Kartellrechtliche Schadensersatzklagen. Fabian Stancke
zu bestimmen.
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Zunächst soll der Ort als Handlungsort in Betracht kommen, an dem das Kartell „definitiv gegründet“ wurde.135 Zur Begründung führt der EuGH an, dass das für eine Schädigung ursächliche Ereignis in der Beschränkung der Vertragsfreiheit durch das jeweilige Kartell liegt. Die Vielzahl der auf der Kartellabsprache beruhenden, die vertraglichen Beziehungen zwischen den Kartellteilnehmern und anderen Wirtschaftsteilnehmern betreffenden Durchführungshandlungen, die den Wettbewerb erst unmittelbar behindern und den am Markt gebildeten Preis verfälschen, werden als eine notwendige Folge dieser grundlegenden Kartellabsprache angesehen.136
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Der EuGH erkennt selbst an, dass es in vielen Fällen nicht möglich sein wird, einen einzigen Gründungsort des fraglichen Kartells zu bestimmen, wenn dieses durch eine Vielzahl von Kartellvereinbarungen bei verschiedenen Treffen und Konsultationen an verschiedenen Orten gegründet wurde.137 In solchen Fällen soll es eine weitere Möglichkeit zur Bestimmung des Handlungsortes geben, allerdings nur bezüglich eines Teilschadens.138 So kommt nach dem EuGH auch jeder Ort in Betracht, an dem eine spezifische Einzelabsprache getroffen wurde, die einen bestimmten Schaden allein verursacht hat.139 Bei dieser Alternative ist die Entscheidungs- bzw. Kognitionsbefugnis des Gerichts auf den jeweils durch die Einzelabsprache verursachten Teilschaden beschränkt.
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Offenbar soll der so verstandene deliktische Gerichtsstand des Handlungsortes auch Klagen gegen Kartellbeteiligte ermöglichen, die an diesem Ort (unstreitig) nicht gehandelt, d.h. keine Absprache getroffen haben. Bislang hat der EuGH eine Zurechnung der Verursachungsbeiträge der anderen Kartellbeteiligten zum Zwecke der Zuständigkeitsbegründung in Fällen deliktischer Haftung abgelehnt.140 Nunmehr heißt es jedoch: „Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens spräche jedoch nichts dagegen, mehrere Mitbeklagte zusammen vor demselben Gericht zu verklagen.“141
(2) Erfolgsort: Sitz des Geschädigten
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Der Erfolgsort ist der Ort, an dem sich der Schaden konkret zeigt.142 Für Kartellschadensersatzverfahren soll der Erfolgsort ausweislich der Entscheidung CDC am Ort des Geschäftssitzes des jeweiligen Geschädigten liegen, der einen kartellbedingt überhöhten Preis entrichtet hat.143 Zur Begründung führt der EuGH aus, dass das Gericht des Ortes, an dem ein geschädigtes Unternehmen seinen Sitz hat, „offensichtlich“ am besten über die Entstehung eines kartellbedingten Schadens entscheiden könne.144 Dabei setzt sich der EuGH nicht mit seiner sonstigen Rechtsprechung auseinander, die den Ort der Vermögensbelegenheit (den Sitz) als Erfolgsort gerade nicht hat ausreichen lassen.145
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Der EuGH stellt aber klar, dass es auf den Sitz des ursprünglich geschädigten Unternehmens ankommt. Eine „Bündelung“ durch Abtretung vermeintlicher Schadensersatzansprüche verschiedener Geschädigter am Sitz des Zessionars ist nicht möglich.146
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Das Gericht am Sitz des Geschädigten ist nach Auffassung des EuGH „für die Entscheidung über den gesamten Schaden zuständig, der dem mutmaßlich geschädigten Unternehmen aufgrund der Mehrkosten für den Bezug der von dem Kartell betroffenen Produkte entstanden ist“.147 Eine Beschränkung der Kognitionsbefugnis auf den jeweiligen Mitgliedstaat liegt damit nicht vor. Eine Begründung der Zuständigkeitsverdichtung nimmt der EuGH nicht vor. Ebenso wie bei bestimmten Persönlichkeitsrechtsverletzungen scheint der EuGH damit auch für kartellrechtliche Schadensersatzklagen von seiner zur Auslegung von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO vertretenen „Mosaik“-Lösung abzuweichen.148 Auch insoweit hatte er ein spezielles Prozessrecht für Kartelldelikte geschaffen.149
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Aus der Entscheidung CDC ergab sich nicht, wie der Erfolgsort im Falle eines Nachfragekartells zu bestimmen wäre. Konsequent wäre es, in diesem Fall auf den Firmensitz des Anbieters abzustellen.
