Das Biest in Dir. Felix Hänisch

Das Biest in Dir - Felix Hänisch


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weltlichen Weg zur Flucht gab, schritt Loës jedes Mal mitten durch den weit geöffneten Türbogen aus schwarzem Königsholz.

      Was das für wichtige Dinge waren, für die sein Gebieter ihn auch in diesem Moment wieder fallen gelassen hatte wie ein Kind, das seiner alten Puppe überdrüssig geworden war, konnte Skal mittlerweile ganz gut einschätzen. Während er schweißnass und innerlich wie äußerlich bebend auf den dunklen Fliesen des Albewald-Tempels lag, breitete sich in ihm zunehmende Gewissheit darüber aus, was das mächtigste Wesen Epsors tat, wenn es sich nicht gerade ihm widmete.

      Skal genoss den kurzen Moment der Ruhe. Er fühlte, wie die durchdringende Kälte der Steinplatten in ihn eindrang und die sengende Hitze seines Körpers abkühlte. Selbst das Gefühl, jeden Augenblick die eigenen Innereien erbrechen zu müssen, ließ ein klein wenig nach. Langsam aber sicher beruhigte sich sogar seine Atmung wieder und ging von dem stoßweisen Keuchen in ein kontrolliertes, wenn auch nach wie vor gieriges, Ein- und Ausatmen über.

      Das Zeitgefühl war dem Iatas-Meister inzwischen längst abhandengekommen und er vermochte nicht zu sagen, ob Augenblicke oder Stunden vergangen waren, in denen er die Grausamkeiten seines Herren hatte ertragen müssen. In seiner Kammer gab es kein Fenster, an dem er sich hätte orientieren können, ob draußen bereits der neue Tag angebrochen war oder nicht. Im Moment war Skal jedoch einfach nur froh darüber, dass er ein wenig Ruhe hatte, um wieder zu sich zu finden.

      Auch wenn ihm sein Gebieter nach außen hin stets überlegen und allmächtig erschien, was er ja auch war, so ließ sich dennoch nicht leugnen, dass auch er immer wieder eine Pause machen musste, um sich zu erholen. Der Grund dafür war, wie Skal vermutete, weniger die anstrengende Gedankenfolter, die Loës ihm angedeihen ließ. Viel eher hegte er den Verdacht, dass die Schwertwunde, welche die junge Königin Esnatora seinem Meister in der Schlacht heimtückisch beigebracht hatte, an dessen Kräften zehrte.

      Über die Ausmaße der Verletzung konnte der alte Krieger indes nur spekulieren. Zum einen musste sie so schlimm sein, dass sie Loës, den Herren der Dunkelheit und baldigen Gebieter über ganz Epsor, weit genug geschwächt hatte, um ihn sich in seinen Tempel zurückziehen zu lassen. Zum anderen war er noch immer so stark, dass er den Weg dahin, anders als Skal zu Anfang vermutet hatte, nicht auf dem Rücken eines gewöhnlichen Pferdes bestreiten musste. Indem er sich der Macht seines Tränensteins bedient hatte, war es dem Albengott gelungen, sie beide unmittelbar nach der Schlacht in seinen Tempel zu zaubern.

      Skal hatte eine solche Reise, bei der er sich in dem einen Moment noch an den Toren Urgolinds befunden hatte und im nächsten bereits auf dem Vorplatz des geheimen Albewald-Tempels stand, noch nie zuvor erlebt. Allerdings war sie vergleichbar mit jener, die er kurz darauf in seinem Traum gemacht hatte. Für die Dauer einiger weniger Lidschläge waren die Bilder der ihn umgebenden Landschaft in einem solch ungeheueren Tempo vorbeigezogen, dass sie sich vor seinen Augen zu einem undefinierbaren Brei vermischt hatten. Und noch bevor er sich der Situation gänzlich klar werden konnte, hatte die Reise auch schon wieder ihr Ende genommen. Skal war erstaunt darüber, wozu Loës, selbst nach der Verwundung durch das Götterschwert Nisanchi, welches er unmittelbar nach seinem Sieg an sich genommen hatte, noch in der Lage gewesen war.

      Mit hocherhobenem Haupt und trotz der Schmerzen, die er zweifelsohne empfunden haben musste, war er in gemächlichen Schritten durch den Eingang seines Tempels gewandelt. In der einen Hand das Götterschwert, in der anderen eine dünne Kette, an der, eingelassen in eine goldene Fassung, der schwarze Tränenstein glänzte. Eine Aura der Macht war von dem Albengott ausgegangen, die dafür sorgte, dass sich Skals Nackenhaare unweigerlich aufgestellt hatten, wenn er mehr als drei Schritte an ihn herangetreten war.

      Nur wenige Augenblicke nach ihrer Ankunft waren dem Iatas-Krieger auf unerklärliche Art und Weise die Lider schwer geworden, was nichts mit den Strapazen der Schlacht zu tun gehabt haben konnte. Kaum drei Atemzüge später hatte ihn ein tiefer Schlaf ereilt. Inzwischen war er sich beinahe sicher, dass der hühnereigroße Zauberstein nicht nur für die ungewohnte Art zu reisen, sondern auch für seine Müdigkeit verantwortlich war.

