der Höhenhusten und die ständige Atemnot.

      Am nächsten Morgen meldet sich auch gleich einer der Sherpas krank. Als dann Lambert und Tensing von unten her nachziehen, sehen wir, dass Buzio und Gross noch nicht aus ihrem Zelt im Lager 6 gekrochen sind. Endlich erscheinen sie – und steigen ab. Lambert ist zunächst sehr ungehalten, doch als die beiden ankommen, sehen wir ihnen an, dass sie völlig erschöpft sind. Die Nacht in der Lhotse-Flanke war furchtbar, das Zelt flog beinahe mit ihnen fort; ihre Füße waren eiskalt, und am Morgen waren sie nicht in der Lage, weiter aufzusteigen. Nach meiner Nacht hier im Lager 5 kann ich sie verstehen.

      Es herrscht zweifellos eine Krise. Der Unfall hat uns allen einen Knacks gegeben, und der Wind ist zermürbend. Er zehrt an unserer Kraft und ganz besonders an unseren Nerven.

      Am 6. November früh, nach einer noch schlimmeren Nacht, macht sich Lambert, der noch gewaltigen Auftrieb hat, sofort bereit. Auch ich beeile mich, um den Abmarsch filmen zu können, aber das Anziehen in einem kleinen Zelt auf dieser Höhe ist wahre Schwerarbeit. Ist sie getan, stolpert man atemlos und völlig erschöpft in die beißende Kälte und muss dort erst einige Minuten lang nach Luft ringen. Lambert, Tensing und drei Sherpas beginnen den Aufstieg, während ich nach einer Stunde Filmarbeit gerade noch ins Zelt kriechen kann und 45 Minuten lang Hände und Füße massieren muss. Am Nachmittag kehren die Sherpas zurück, Lambert und Tensing bleiben oben. Reiss und Spöhel besuchen mich abends im Zelt. Es ist zwar fast kein Platz mehr, aber warm und beinahe gemütlich. Sogar eine Kerze brennt – mittlerweile ein seltener Luxus, denn seit einiger Zeit verschwinden alle Kerzen auf geheimnisvolle Weise.

      Mitten in der Nacht – Reiss und Spöhel waren in ihr Zelt zurückgekehrt – erwache ich unter Erstickungsgefühlen. Wie ich überhaupt einschlafen konnte? Meine Behausung ist einseitig eingedrückt und lastet, eiskalt, auf meiner Brust. Im verbleibenden Raum winde ich mich keuchend in die Überkleidung und krieche hinaus. Eine gewaltige Schneeverwehung droht mein Zelt restlos zu begraben. Dann sehe ich die Schatten zweier Sherpas, die aus ihrem ebenfalls halb erdrückten Quartier in ein stärkeres Doppelzelt flüchten. Ich rufe zu ihnen hinüber und frage nach einer Schaufel – keine Reaktion. Zum Glück finde ich ein Brett, und so grabe und drücke ich, so gut es geht, den Schnee damit weg. Alle Augenblicke muss ich hinter dem Zelt Zuflucht suchen, um in diesem höllischen Sturm überhaupt atmen zu können. Arthur und Ernst schreien herüber, um zu fragen, wie es mir geht. Ich brülle: „Alles o. k.!“, krieche in meinen inzwischen eiskalten Schlafsack und falle vor lauter Erschöpfung in tiefen Schlaf.

      Am nächsten Morgen beobachten wir im grauen Licht Lager 6, das noch steht – wir hatten daran gezweifelt. Dann sehen wir Lambert und Tensing hervorkriechen und nach oben starten. Nach einer solchen Nacht eine reife Leistung, die Achtung gebietet! Es gelingt ihnen, Lager 7 bei etwa 7450 Meter aufzustellen, während Reiss und Spöhel die Standseile und Eishaken der alten Route in mühsamer Schwerarbeit einholen. Am Nachmittag beschließe ich, ins Lager 4 zurückzukehren. Zu filmen gibt es nun nichts mehr, und drei Nächte hier oben haben mir genügt. Unten kann ich endlich wieder aufatmen – kein Wind mehr. Unglaublich, was das ausmacht.

      Am 8. November ist Ruhetag für mich. Lambert und Tensing kehren zurück, die Spuren ihrer gewaltigen Anstrengung im Gesicht. Tensing muss aber sogleich ins Standlager. Dort unten scheinen die Sherpas alle zu landen, wenn es ihnen oben verleidet ist. Er soll alle Drückeberger „auf Vordermann“ bringen. Dann beobachten wir gespannt, wie Reiss und Spöhel ihre halsbrecherische Fronarbeit – das Einholen der restlichen Seile und Haken – beenden und ins Lager 5 zurückkehren.

      Buzio und Gross brechen zum Lager 6 auf, um von dort die Spurarbeit Lamberts weiterzuführen und über Lager 7 zum Südsattel vorzustoßen. Kaum erreichen sie das einsame Zelt, da kehren ihre Sherpas um, und kurz darauf steigen auch sie ab, Lager 6 scheint unhaltbar zu sein. Gleichzeitig kehren Ernst und Arthur zu uns zurück – hundemüde und entrüstet: Als sie von ihrer Arbeit am Vorabend zurückkamen, brachten ihnen die Sherpas erst gegen acht Uhr etwas Kaffee und am anderen Morgen wiederum nur Kaffee, sonst nichts. Auch konnten sie keine Kerzen finden – die Sherpas waren ganz apathisch.

      Am 10. November ist letzter Ruhetag. Arthur rasiert mich – damit die Sauerstoffmaske besser sitzt – mit einem altväterlichen Rasiermesser, nach einer halben Stunde stehe ich, ohne meinen alten Schnurrbart, wie ein Schuljunge da. Bei uns ist Sonne, aber im Lager 5 bläst es derartig, dass Gustave absteigt – er hält es nicht mehr aus.

      Dann kommt mein Tag, zur Spitze zu stoßen. Pro Schritt drei oder mehr Atemzüge, mein Hals brennt wie Feuer, endlich bin ich oben. Glücklicherweise ist der treue Hochlagerkoch Kirken da, um endlich für regelmäßige Verpflegung zu sorgen. Die Nacht ist grauenhaft, ich liege mit Gabriel Chevalley im Zelt, das andauernd schwankt, und das Knattern macht einen ohrenbetäubenden Lärm. Noch nie bin ich so nahe daran gewesen, den Verstand zu verlieren. Hin und wieder beleuchte ich mit der Taschenlampe die Zeltwand, was irgendwie beruhigend wirkt. Wenn das Licht über Gabriels Gesicht streicht, sehe ich ihn mit weit offenen Augen und einem gehetzten, fast irren Blick daliegen. Mein Kopf ist niedriger als die Füße, die eisverkrustete Zeltwand wird vom Sturm gegen mein Gesicht gepresst – es darf nicht mehr lange dauern.

      Am 12. November stürmt es noch immer, es ist ganz unmöglich, irgendetwas zu unternehmen. Mein Hals brennt jetzt


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