Die Regulierung innovativer Finanzinstrumente. Thomas Weck
href="#ulink_f11804ce-a21a-5a8a-9772-78586349f7a6">6 Vgl. Gramlich in: R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, Besonderer Teil 1, 1. Aufl. 1995, S. 467f. („gewerbepolizeilicher Ursprung der Bankenaufsicht“); Pielow in: ders., Gewerbeordnung, 2. Aufl. 2016, Einl. Rz. 8 (Bank- und Versicherungsrecht als „gewerberechtliche Schwerpunkteregelungen“). Zum Charakter des Gewerberechts als besonderes Ordnungsrecht siehe nur BVerfG, Beschluss vom 24. Februar 1976, 2 BvL 5/73, BVerfGE 41, 344 (355).
A. Einführung
Die Risiken von Finanztransaktionen bestimmen darüber, ob sich die mit solchen Transaktionen verbundenen Ziele erreichen lassen. Diese Feststellung ist für das Verständnis der Finanzmärkte von zentraler Bedeutung. Denn Finanzmarkttransaktionen dienen den Marktteilnehmern in vielen Fällen und vielleicht sogar im Regelfall nicht etwa dazu, z.B. über den Handel mit Aktien Inhaberrechte an einem bestimmten Unternehmen (Emittenten) zu erwerben oder zu veräußern oder z.B. über den Erwerb von Anleihen konkrete Werte zu finanzieren.
Tatsächlich kommt es den Marktteilnehmern auf solche unternehmensspezifischen Ziele häufig gar nicht an. Denn es geht ihnen nicht darum, im Wege des Erwerbs, Haltens oder der Veräußerung von Finanzinstrumenten eine bestimmte Geschäftsstrategie sonstiger Marktteilnehmer zu unterstützen. Vielmehr geht es ihnen um ihre eigene Geschäftsstrategie, in deren Rahmen die Instrumente die Funktion haben, erwartete Kapitalflüsse auszulösen oder mit solchen Kapitalflüssen zu handeln. Damit stehen die monetären Gewinnchancen oder – anders gewendet – die Verlustmöglichkeiten im Vordergrund, die mit den Finanzinstrumenten und deren Handel verbunden sind. Manche Finanzinstrumente, Derivate, machen diese Aussicht auf einen mehr oder minder wahrscheinlichen Gewinn oder Verlust unmittelbar und sogar ohne vorherigen eigenen Kapitaleinsatz handelbar. Für Finanzintermediäre (z.B. Banken), die eine vermittelnde Position zwischen den sonstigen Marktteilnehmern einnehmen, hat die Möglichkeit, über die Finanzmärkte mit Gewinnchancen bzw. Verlustmöglichkeiten zu handeln, eine noch viel höhere Bedeutung als für sonstige Marktteilnehmer.
Doch ist fraglich, was in diesem Zusammenhang überhaupt unter „Risiken“ zu verstehen ist. Der Risikobegriff ist bislang unscharf geblieben. Feststeht, dass sich damit Unsicherheiten, etwa aufgrund unvollständiger Informationen, bezeichnen lassen.7 Das bedeutet, dass der Begriff grundsätzlich neutral in dem Sinne verstanden werden kann, dass er sowohl die angesprochenen Chancen auf Gewinn als auch die Verlustmöglichkeiten umfasst.8 Allerdings wird er in der Praxis vor allem auf die Verlustmöglichkeiten bezogen. Diese stehen auch im aufsichtsrechtlichen Zusammenhang im Vordergrund. Eine klassische, ursachenbezogene Eingrenzung des Risikobegriffs unterscheidet zwischen fundamentalen Unsicherheiten (uncertainty) einerseits und Ungewissheiten (risk) andererseits.9 Dabei sollen Ungewissheiten aufgrund objektiv ermittelbarer Wahrscheinlichkeiten feststellbar sein und Unsicherheiten nicht. Die genannte Unterscheidung wird im finanzwissenschaftlichen Schrifttum bisweilen als wichtig angesehen.10 Aus aufsichtsrechtlicher Perspektive erscheint sie indes nicht relevant. Denn für die aufsichtsrechtliche Gefahrenabwehr ist nicht relevant, ob Risiken aus unbehebbaren oder behebbaren Informationsdefiziten resultieren, sondern vielmehr, ob solche Informationsdefizite überhaupt bestehen und welche Arten von Risiken daraus folgen.
Die für die Unternehmenstätigkeit relevanten Risiken werden unterschiedlich klassifiziert. Die Klassifikation hängt davon ab, für welche Geschäftsbereiche sie genutzt wird, ob die Messbarkeit oder der betrachtete Risikobereich eine Rolle spielt.11 Bei einer Unterscheidung nach dem Risikobereich kann zwischen finanzwirtschaftlichen, leistungswirtschaftlichen und allgemeinen internen bzw. externen Risiken differenziert werden.12 Die finanzwirtschaftlichen Risiken haben ihren Ursprung alle unmittelbar im Finanzbereich und werden deshalb auch als Finanzrisiken bezeichnet. Sie umfassen vor allem:
• Marktpreisrisiken,
• Erfüllungs- bzw. Ausfallrisiken (insb. Kredit-/Gegenparteirisiken),
• Liquiditätsrisiken und
• Schwankungsrisiken.
