Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten, Band 3. Holger Dahl
ist es Aufgabe der Tarifvertragspartner (Art. 9 GG) durch den Abschluss eines Branchen-, Flächen- oder Haustarifvertrages die Vergütung der tarifgebundenen Beschäftigten festzulegen. In Ermangelung eines Tarifvertrages, in Ausfüllung eines Tarifvertrages, in Regelungslücken eines Tarifvertrages oder für außertariflich Beschäftigte (§ 77 Abs. 3 BetrVG) ist den Betriebsparteien die Lohnfindung im Rahmen des § 87 Abs. 1 Nr. 10 und in den Grenzen des § 77 Abs. 3 BetrVG eröffnet.
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§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG enthält insoweit eine Generalklausel, durch die dem Betriebsrat bei der Gestaltung des Arbeitsentgeltes ein umfassendes Mitbestimmungsrecht eingeräumt wird.35 Die Mitbestimmung soll, wie das BAG zutreffend feststellt, den Arbeitnehmer vor einer einseitig an den Interessen des Unternehmens orientierten oder willkürlichen Lohngestaltung schützen.36 Maßgeblicher Gesichtspunkt wäre insoweit nicht die konkrete Festlegung der Entgelthöhe, sondern es ginge um die Angemessenheit und Durchsichtigkeit des innerbetrieblichen Lohngefüges.37 Zu den mitbestimmungspflichtigen Vergütungsfindungsregeln gehören der Aufbau von Vergütungsgruppen und die Festlegung der Vergütungsgruppenmerkmale.38
2. Mitbestimmungsfreiheit hinsichtlich der Entgelthöhe
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Die weit überwiegende Auffassung in Literatur und Rechtsprechung geht von der Mitbestimmungsfreiheit bei der Entgelthöhe aus.39 Fragen der betrieblichen Lohngestaltung seien nur diejenigen Regelungen, die sich auf die Lohn- und Gehaltsbemessung beziehen. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG gehöre zu ihnen jedoch nicht die lohnpolitische Entscheidung über die Lohn- und Gehaltshöhe.40
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Im Wesentlichen stützt das BAG diesen Gedanken auf zwei Argumente:
– Erstens zeige die beispielhafte Hervorhebung der Entlohnungsgrundsätze und Entlohnungsmethoden, dass die betriebliche Lohngestaltung sich auf die Grundlagen der Lohnfindung, nicht aber auf die Ermittlung der Lohnhöhe beziehe. Die Mitbestimmung in diesem Bereich solle den Arbeitnehmer vor einer einseitig an den Interessen des Unternehmens orientierten oder willkürlichen Lohngestaltung schützen. Es gehe hierbei um die Angemessenheit und Durchsichtigkeit des innerbetrieblichen Lohngefüges. Die abstrakte Lohngerechtigkeit innerhalb des Betriebes sei hier der maßgebliche Gesichtspunkt, nicht aber Fragen der Lohn- und Gehaltshöhe.41
– Zweitens ergebe sich aus einem Vergleich zu der Vorschrift des § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG, die dem Betriebsrat eine zusätzlich Mitbestimmungsbefugnis bei der Festsetzung von Akkord- und Prämiensätzen sowie vergleichbarer leistungsbezogener Entgelte einräume, dass die Lohn- oder Gehaltshöhe in § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nicht angesprochen sei. In der Nr. 11 des § 87 Abs. 1 BetrVG sei die Festsetzung der Geldfaktoren ausdrücklich erwähnt, sodass in diesem Rahmen die Lohnhöhe der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliege. Die Regelung des § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG sei überflüssig, wenn die Höhe der Entlohnung bereits nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmungspflichtig wäre.42
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Gänzlich überzeugt die Argumentation der Rechtsprechung indes nicht.
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Die Entstehungsgeschichte spricht vielmehr dafür, das Mitbestimmungsrecht auch auf die Lohnhöhe zu beziehen.43 Mit der Vorschrift wollte der Gesetzgeber das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats über das geltende Recht hinaus auf alle Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, soweit es sich um die Festlegung allgemeiner Regelungen in diesem Bereich handelt, ausweiten. Mit der Generalklausel solle ein umfassendes Mitbestimmungsrecht sichergestellt werden.44 Umfassend ist das Mitbestimmungsrecht allerdings nur dann, wenn nicht nur „formelle“ Gesichtspunkte vom Tatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG umfasst sind, sondern es sich auch auf die „materielle“ Seite, also auch die Entgelthöhe erstreckt.
