Kartellrechtliche Innovationstheorie für digitale Plattformen. Sebastian Louven
von Webcrawlern möglich.126 Die automatisch erfassten Inhalte werden dabei von Suchmaschinen-Anbietern indexiert und ausgewertet.127 Stellt ein Nutzer eine Suchanfrage auf der Suchmaschinen-Webseite, werden die bereits indexierten Inhalte nach ihrer Relevanz für die jeweilige Suchanfrage sortiert aufgelistet. Der Nutzer hat hierdurch die Möglichkeit, die aufgelisteten Internet-Inhalte über die dargestellten Links sofort anzuwählen und die dort enthaltenen Informationen zur Kenntnis zu nehmen.128 Eine Vermittlung erfolgt hier durch die Zuleitung von Besuchern an den jeweiligen Webseiten-Betreiber. Für die Inanspruchnahme der Suchmaschine durch den Internetnutzer wie für die Indexierung der Webseiten in den Suchergebnissen erheben die meisten Anbieter kein unmittelbares Entgelt. Sie ermöglichen stattdessen die entgeltliche Schaltung von Werbung auf ihrer Internetseite. Die bei der Auswertung der indexierten Webseiten sowie der Suchanfragen erlangten Informationen können dabei gegenüber dem Werbekunden zur Preisfestsetzung verwendet werden. So wäre es möglich, bei Suchanfragen zu bestimmten Begriffen dazu passende Werbeinhalte einzublenden und an die Nutzer der Suchmaschine zu vermitteln.129
Vergleichsplattformen ermöglichen es ihren Nutzern, die Angebote und Preise verschiedener Unternehmen nebeneinander zu stellen und nach ihren Kriterien zu vergleichen. Dies erfolgt ebenso wie bei Suchmaschinen durch eine Listung der Unternehmen, die ihre Produkte oder Leistungen über das Internet anbieten. Auch hier kann der Nutzer eine Suche durch Eingabe eines Begriffes und Vorgabe relevanter Vergleichsparameter in einem Suchfeld auf der Internetseite der Vergleichsplattform starten und anschließend die dargestellten Seiten direkt anwählen. Die Aufnahme der Unternehmen erfolgt dabei häufig wie bei einer Suchmaschine, gelegentlich auch gegen Entgelt. Bei Bewertungsplattformen erfolgt eine Auflistung des jeweiligen Unternehmens durch den Nutzer selbst.
10. Vernetzte Systeme, Cloud und Smart Home
Schließlich gibt es zunehmend Technologien, die sich immer mehr in den Alltag integrieren lassen und eine noch tiefere Vernetzung ermöglichen. Dies kann durch eine Vernetzung verschiedener Computer-Kapazitäten oder Plattformen untereinander erfolgen. Auf ähnliche Weise funktionieren smarte Assistenzsysteme oder Smart-Home-Lösungen, die zusätzlich eine Vernetzung mit Alltagsgegenständen ermöglichen.130
In den letzten Jahren hat die Diskussion über die Einordnung der sogenannten Distributed Ledger Technology zunehmende Bedeutung gewonnen. Dabei handelt es sich um vernetzte Systeme oder Datenbanken, die nicht mehr nur zentral, sondern über eine Infrastruktur kollaborativ zu einem gemeinsamen Zweck miteinander verbunden werden und bei denen Einträge nicht mehr nachträglich verändert werden können.131 Ein Anwendungsfall dieser Technologie ist die sogenannte Blockchain, die ein verifizierbares Buchführungssystem für digitale Transaktionen ermöglicht.132 Als Besonderheit gilt hierbei, dass diese Technologie den Einsatz von Intermediärunternehmen technisch überflüssig machen kann. Es muss also nicht mehr zwingend für den zu vermittelnden Schritt eine eigene Vermittlungsplattform betrieben werden. Stattdessen wird dieser Schritt in den Ablauf der jeweiligen Blockchain integriert. Die Abläufe bestimmen dabei die Teilnehmer oder Nutzer der jeweiligen Blockchain. Das bedeutet, dass nicht mehr ein einzelnes Unternehmen über die Vermittlung entscheidet, sondern je nach systematischer Ausgestaltung das teilnehmende Nutzerkollektiv.133 Daraus kann nicht der Schluss gezogen werden, dass es sich hierbei um einen nächsten Entwicklungsschritt über die Plattformen hinaus handelt. Vielmehr wird in den meisten Fällen lediglich die Art der Zusammenarbeit anders geregelt, sodass es nicht mehr den einen Plattform-Betreiber gibt. Stattdessen sind die Anwender der Technologie selbst mit mehr Möglichkeiten der Einflussnahme ausgestattet. Es handelt sich weiterhin um kooperative Zusammenschlüsse mehrerer Anwender, bei denen dieselben wettbewerblichen Phänomene wie bei Plattformen auftreten können, nur dass häufig kein einzelnes Unternehmen als Vermittler auftritt. Dies gilt erst recht, wenn es sich um eine proprietäre Blockchain handelt, die von einem Unternehmen bereitgestellt wird.
