Das Biest in Dir. Felix Hänisch

Das Biest in Dir - Felix Hänisch


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er für einen Sechzehnjährigen erstaunlich begabt im Faustkampf war und auch bereits die Grundlagen des Schwertführens beherrschte. Zweifelsohne steckte Talent in diesem Kerl. Um es zu vervollkommnen war Skals erste Devise jedoch das altehrwürdige Herumnörgeln. Denn Hochmut, der mit allzu leicht ausgesprochenem Lob Hand in Hand ging, war der Tod aller fleißigen Bemühungen.

      »Halt das Schwert immer oben! Dein Gegner wartet nur darauf, dass es dir zu schwer wird. In dem Moment, wo du es herabsinken lässt, greift er dich an!«, bellte er.

      »Ich geb mir ja Mühe«, entgegnete Darius sichtlich angeschlagen und versuchte es erneut. »Aber ich bin erschöpft. Wir üben schon den ganzen Nachmittag. Ich bin langsam am Ende meiner Kräfte.«

      »Das ist deinem Feind egal. Er wird jede deiner Schwächen erbarmungslos ausnutzen, um dich zu töten. Und nebenbei bemerkt hast du sehr viele davon. Aber keine Sorge, die werde ich dir noch austreiben. Schmerz und Demut werden deine Lehrmeister sein«, lamentierte Skal nicht ohne Genugtuung.

      Nun begann der zweite Teil seiner Ausbildung. Skal würde zur Not die ganze Nacht und auch den darauf folgenden Tag hier stehen. So lange wie es nötig war, Darius die Lektion beizubringen. Er würde ihn nicht eher ruhen lassen, bis er die Techniken beherrschte oder aufgab. Nur so ließ sich prüfen, ob er bereit war, die Befehle seines Meisters bedingungslos auszuführen, egal wie sinnlos und selbstzerstörerisch sie in seinen Augen auch sein mochten. Und sie würden in den nächsten Stunden sehr sinnlos für Darius wirken und ihn bis an die Grenzen seiner Belastbarkeit bringen. So focht der Jüngling unter Skals wachen Augen tatsächlich die ganze Nacht auf dem kleinsten der vier Exerzierplätze Baknakaïs gegen imaginäre Lanzenträger und unsichtbare Schwertkämpfer.

      Als am nächsten Morgen die Sonne aufging und ihre ersten wärmenden Strahlen über die Hofmauern schickte, konnte Darius sich schon kaum mehr auf den Beinen halten. In der Nacht war die Temperatur zeitweise unter den Gefrierpunkt gesunken, sodass seine Hände und Füße in den letzten Stunden vor Kälte taub geworden waren. Dennoch übte er, unter Skals strengen Blicken, unermüdlich weiter. Hin und wieder konnte er einen Herzschlag lang durch das geöffnete Burgtor auf das anliegende Dorf schauen und sah wie die Leute ihrer Arbeit nachgingen. Als die Menschen am Abend wieder zurück in ihre Stuben kamen und das große Festungstor geschlossen wurde, lerne Darius noch immer Angriffe und Paraden.

      Denn ganzen Tag hatte er die Übungen versucht und versucht, unterbrochen lediglich von einer Magd, die um die Mittagszeit mit einem Krug Wasser vorbeikam. Skal, der die ganze Nacht neben ihm gestanden hatte und nicht müde wurde, eine kritische Äußerung nach der anderen abzugeben, war inzwischen wohl der Mund trocken geworden. Daher ließ er die junge Frau näher kommen und auch Darius von dem Wasser trinken, nicht aber ohne selbst zuvor den größten Teil der Kanne gelehrt zu haben.

      Als die Sonne schließlich erneut unterging, war Darius der Ohnmacht nahe. Er hatte seit über eineinhalb Tagen nichts gegessen und eine Nacht lang nicht geschlafen. Seine Glieder schmerzten und das Wasser, welches schon vor Stunden kaum die Kehle benetzt hatte, kam ihm inzwischen vor, als hätte er es in einem anderen Leben getrunken. Selbstmitleid stieg in ihm auf als er daran dachte, dass das Essen, welches er um die Mittagszeit des Vortages verschmäht hatte, wohl zwischenzeitlich in einem Schweinetrog gelandet war. Liebend gerne würde er sich jetzt den Wanst vollschlagen, um dann wie tot auf sein Lager zu fallen und die versäumte Zeit des Schlafens doppelt und dreifach nachzuholen. Aber er durfte sich diesen Gedanken nicht hingeben. Er musste bei der Sache bleiben.

      Darius wusste selbst nicht mehr, warum er so erpicht darauf war, den Umgang mit dem Schwert zu meistern. Er hatte in seinem Leben noch keinen Tag lang ehrliche Arbeit verrichtet und war Anstrengungen über einen längeren Zeitraum hinweg nicht gewöhnt. Warum auch? In seinem Dorf hatte er alles, was er wollte und falls nicht, zog er mit seinen Brüdern und Schwestern los, um es sich zu holen.