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Darüber hinaus besteht kein Wertungswiderspruch zu Nr. 11, wenn sich Nr. 10 auf die Entgelthöhe bezieht. Die Beschränkung des Mitbestimmungsrechts hinsichtlich der Entgelthöhe auf Nr. 11 sei viel mehr systemwidrig, da es sich hierbei lediglich um einen speziellen Anwendungsfall des Grundtatbestandes handelt, den der Gesetzgeber beispielhaft hervorgehoben hat. Für eine Differenzierung bei der Mitbestimmung bei der Entgelthöhe ist folglich kein Grund zu erkennen.45
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Letztlich spricht auch der Zweck des Mitbestimmungsrechts dafür, die Entgelthöhe mit zu umfassen. Denn es geht um die Strukturformen des Entgelts und die Grundlagen der Lohnfindung, um die Ausformung des jeweiligen Entlohnungssystems und damit die Festlegung derjenigen Elemente, die dieses System im Einzelnen ausgestalten und zu einem in sich geschlossenen machen.46 In sich geschlossen ist ein Entgeltsystem erst dann, wenn auch die konkrete Entgelthöhe bestimmt ist!
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Den Tarifvertragsparteien wird mit Selbstverständlichkeit zugebilligt, die Entgelthöhe für Beschäftigte verbindlich festzulegen. Tritt aber der Betriebsrat in nicht tarifgebundenen Unternehmen nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG an die Stelle der sonst zuständigen Gewerkschaft, soll dem Betriebsrat die Mitbestimmung der Entgelthöhe selbst bei kollektivrechtlicher und systembasierender Festlegung versagt bleiben. Gründe für diese Unterscheidung lassen sich nicht finden.
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Es könnten allerdings verfassungsrechtliche Bedenken bestehen, wenn sich die Mitbestimmung auf die Entgelthöhe erstreckt.47 Der Arbeitgeber trägt aufgrund seiner grundgesetzlich geschützten unternehmerischen Entscheidungsfreiheit (Art. 12 GG) das wirtschaftliche Risiko für die zweckmäßige Einrichtung und Gestaltung seines Betriebes. Zum wirtschaftlichen Risiko zählt auch die Frage, welche Vergütung welcher Arbeitnehmer in welcher Höhe erhält. Allerdings verwirklichen sich diese Risiken ebenso bei funktionaler Wahrnehmung dieser Aufgabe durch Tarifpolitik. In einer sozialen Marktwirtschaft muss damit die Bestimmung der Entgelthöhe dem Betriebsrat nicht von vornherein versagt bleiben, wenn die Mitbestimmung so verstanden zwingender Ausfluss sozialer Marktwirtschaft ist.
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Zusammengefasst lässt sich daher festhalten, dass die Mitbestimmung in der Entgelthöhe mit guten Gründen angenommen werden kann. Die gegenteilige Auffassung hat sich allerdings in der Rechtsprechung durchgesetzt und bleibt daher in der Praxis der zugrunde liegende Maßstab.48 Dennoch darf die Ausübung des Mitbestimmungsrechts durchaus mittelbare Auswirkungen auf die Entgelthöhe haben.
3. Mitbestimmung bei der Aufstellung von Bandbreiten
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Wie zuvor aufgezeigt, besteht das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach überwiegender Auffassung nicht hinsichtlich der Entgelthöhe. Dies unterstellt bleibt in diesem Zusammenhang die Frage zu erörtern, in wieweit der Betriebsrat bei der Ausgestaltung von Entgeltgruppen mit Gehaltsband mitzubestimmen hat. Das Gehaltsband ist die Bandbreite von Grundgehalt über weitere Gehaltsbestandteile wie Prämien und sonstige monetäre Leistungen bis zur Obergrenze der Entlohnung für eine Tätigkeit. Der Zweck des Gehaltsbandes ist es, einerseits dem Arbeitnehmer seinen Grundlohn verbindlich zu gewähren und andererseits dem Arbeitgeber einseitig die Möglichkeit zu geben, leistungsorientiert Zusatzvergütungen festzulegen.
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Im Folgenden wird ein Überblick über die zentralen Entscheidungen der jüngeren Vergangenheit zur Mitbestimmung des Betriebsrats bzgl. Bandbreitenreglungen gegeben:
a) BAG, Beschluss vom 21.2.2017 – 1 ABR 12/15
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Im Beschluss vom 21.2.2017 beschäftigte sich das BAG mit der Frage, in wieweit dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei einer Gehaltserhöhung zusteht.
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Im zugrunde liegenden Sachverhalt vereinbarte der Arbeitgeber mit dem Gesamtbetriebsrat eine Gesamtbetriebsvereinbarung zum Vergütungssystem. Dabei wurden die Gehaltsbandbreiten in fünf