Vom Stromkartell zur Energiewende. Peter Becker
ganz unerwartete Wendung nahm auch die Neuordnung des Gasnetzzugangs.
Nach dem Regierungsmodell sollte der Transportkunde mit jedem Netzbetreiber entlang der fiktiven Transportkette einen Transportvertrag abschließen (§ 20 Abs. 1b). Da Deutschland in eine Vielzahl von Netzen zerfällt, waren i.d.R. mehrere Durchleitungsverträge zu schließen, die auszuverhandeln viel Zeit und auch Geld kostete. Dazu kam die Vielzahl technisch aufwendiger Forderungen der Netzbetreiber beim Bilanzausgleich, beim Speicherzugang, bei unterjährigen Lieferungen oder Lieferungen gegen die Fließrichtung etc. Zu einer vernünftigen Weiterentwicklung der VV Gas kam es trotz der rituellen Drohungen von Minister Müller, er werde beim Scheitern der Verbändeverhandlungen eine Rechtsverordnung zum Gasnetzzugang erlassen, nicht. Selbst nachdem BEB sein funktionierendes Entry-/Exit-Modell132 vorgelegt hatte, gab das Wirtschaftsministerium dem Druck des BGW und der hinter ihm stehenden Ruhrgas nach und hielt am Transaktionsmodell fest.
Die CDU-Seite war jedoch in das Vermittlungsverfahren mit dem festen Willen hineingegangen, zu einem effektiven Netzzugang auch beim Gas zu kommen. Sie nahm dabei Überlegungen einer kommunalen Aktion Gasnetzzugang auf, getragen von 86 Stadtwerken, und der GEODE, eines Verbandes unabhängiger Netzbetreiber.133 Eine derartige, höchst erfolgreiche Intervention der kommunalen Seite hatte es im Gesetzgebungsverfahren noch nie gegeben – und sie war erfolgreich: Das Gesetz verlangte jetzt nur noch einen Einspeisevertrag mit dem Netzbetreiber, in dessen Netz die Einspeisung von Gas erfolgt, sowie einen Ausspeisevertrag mit dem Netzbetreiber, aus dessen Netz das Gas tatsächlich entnommen wird. Zur Umsetzung dieses Modells müssen alle Netzbetreiber kooperieren. Mit dem System der Kostenwälzung wie beim Strom kam es jetzt dazu, dass am Ausspeisepunkt, in der Regel beim Verteilnetzbetreiber, die Entgelte für alle berührten Ebenen abgerechnet werden. Schließlich wurden auch die Ferngasleitungen entgegen der Regierungslösung jedenfalls dann in die Regulierung auf Kostenbasis einbezogen, wenn nicht nachweislich Wettbewerb herrschte.
Zu diesem Gesetzgebungserfolg kam es nur, weil sich der Vermittlungsausschuss von den Vorstellungen des Wirtschaftsministeriums löste, das sehr stark unter dem Einfluss des BGW stand, was sogar nachgeordnete Bedienstete des Ministeriums unter der Hand bemängelten.
Ein Vorgang war außerordentlich aufschlussreich: Am Tag vor der abschließenden Beratung im Wirtschaftsausschuss schrieb der BGW an die CDU-Vorsitzende Merkel und mahnte eine Korrektur der vorgesehenen Regelungen zum Gasnetzzugang an. Aus Sicht der Gaswirtschaft sei „noch nicht abschätzbar“, ob die vorgesehenen umfassenden Kooperationsverpflichtungen und vertraglichen Regelungen „in der Praxis umsetzbar sind“. Diese Regelungen seien „in letzter Minute“ und „ohne vorherige Absprache mit der Gaswirtschaft“ getroffen worden.134
„Ohne vorherige Absprache mit der Gaswirtschaft.“ Gesetz sollte also nur das werden, was die Gaswirtschaft vorher für gut befunden hatte. Wer ist der Gesetzgeber im Energiewirtschaftsrecht?