11. Virtualisierung konventioneller Angebote
Eine weitere Besonderheit digitaler Plattformen ist ihr Verhältnis zu nicht-digitalen konventionellen Angeboten. So bieten einige Plattformen Leistungen an, die aus Nutzersicht als funktional äquivalent oder substitutiv zu herkömmlichen Angeboten angesehen werden kann. Zu beobachten ist dies derzeit in der Telekommunikationsbranche am Beispiel der weit verbreiteten Messenger WhatsApp oder Threema.134 Beide werden aus Nutzersicht überwiegend für das Versenden und Empfangen von Kurznachrichten genutzt und können deshalb als funktional äquivalent zu konventionellen SMS-Diensten angesehen werden.
Allerdings beschränken sich viele Angebote nicht darauf, lediglich bereits bestehende Angebote über die Internet-Technologie „virtualisiert“ nachzubilden. Vielmehr werden viele Angebote um weitere Funktionen ergänzt, sodass sie im Verhältnis zu herkömmlichen Angeboten komplementär sind, wie zum Beispiel der Videotelefonie-Dienst Skype, Online-Datingplattformen oder neue Finanzdienstleister. Hinzu kommt, dass die Angebote selbst durch ihre Virtualisierung von einem materiellen Verschleiß unabhängiger werden können, indem ihre Kapazitäten und Ressourcen untereinander beliebig austauschbar gemacht werden.135 Gleichzeitig steigen die qualitativen Erwartungen der Nachfrager. Mit dieser Virtualisierung werden die Angebote einerseits auf eine bestimmte Technologie festgelegt, was wiederum mit Pfadabhängigkeiten einhergeht, wodurch Handlungsmöglichkeiten verschlossen werden.136 Andererseits werden dadurch vorherige Pfade durchbrochen, indem neue Handlungsmöglichkeiten bereitgestellt werden.137 Digitale Plattformen stellen damit eine starke Bedeutung für die gesellschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Veränderungen dar.
90 Evans/Schmalensee, Matchmakers, 2016, S. 199ff. 91 Ebenda, S. 129ff.; ähnlich Engert, AcP 2018, S. 304 (305f.). 92 Podszun, in: Kersting/Podszun, Die 9. GWB-Novelle, Kapitel 1, Rn. 5; Podszun/Franz, NZKart 2015, S. 121 (124). 93 Louven, Verbraucherrechte im Verbrauchsgüterkauf in Deutschland und Spanien, 2018 94 Blaschczok, Kartellrecht in zweiseitigen Wirtschaftszweigen, 2015, S. 51f. 95 Dewenter/Rösch/Terschüren, NZKart 2014, S. 387 (389). 96 Ebenda, S. 387 (388). 97 Ebenda, S. 387 (388). 98 Blaschczok, Kartellrecht in zweiseitigen Wirtschaftszweigen, 2015, S. 52. 99 Ebenda, S. 51f. 100 Ebenda, S. 52. 101 Evans/Schmalensee, Matchmakers, 2016, S. 48. 102 Schmalensee, JIE 2002, S. 103; Rochet/Tirole, JEEA 2003, S. 990 (1013); Rochet/Tirole, RJE 2006, S. 645 (646f.); zu kartellrechtlichen und sektorspezifischen Besonderheiten Louven, NZ-Kart 2020, S. 426. 103 Rochet/Tirole, JEEA 2003, S. 990 (990); Budszinski/Lindstädt, WiST 2010, S. 436 (437). 104 Rochet/Tirole, RJE 2006, S. 645 (647); Evans/Schmalensee, Matchmakers, 2016, S. 32. 105 Dewenter/Rösch, Einführung in die neue Ökonomie der Medienmärkte, 2015, S. 39ff. 106 Ewald, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 7, Rn. 71; Dewenter/Rösch, Einführung in die neue Ökonomie der Medienmärkte, 2015, S. 136. 107 Busche, in: Busche/Röhling, Kölner Kommentar zum Kartellrecht, § 18 GWB 108 Hass, MedienWirtschaft Sonderheft 2007, S. 70 (70);