Vom Stromkartell zur Energiewende. Peter Becker

Vom Stromkartell zur Energiewende - Peter Becker


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und verlangte ein verbindliches Regelwerk und eine staatliche Regulierungsinstanz.109

      Dazu noch folgendes Schmankerl: Beim Bundeswirtschaftsministerium war zur Beschwichtigung der Kritik eine „task force Netzentgelte“ eingerichtet worden; Leiter: Der vormalige Vorsitzende der 8. Beschlussabteilung beim Bundeskartellamt Schultz. Wie jedoch der Focus am 5.8.2001 meldete, waren allein drei Mitglieder der task force von großen Energieversorgern ausgeliehen und würden weiterhin von den Unternehmen bezahlt. Das Wirtschaftsministerium begründete diese Organisation der Aushilfe damit, dass die Haushaltslage nur wenige neue Ministeriumsstellen zulasse.

       7. Das erste Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts

      Das war ein folgenschwerer rechtstechnischer Trick: Wenn das Gesetz einem Verfahren die gesetzliche Vermutung der Richtigkeit beimisst, führt das zu einer Beweislastumkehr vor Gericht. Es muss jetzt nicht mehr der Netzbetreiber nachweisen, dass die Kalkulationsgrundsätze der Verbändevereinbarung fachlich in Ordnung sind und die Anwendung dieser Kriterien daher zu angemessenen Netzentgelten führt. Vielmehr musste der Netzzugangsaspirant dartun, warum diese Kalkulationsgrundsätze nicht zu angemessenen Netzentgelten führen, der davon gar nichts verstand: So war beispielsweise sehr strittig, welche Nutzungsdauern einem Anlagegut beizumessen waren. Beispiel: Ein Kabel, das nach seiner technischen Auslegung 50 Jahre nutzbar war, war gleichwohl mit einer Nutzungsdauer von nur 25 Jahren abgeschrieben worden. Solche kurzen Nutzungsdauern waren in vielen Bundesländern üblich, weil die Behörden, die die Aufsicht über die Strompreisbildung führten, die kurzen Abschreibungsfristen als sogenannte steuerliche Abschreibung akzeptiert hatten. Nach 25 Jahren wurde es also mit dem Wert 0 im Anlagenspiegel geführt. Wenn dasselbe Anlagegut nach den Nutzungsdauern der Verbändevereinbarung auf 50 Jahre abgeschrieben wurde, war es plötzlich wieder halb so viel wert, wie es ursprünglich einmal gekostet hatte. Man konnte es der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW) kaum verdenken, wenn sie im Rahmen einer Verbändevereinbarung für die Beibehaltung dieser Wohltaten aus früheren Monopolzeiten stritt. So blieben die Kosten der Stromdurchleitung rechnerisch höher als sie eigentlich sein mussten, und dementsprechend die Netznutzungsentgelte. Wenn der Gesetzgeber nunmehr diese Grundsätze der Verbändevereinbarung damit adelte, dass sie „gute fachliche Praxis“ darstellten, war jahrelanger Streit vor Gericht programmiert: Jahrelang deswegen, weil kein Richter sich mit dieser neuartigen Materie auskannte und deswegen auf Sachverständigengutachten setzen musste, um sich die Kalkulationsgrundsätze und die Berechnung als solche erklären zu lassen. Eine weitere Problematik bestand darin, einen Sachverständigen zu finden, auf den sich beide Parteien einigen konnten; sind doch in der Energiewirtschaft alle Sachverständigen irgendwo wirtschaftsnah. Auch Sachverständige aus Wirtschaftsprüfungsgesellschaften waren keineswegs neutral. Immer spielte eine große Rolle, welche Jahresabschlüsse sie zu prüfen hatten. Da brachte das Internet häufig überraschende Verortungseinsichten.

      Am 14.3.2003 lehnte der Bundesrat die Verrechtlichung der Kalkulationsgrundlagen beim Netzzugang ab und rief den Vermittlungsausschuss an. In der öffentlichen Anhörung im Wirtschaftsausschuss des Bundestags am 13. Mai wandten sich die Mehrheit der Sachverständigen und insbesondere das Bundeskartellamt gegen die Verrechtlichung der Verbändevereinbarungen. Allenfalls könne man die Verbändevereinbarungen „berücksichtigen“. Insbesondere könne eine solche Vermutung nicht dem Kalkulationsleitfaden für Netzentgelte Strom zukommen. Die Verbändevereinbarung Gas sei insgesamt nicht so weit und könne deswegen keinesfalls an der Vermutung teilhaben.

      Aber der Lobby-Einfluss war stärker: Der Bundestag beschloss die Verrechtlichung beider Verbändevereinbarungen mit der Beweislastumkehr. Jedoch wurde unter dem Eindruck des Vermittlungsverfahrens mit Art. 2 § 3 ein Monitoring eingeführt. Danach habe das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit dem Bundestag bis zum 31.8.2003 über die energiewirtschaftlichen und wettbewerblichen Wirkungen der Verbändevereinbarungen zu berichten und ggf. Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten.

      „Insgesamt wird die Missbrauchsaufsicht im Rahmen des allgemeinen Wettbewerbsrechts durch die Rechtsauffassung des Gerichts im Hinblick auf die Folgewirkungen der ‚Verrechtlichung‘ der Verbändevereinbarung geradezu ad absurdum geführt.“

      Das OLG, dessen Entscheidungen wegen seiner Zuständigkeit für das Bundeskartellamt in Bonn die Rechtsprechung stark beeinflusst hatte, hatte ja die Verbändevereinbarung rundherum abgesegnet.

      Damit hatte das OLG freilich nur die vom Gesetzgeber offensichtlich gewollte Reduzierung der gerichtlichen Kontrolldichte praktiziert. Es war daher nur konsequent, wenn die Monopolkommission jetzt eine „Reform des Regulierungsrahmens“ und die vorherige Genehmigung der Netznutzungsentgelte forderte.


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