Mütter. Anja Bagus

Mütter - Anja Bagus


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und Weihnachten ist alles wieder gut.“

      „Meinst du?“

      „Klar. Und man soll ja auch aufhören, wenn’s am schönsten ist.“

      „Weihnachten ist erst … in sieben Monaten.“

      „Weißt Du noch letztes Jahr? Da hat Max am Dreiundzwanzigsten bei Oma übernachtet und Heiligmorgen hatten wir so richtig geilen, entspannten Sex.“

      „Wir … sind Ostern bei denen eingeladen, oder?“

      „Jepp.“

      „Und Weihnachten … haben wir dann Sex?“

      „Ja. Weihnachten haben wir Sex.“

       CHRISTIAN KRUMM

      geboren 1977 in Krefeld, ist promovierter Historiker und Heavy-Metal-Autor. Seine Bücher geben Einblicke hinter die Kulissen der Szene und stets ist er auf der Suche nach Themen, die bislang unbeachtet geblieben sind. Zusammen mit Holger Schmenk schrieb er 2010 Kumpels in Kutten. Heavy Metal im Ruhrgebiet, ein Buch über die Szene der Metal-Metropole Ruhrpott. Das Buch Do It Yourself. Die Geschichte eines Labels (2012) portraitiert die Dortmunder Plattenfirma CENTURY MEDIA. Dass der Metal auch exzellenten Romanstoff bietet, bewies er mit At Dawn They Sleep (2014). Mit Morgoth Uncursed lieferte er 2015 in der Edition Roter Drache seine ersten Bandbiografie ab. Zeitgleich mit dieser Anthologie erscheint im gleichen Verlag sein Buch Traumschrott, eine Sanmmlung mit 12 Kurzgeschichten.

       Das wundersame Bild

      Die blonde Frau in den übergroßen Jeans und der weiten Joggingjacke wurde von dem Polizisten aufgefordert, sich zu erheben und zog damit die Aufmerksamkeit des jungen Thor auf sich. Während er sie durch das Schaufenster mit der Aufschrift „Antiquariat Koreander“ beobachtete, fiel ihm auf, dass ihr blondes Haar unter ihrer grauen Stoffmütze herausragte. Es schimmerte rotgolden in der winterlichen Nachmittagssonne, was einen eigenartigen Kontrast zu ihren Ringen in der Nase, den Lippen, den Ohren und den Augenbrauen bewirkte. Sie muss ein schwieriges Leben haben, dachte Thor, und alleine die Tatsache, dass die Frau kein Geld von ihm haben wollte, hinterließ bei ihm ein Gefühl der Unzulänglichkeit. Es mochte wohl in der ganzen Stadt keinen sensibleren Menschen gegeben haben als ihn, und unglücklicherweise hatte ihm seine Mutter beigebracht, dass man immer selbst daran schuld war, wenn man zurückgewiesen wurde.

      Während Thor noch dem Polizisten und seiner unfreiwilligen Begleitung nachsah, griff der alte Herr Koreander nach dem elektronischen Bilderrahmen, der auf einem Tisch zwischen einer überteuerten Ausgabe von Kellers „Die Leute von Seldwyla“ und einer strahlend weißen Reiterfigur Friedrichs des Großen stand.

      „Na, mein Junge“, sagte der Trödler, „willst du tatsächlich dieses alte Ding? Und zwanzig Euro sind dir nicht zu teuer? Für ein wenig mehr bekommst du einen neuen.“