cc) FlyLAL-Lithuanian Airlines
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In der Sache flyLAL-Lithuanian Airlines befasste sich der EuGH erneut mit der Bestimmung des Deliktsgerichtsstandes. Die litauische Fluglinie flyLAL klagte gegen die lettische Fluglinie Air Baltic sowie den Betreiber des Flughafens in Riga (Lettland) in Litauen auf Schadensersatz. FlyLAL behauptete, der Flughafenbetreiber habe der Fluglinie Air Baltic auf Grundlage rechtswidriger Absprachen gem. Art. 101 AEUV unzulässige Rabatte bei den Gebühren für Flughafendienste in Riga gewährt. Durch diese Einsparungen habe Air Baltic – unter Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nach Art. 102 AEUV – Kampfpreise für Flüge von und nach Vilnius (Litauen) anbieten können. Hierdurch sei flyLAL vom Markt verdrängt worden. Auf eine Zuständigkeitsrüge der Beklagten befasste sich der EuGH mit Vorlagefragen zur Auslegung des Handlungs- und Erfolgsortes.
(1) Handlungsort: Gründungsort des Kartells oder Ort des Marktmachtmissbrauchs
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Für den Handlungsort betonte der EuGH, dass bei Vermögensdelikten oft mehrere kausale Tatbeiträge in Betracht kommen. In jedem Fall sei Handlungsort der Ort, an dem die Kartellabsprache definitiv geschlossen wurde,150 im Streitfall in Lettland. Damit bestätigt der EuGH seine Rechtsprechung aus CDC Hydrogen Peroxide. Nachfolgende Umsetzungshandlungen dieser Absprache begründen i.d.R. keinen eigenen Handlungsort, sondern nur ausnahmsweise dann, wenn die Umsetzungshandlung ihrerseits ein neues Delikt verwirklicht, hier einen Verstoß gegen Art. 102 AEUV.151 Der EuGH differenziert folglich: Soweit die schadensbegründende Handlung eine wettbewerbswidrige Vereinbarung gem. Art. 101 AEUV ist, befindet sich der Handlungsort dort, wo die Vereinbarung geschlossen wurde und das unabhängig von reinen Durchführungshandlungen. Falls das nachfolgende Verhalten – Angebot von Kampfpreisen – aber einen gesonderten Verstoß gegen Art. 102 AEUV darstellt, ist der Handlungsort zusätzlich dort zu verorten, wo das missbräuchliche Verhalten verwirklicht wird, hier also in Litauen als dem umkämpften Markt.152
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Bei zwei unabhängigen Kartelldelikten gibt es folglich zwei parallele Handlungsorte.153 Sind die unterschiedlichen Handlungen dagegen Ausdruck einer umfassenden einheitlichen Strategie zur Verdrängung eines Wettbewerbers vom Markt, so der EuGH weiter, hat das nationale Gericht zu ermitteln, welchem Geschehen aus dieser Kette von Handlungen „besonders große Bedeutung zukommt“.154 Nur dieser Handlungsort sei dann zuständigkeitsbegründend.155
(2) Erfolgsort: Marktort
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Zur Lokalisierung des Erfolgsortes stellte der EuGH nicht auf den Sitz der geschädigten Fluglinie ab, sondern auf den durch das wettbewerbswidrige Verhalten beeinträchtigten Marktort.156 Vorliegend also Litauen als Ziel- und Abflugsort der flyLAL-Flüge sowie Ziel der von Air Baltic eingesetzten Kampfpreis-Strategie. Die Festlegung dieses Ortes entspreche den Vorgaben der Sachnähe und Vorhersehbarkeit und stelle auch die notwendige Kohärenz mit Art. 6 Abs. 3 der Rom II-Verordnung her.157
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Damit hat der EuGH die auch hier in der Vorauflage geäußerte Kritik am CDC-Urteil aufgegriffen, jedoch das konkrete Verhältnis der beiden Entscheidungen offengelassen. Teilweise wird in flyLAL eine (bewusste) Abkehr bzw. ein offener Widerspruch zum CDC-Urteil gesehen.158 Nach anderer Auffassung bestehe angesichts der unterschiedlichen tatsächlichen Konstellationen kein Widerspruch. Die voneinander abweichenden Beurteilungen seien aufgrund der Art des Kartells (Marktverdrängung durch Kostennachlässe und Dumping-Preise auf der einen Seite und horizontale Preisabsprachen auf der anderen Seite) und damit durch die unterschiedlichen Arten des Kartellerfolgs gerechtfertigt.159 Es sei naheliegend, zwischen einer Preiserhöhung einerseits (hier verwirklicht sich der Schaden durch die Bezahlung überhöhter Preise an sich – Sitz des Geschädigten) und einem anderweitigen Eingriff in den Markt andererseits (hier die Verdrängung eines Konkurrenten – Ort des betroffenen Marktes) zu differenzieren.160