Außerdem kann man informationelle Risiken hierzu rechnen; z.B. das sog. Translationsrisiko aufgrund der Unsicherheit buchhalterischer Bewertungen von Aktiva und Passiva infolge von Wechselkursänderungen. Zu den leistungswirtschaftlichen Risiken zählen vor allem die:
• operationellen Risiken.
Von der deutschen Finanzaufsicht werden Ausfallrisiken (einschließlich Länderrisiken), Marktpreisrisiken, Liquiditätsrisiken und operationelle Risiken als „wesentliche Risiken“ angesehen, mit denen verbundene Risikokonzentrationen im Rahmen des Risikomanagements von Banken in jedem Fall zu berücksichtigen sind.13 Eine weitere Risikokategorie, die seit der Finanzkrise verstärkt in den Vordergrund des Interesses von Regulierung und Wissenschaft gerückt ist, umfasst das Risiko, dass es aufgrund von fehlerhaften mathematischen Modellen oder deren fehlerhafter Anwendung zu Fehlbewertungen der zuvor genannten Risiken kommt. Man spricht insofern von:
• Modellrisiken.
Wichtig ist, dass es sich bei den zuvor genannten Risiken nicht um in jedem Fall voneinander unabhängige Variablen handelt. Veränderungen bei einem Risiko (z.B. bei dem gegenüber einem Kreditgeber bestehenden Ausfallrisiko) können sich unter Umständen vielmehr auf andere Risiken (z.B. auf das gegenüber dem Käufer bestehende Marktrisiko einer Kreditverbriefung) auswirken.14
Die nachfolgende (juristische) Untersuchung der Regulierung von Finanzinstrumenten setzt ein gewisses Grundverständnis der mit ihrem Einsatz verbundenen (ökonomischen) Risiken voraus. In den folgenden Abschnitten sollen die betreffenden Risiken deshalb etwas eingehender erläutert werden (Abschn. B). Außerdem wird dargelegt, unter welchen Bedingungen solche Risiken, abgesehen von den Transaktionspartnern, auch andere Marktteilnehmer treffen und damit im Extremfall sogar gesamtwirtschaftlich (makroökonomisch) relevant werden können (Abschn. C).
7 Gramlich u.a., Gabler Bank-Lexikon, 14. Aufl. 2012, Eintrag „Risiko“; differenzierend Osband, Pandora,s Risk, 1. Aufl. 2011, S. 8. 8 Sernetz, Derivate und Corporate Governance, 1. Aufl. 2006, S. 126. 9 Knight, Risk, Uncertainty and Profit, 1. Aufl. 1921 (reprint: 1964), S. 19f., 223ff., 233; dazu auch Langlois/Cosgel, Frank Knight on risk, uncertainty, and the firm: a new interpretation, 31 Econ. Inq. (1993), S. 456ff. 10 Corelli, Understanding Financial Risk Management, 1. Aufl. 2015, S. 2ff.; Osband (Fn. 7), S. 8ff., 163. 11 Dornes, Alternative Risikomodellierungs-, Risikoanalyse- und Bewertungsmethode: Risikomanagement ohne komplexe mathematische Modelle, 1. Aufl. 2014, 147. Der Geschäftsbereich spielt danach bei der Unterscheidung von strategischen und operativen Risiken eine Rolle, die Messbarkeit bei der Unterscheidung zwischen quantifizierbaren und sonstigen Risiken. 12 Vgl. zum Folgenden: Gramlich u.a., Gabler Bank-Lexikon (Fn. 7), Einträge: Kursrisiko, Währungs- bzw. Wechselkursrisiko, Abwicklungs- und Erfüllungsrisiko, Liquiditätsrisiko, operationelles Risiko, Volatilitätsrisiken; Hartmann-Wendels/Pfingsten/Weber, Bankbetriebslehre, 5. Aufl. 2010, S. 332ff.; Corelli (Fn. 10), S. 15f. (Unterscheidung zwischen business risk und financial risk). 13 BaFin, Rundschreiben 09/2017 (BA), Mindestanforderungen an das Risikomanagement – MaRisk, Gesch.-Z. BA 54-FR 2210–2017/0002, 27. Oktober 2017, Abschn. A.T. 2.2 Nr. 1. 14 Vgl. Dornes, Alternative Risikomodellierungs-, Risikoanalyse- und Bewertungsmethode: Risikomanagement ohne komplexe mathematische Modelle, 1. Aufl. 2014, 148.
B. Einzelrisiken: Arten und Relevanz
I. Marktpreisrisiken
Als