      Zwar wusste Darius, dass er jederzeit zu diesem Dorf und dem damit verbundenen Leben zurückkehren konnte, denn seine Geschwister würden ihn gewiss mit offenen Armen empfangen. Doch etwas in ihm drängte ihn dazu, weiterzumachen. Er durfte nicht aufgeben. Darius wusste nicht warum, aber irgendetwas in ihm schrie danach, ein Iatas zu werden. Nicht für Ruhm, nicht für Reichtum, es war etwas anderes. Etwas, das er jetzt noch nicht einordnen konnte. Aber feststand, er musste ein Iatas werden! Dazu musste er diese Übung bewältigen und dazu musste er sich von allen störenden Gedanken befreien.

      Und es gelang. Mit einem Mal waren der Hunger, der Durst und die Müdigkeit verschwunden. Skals Befehle verkamen in seinen Ohren zu einem gleichmäßigen Rauschen. Seine Augen, die er kaum mehr offen halten konnte, strahlten vor neuem Glanz. Und ungeachtet seiner schweren und von blauen Flecken übersäten Glieder führte Darius nun einen Schwertstreich links, einen Schwertstreich rechts aus, sprang mit einem Satz nach hinten, wobei er einen imaginären Gegner mit einem Tritt außer Gefecht setzte. Anschließend ließ er sich im Bruchteil eines Wimpernschlages nach vorne fallen und rollte sich, wie Skal es ihm in den letzten eineinhalb Tagen unzählige Male gezeigt hatte, über die linke Schulter ab, um einem feindlichen Angriff zu entgehen.

      Doch als er zum finalen Stich gegen den letzten seiner unsichtbaren Widersacher ausholte, stand Skal plötzlich vor ihm und parierte die Attacke. Mit den freigesetzten Kraftreserven, von denen Darius selber nicht wusste, dass er sie besessen hatte, schlug er erneut zu und das mit einer solchen Wucht, dass es die Klinge seines Meisters direkt aus dessen Fingern riss.

      Skal, der wusste, dass diese Übung viel zu schwer für einen Anfänger war, und sie deshalb nur als ein Mittel zum Zweck betrachtete, um die Belastbarkeit seines neuen Schülers zu prüfen, hatte nicht ernstlich damit gerechnet, dass dieser sie tatsächlich bewältigen würde.

      Umso erstaunter war er, als ihm nun urplötzlich das eigene Schwert aus der Hand flog. Als er Darius überrascht entgegenblickte, hatte er den Eindruck, einen Schatten in dessen Augen zu erkennen und einen Herzschlag lang fürchtete er, der Jüngling würde weiter kämpfen und ihn erneut attackieren.

      Irgendetwas an ihm hatte sich mit einem Mal schlagartig verändert, doch als Skal genauer hinschaute, war alles wieder beim Alten. Schon einen Lidschlag später ließ Darius die Waffe sinken, strahlte quer über das ganze Gesicht und gluckste: »Na, zufrieden?«

      »Ja, allerdings«, lachte Skal und verwarf den absurden Gedanken wieder. Darius hatte nur Glück. Glück und Talent. Denn eines war sicher, dieser junge Kämpfer hatte sowohl die Ausdauer als auch die Technik, um ein Iatas zu werden, wie er im Buche stand. Während Darius noch völlig verblüfft über die Fähigkeiten war, die in ihm schlummerten und darüber staunte, dass sich sein Körper wie von selbst bewegt zu haben schien, stand für Skal bereits jetzt eines fest. So ungewöhnlich es auch war, aber der Teil der Ausbildung, der in Baknakaï stattfinden sollte und für den er Wochen eingeplant hatte, war hiermit zu Ende. Nun konnte die richtige Lehre beginnen. So manchem Mitglied des Hohen Rates mochte es vielleicht widerstreben, dass er das neuste Mitglied ihres Ordens bereits nach eineinhalb Tagen mit in die weite Welt nahm. Doch in dem Moment, da Skal das Flackern in Darius’ Augen gesehen hatte, wusste er, dass der Junge reif dafür war.

      »Ich hab’s geschafft!«, jubelte Darius noch immer erstaunt über seine eigene Leistung. »Ich hab’s endlich geschafft.«

      »Ja, das hast du«, entgegnete Skal anerkennend. »Und jetzt hast du dir ein wenig Ruhe verdient.« Gemeinsam gingen sie ins Innere der Festung zurück, und nachdem Darius sich den Bauch vollgeschlagen hatte, so wie er es sich die letzten Stunden unzählige Male vorgenommen hatte, sackte er auf seiner unbequemen Pritsche, die nur aus einem mit Stroh gefüllten Sack und einer Pferdedecke bestand, zusammen. Unter anderen Umständen hätte er sich auf diesem Lager wohl noch eine ganze Weile hin und her gewälzt, aber heute schlief er sofort ein.

      Und er träumte. Darius träumte sonst eigentlich nie, was natürlich Unsinn war, denn jeder Mensch träumte, nur konnte Darius sich am Morgen danach meist schon nicht mehr daran erinnern. Und auch diesen Traum würde er vor dem Erwachen vergessen haben. Nicht wissend, dass viele Wegstunden entfernt eine junge Frau dasselbe nächtliche Erlebnis hatte.

      Festen Schrittes lief Darius neben einem Mädchen – sie war etwa in seinem Alter – eine Straße entlang. Es war mehr ein Feldweg, denn einer befestigten Passage. Um sie


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