Vom Stromkartell zur Energiewende. Peter Becker

Vom Stromkartell zur Energiewende - Peter Becker


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Erschließung von Mitteldeutschland. Später kam der größte unterirdische Erdgasspeicher Westeuropas im niedersächsischen Rehden dazu. Dann baute die WINGAS zusammen mit E.ON die Ostsee-Pipeline Nord Stream; Vorsitzender des Aktionärsgremiums dieser Gesellschaft ist Gerhard Schröder, ferner die Norddeutsche Erdgasleitung (NEL) und die Ostsee-Pipeline-Anbindungs-Leitung (OPAL). Das waren unternehmerische Entscheidungen erster Güte – aber sie trafen auf ein geschlossenes Netz von langfristigen Gaslieferverträgen der etablierten Konkurrenz, insbesondere Ruhrgas, BEB, GVS etc. Diese Unternehmen wollten ihre Verträge nicht nur mit rechtlichen Mitteln verteidigen. Stadtwerke, die auch nur im Ansatz Überlegungen erkennen ließen, den Versorger zu wechseln, erhielten Rabatte und Bargeldzahlungen, getarnt als „Marketing-Zuschüsse“. Für die WINGAS war der Markteintritt also gar nicht einfach.

      Da trat ein anderer wagemutiger Stadtwerks-Chef auf den Plan, Dieter Attig, Vorstandsvorsitzender der Stadtwerke Aachen AG (STAWAG). Auch die STAWAG verfügte über einen langfristigen Gasliefervertrag, und zwar bei der RWE-Tochter Thyssengas. Die Thyssengas war nicht bereit, Gasmengen freizugeben und folgte damit der Verschwörung der Gaswirtschaft. Die STAWAG ließ sich aber, rechtlich beraten, auf das Risiko ein und bestellte Gas in erheblichen Mengen bei der WINGAS – wohl wissend, dass die Klage der Thyssengas unmittelbar folgen würde.

       6. Netznutzung: Viel Bürokratie und wenig Wettbewerb

      Eigentlich hatte der Wettbewerb beim Strom so schön angefangen: Nicht nur Yello, VASA, ENRON, Zeus, Riva, Best Energy traten an. Vielmehr gründeten auch E.ON mit der Marke E-WIE-EINFACH und RWE mit der Marke Eprimo Töchter zur Belieferung vor allem von Haushalts- und kleinen Gewerbekunden. Aber die Mehrzahl der Newcomer verschwand sehr schnell wieder vom Markt. Die Gründe waren mit Händen zu greifen:

       – Der Netzzugang musste in vielen Fällen erst vor Gericht erstritten werden107;

       – wegen der fehlenden Rechtsverordnung über die Gestaltung der Netznutzungsverträge gemäß § 6 Abs. 2 EnWG konnte jeder Netzbetreiber die einschlägigen Verträge autonom gestalten, was die Händler wiederum zwang, in monatelangen Verhandlungen Verträge für oft nur wenige Kunden auszuhandeln;

       – oft wurden auf Basis des sogenannten „Doppelvertragsmodells“ Verträge des Netzbetreibers sowohl mit den neuen Lieferanten als auch mit den Endkunden verlangt;

       – verlangt wurden auch Wechselentgelte, also Entgelte für das Handling des Versorgerwechsels;

       – Kritikwürdig waren aber vor allem die Netznutzungsentgelte, die Spreizungen von bis zu 300 % aufwiesen und insgesamt überhöht waren, obwohl sie angeblich alle auf dem Kalkulationsleitfaden zur Verbändevereinbarung VV II und VV II plus basierten.


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