11. Die Problempunkte des Gesetzes
a) Erfolgsmeldungen der Lobby
Dennoch verblieben im Gesetz, nachdem es am 7.7.2005 ausgefertigt worden war135, zahlreiche problematische Punkte, die dem auffallen, der die Erfolgsmeldungen des Branchenverbandes VDEW und des Verbandes kommunaler Unternehmen zum Gesetz studiert. Das gilt beispielsweise für das versorgerfreundliche Prinzip der Nettosubstanzerhaltung bei der Netzentgeltkalkulation, das infolge des erfolglosen TEAG-Verfahrens des Bundeskartellamts noch für Investitionen bis zum 31.12.2005 galt und erst danach durch das Prinzip der Realkapitalerhaltung abgelöst wurde; ferner hob der Verband der Verbundunternehmen und regionalen Energieversorger in Deutschland (VRE)136 als Erfolg hervor, dass es gelungen sei, „die periodenübergreifende Saldierung rückgängig zu machen“, also den Ausgleich zwischen tatsächlich aufgewandten Anschaffungs- und Herstellungskosten und Tagesneuwerten bei der kalkulatorischen Abschreibung137, für die der Bundesrat bemängelt hatte, dass sie zu verdeckten Gewinnen führe. Entfallen sind auch die Klage- und Vorteilsabschöpfungsrechte von Verbänden.
b) Keine Kontrolle der Energiepreise
Von viel weiterreichender Bedeutung war aber, dass dem Gesetzgeber die Auspreisung der Energie aus dem Blick geriet. Wettbewerb bei den Gaspreisen gab es ohnehin nicht.138 Das System der kartellrechtlichen Preishöhenkontrolle gemäß § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB griff kaum, wie sich bei den Preiserhöhungsrunden der großen Gashandelsunternehmen und ihnen folgend der Verteilerwerke nach den Preiserhöhungsrunden für leichtes Heizöl immer wieder zeigte. Die Kampagnen des Bundeskartellamts und der Landeskartellbehörden hatten letztlich wenig Erfolg, was darauf zurückzuführen war, dass den Kartellbehörden die Instrumente und eine angemessene Ausstattung fehlen.
Auch beim Strom fordert die Monopolkommission139 eine „intensivierte wettbewerbliche Aufsicht über die Stromgroßhandelsmärkte..., um Marktmachtproblemen auf dem Stromgroßhandelsmarkt Rechnung zu tragen“. Wahrscheinlich gab es ein Preiskartell der vier Energiekonzerne, bei denen 80 % der Kraftwerkskapazitäten liegen. Auch auf dem Haushaltskundenmarkt hatte der Bundesrat140 angesichts des zusammengebrochenen Wettbewerbs die Beibehaltung der Strompreisaufsicht gefordert.
Auf Basis dieser Überlegungen wollte das Gesetz mit § 29 GWB eine besondere „Missbrauchsaufsicht über die Grund- und Ersatzversorgung mit Elektrizität“ einführen (Art. 3 Nr. 31 des Gesetzes). Diese Vorschrift war zunächst dem Vermittlungsverfahren unter der Überschrift „Abbau von Bürokratie“ zum Opfer gefallen: „Eine besondere Missbrauchsaufsicht über Stromtarife stellt im Ergebnis einen regulierenden Eingriff in den Wettbewerbsbereich dar, der nicht zu rechtfertigen ist. Vielmehr ist zu befürchten, dass diese Vorschrift die Entstehung von Wettbewerb um Haushalts- und sonstige Kleinkunden behindert und damit den Zielen des Gesetzes zuwiderläuft.“
Eine besondere Missbrauchsaufsicht über Gaspreise war wunderlicherweise von vornherein nicht vorgesehen. Aber es sollte noch bis Ende 2007 dauern, bis die neue Regelung kam.141
70 Möschel, BB 2001, 131. 71 McKinnon, The Gas Industry in Britain, London 1993. 72 Richtlinie des Rates vom 29.10.1990 über den Transit von Elektrizitätslieferungen über große Netze (90/547/EWG) ABl. L 313/30 vom 13.11.1990. 73 Richtlinie des Rates v. 31.5.1971 über den Transit von Erdgas über große Netze (91/296/EWG), ABl. L 147/37 v. 12.6.1991). 74 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt (92/C65/04), KOM(91)548 endg., sowie Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt (92/C65/05), KOM(91)548 endg. 75 Vgl. dazu Pluge, aktueller Stand der Diskussion über den europäischen Binnenmarkt für Gas und Elektrizität, RdE 1993, 169, 171. 76 A.a.O. (vorherige Fußnote). 77 Vom 13.11.1991, RdE 1992, 49. 78 Vom 16.10.1992, Die vorgesehene Regelung zur Strom- und Gasdurchleitung (TPA) als Verwirklichung der Wettbewerbsvorschriften des EWG-Vertrages, RdE 1993, 41. 79 EuGH Frankreich/Kommission, Urt. v. 19.3.1991 (Endgeräte-Richtlinie, C 202/88, Slg. 1991, I-1223, Rn. 43). 80 WuW OLG 5694. 81 Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 30.1.1997, Nr. L 27/20. 82 KOM (91) 0548 = RBIEG 1992 Nr. C 65/04 v. 14.3.1992. 83