      Allzu lange hatte die Ruhe in dem weichen Federbett allerdings nicht gewährt und nur kurz nachdem Skal aus seinem verräterischen Traum erwacht war, hatte die Peinigung durch seinen neuen Meister auch schon ihren Anfang genommen.

      Zu Beginn hatte Loës, während er ihn gefoltert hatte, noch versucht, die Wunde in seinem Nacken mit abwertenden Äußerungen über die tote Elfenkönigin zu verharmlosen. Doch die Tatsache, dass er sich ab und an zurückziehen musste, gerade wenn er über einen längeren Zeitraum hinweg gestanden hatte, zeigte, wie es wirklich um ihn stand. Es war klar, dass die Schandworte einzig dem Zweck gedient hatten, seinen Schmerz zu überspielen. Im Gegensatz zu ihm schien Loës jedoch immer kürzere Pausen zu benötigen, um erholt an sein Tagewerk zurückzukehren.

      Die Regenerationsfähigkeit eines Gottes ist nun einmal nicht mit der eines Sterblichen zu vergleichen, dachte Skal selbstmitleidig. Tatsächlich schien es, als ob die Kraft seines Meisters im gleichen Maße zunahm, wie die seine schwand.

      Skal wusste, dass er die hypnoseähnlichen Angriffe auf seinen Verstand nicht mehr lange würde ertragen können. Dabei war es weniger so, dass Loës seinen Geist von außen manipulierte und ihm dadurch seinen Willen aufzwang. Vielmehr konnte der nervlich bis zum Zusammenbruch gepeinigte Krieger spüren, wie sein Gebieter in das Innere seines Kopfes eindrang und diesen mit aus dem Nichts kommenden Schmerzperioden zu überfluten schien.

      Doch fast noch schlimmer als die sich stetig hochschaukelnde Intensität des Stechens und Brennens in seinem Hirn waren die kurzen Zeitabstände dazwischen, in denen die rauchige Stimme seines Meister ihn ganz leise immer und immer wieder die beiden gleichen Fragen stellte: Weißt du, warum ich das tue? Wirst du dich mir gegenüber noch ein einziges Mal respektlos verhalten?

      Jedes einzelne Mal hatte Skal bei seinem Leben geschworen, dass Loës ihm vertrauen könne und dass es nie wieder zu einem Verrat seinerseits kommen würde. Doch es hatte nichts genützt.

      »Na, denkst du an mich?«

      Skal, der ohnehin schon am ganzen Körper bebte, zuckte plötzlich merklich zusammen, als er erneut die unverkennbare Stimme seines Meisters hinter sich vernahm. Geräuschlos war dieser, einem Geist gleich, durch die Rückwand seiner Kammer getreten und der alte Iatas konnte nun förmlich spüren, wie sich der stechende Blick in seinen Hinterkopf bohrte.

      Loës stand so dicht hinter ihm, dass Skal die Stiefelspitzen des Gottes an seinem Rücken fühlen konnte. Indes schien er selbst wie von unsichtbaren Kräften am Boden gehalten zu werden und es gelang ihm nur unter größten Anstrengungen, den Kopf ein wenig zur Seite zu drehen. Aus dem Augenwinkel heraus sah er, wie sich der Umhang seines Gebieters bewegte, so als würde ein leichter Luftzug ihn erfassen. Der sich kräuselnde Stoff raschelte kaum vernehmlich, was jedoch in Skals schnaufender Atmung unterging.

      Ohne einen einzigen Ton von sich zu geben, umrundete der Albengott seinen Sklaven, dem er, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, den Respekt beibringen wollte, an dem dieser es bisher hatte mangeln lassen. Denn schließlich war es die Mühe wert. Loës konnte spüren, dass in dem Menschen noch großes Potenzial schlummerte, welches sich schon bald zeigen würde. Erneut begann er zu sprechen und wählte dabei einen bewusst spöttischen Unterton.

      »Du hast mich nicht so früh zurückerwartet, nicht wahr? Hast du gehofft, ich würde noch ein wenig meine Wunde lecken und ebenso in Selbstmitleid zerfließen wie du?« Skal antwortete nicht, doch es lief ihm kalt den Rücken herunter, als die Worte süffisant an sein Ohr drangen und er kurz darauf ihren tieferen Sinn verstand.

      »M...Meister, ich habe nicht ... ich ... ich wollte nicht ...« Seine Stimme war ebenso leise wie die des Dunklen Herrschers, doch klang sie um einiges kraftloser. Müde und erschöpft bewegten sich die Lippen des einst so stolzen Kriegers nur langsam. Sein Verstand hingegen arbeitete – bemessen auf seine momentanen Verhältnisse – im Hochakkord. Was hatte das nur zu bedeuten? Woher wusste sein Herrscher, was er dachte? Konnte er etwa ...

      »Ja, Skal, deine Gedanken sind für mich ein offenes Buch«, unterbrach Loës seine Überlegung. Diesmal klangen die Worte seltsam beherrscht, so als müsse er sich zurückhalten, um den am Boden Liegenden nicht anzuschreien


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