      „Ja, ich finde es schön, es passt in mein … in meine Wohnung.“

      „Soso, in deine Wohnung. Ich dachte, du wohnst noch bei deiner Mutter.“

      Mutter, schon wieder musste Thor an seine Mutter denken und natürlich fielen ihm dabei die Wurstbrote wieder ein, die noch in seinem Rucksack lagen. Herr Koreander ging langsam hinter die mechanische Kasse und hämmerte mit seinen knorrigen Zeigefingern auf die Tasten ein. Thor hatte die Brote wieder nicht gegessen, weil er die Wurst schon lange nicht mehr mochte. Doch hielt er seine Mutter für zu sensibel, als dass er es ihr hätte sagen können. Immerhin handelte es sich bei diesen Broten um eine seiner wenigen noch erhaltenen Gewohnheiten aus der Zeit, da sein Vater noch bei ihnen gewohnt hatte. Es gab darüber hinaus nicht viel, an das sich seine Mutter erinnern konnte, ohne dass ihr Tränen in die Augen stiegen. Deshalb nahm Thor die Brote noch immer jeden Tag mit.

      „Die Besitzer dieses Rahmens haben den Preis festgesetzt“, sagte Herr Koreander, „sie bestanden darauf. Er stand lange im Schaufenster. Ich habe ihnen gesagt, dass ich das Ding für diesen Preis nicht loswerde. Aber sie sagten, das wäre nicht schlimm. Dieses Ding sei ein Fluch, sagten sie. Es könnte ruhig für immer hier bleiben.“

      „Stimmt denn etwas damit nicht?“

      „Nun, wer weiß? Vielleicht ist er von Dämonen besessen. Aber mach dir keine Sorgen. Die ganze Familie war noch gesund und wohlauf. Sie sagten nur, es sei nicht gut, diesen Rahmen im Haus stehen zu haben. Ganz besonders nicht für junge Männer.“

      „Und warum?“

      „Ja, das weiß der Himmel. Wenn du mich fragst, Junge, dann müssen Sachen nicht hundert Jahre alt sein, um verzaubert zu sein. Glaub mir, unsere Welt hat ihren Zauber nicht verloren. Die meisten Menschen sind nur blind dafür geworden. Es gibt bestimmt einen Grund, warum sie den Rahmen zurückgegeben haben. Weißt du was? Ich verkaufe ihn dir für fünf Euro. Die tauchen ohnehin nie wieder hier auf und wenn doch, sage ich ihnen, er sei gestohlen worden.“

      „Ja, wenn das geht.“

      „Natürlich. Es ist ein alter Digitalrahmen, für Leute in Deinem Alter gehört so ein Ding wahrscheinlich ins Museum. Also, fünf Euro und er gehört dir.“

      Herr Koreander gab Thor eine löchrige Plastiktüte mit der Aufschrift „Metzgerei Honigblut“, kehrte ihm den Rücken zu und beugte sich ohne ein weiteres Wort über sein Kassenbuch. Er zählte nicht einmal die Münzen, die Thor ihm auf die kleine Plastikschale neben der Kasse gelegt hatte – was den jungen Mann, der mit einem auffordernden „Auf Wiedersehen“ den Laden verließ, zwangsläufig denken ließ, der alte Trödler hätte sich nur für ein Verkaufsgespräch so nett und redselig gegeben. Eine solche Kaltblütigkeit, dachte Thor, ließe sich niemals mit dem feinsinnigen Gespür für alte Dinge in Einklang bringen, das ein Trödler von Natur aus haben müsse, und er kam nicht umhin, sich trotz des Preisnachlasses betrogen und ausgenutzt zu fühlen.

      Auf die Passanten, die sich in den Abendstunden noch in den Straßen aufhielten, muss Thor einen seltsamen Eindruck gemacht haben. Er hielt das in Plastik eingewickelte Ding wie ein Tablett vor sich und schritt bedächtig über die große Straße, ohne das Läuten der Straßenbahn zu bemerken, die ihn um nur knapp drei Meter verfehlte. Erst als er an der Metzgerei Honigblut vorbeikam, verflog das beklemmende Gefühl und die Freude über den Bilderrahmen stieg. Wahrscheinlich war Herr Koreander einfach zu beschäftigt gewesen und hatte ihn deswegen ohne viele Worte aus dem Laden gehen lassen.

      Zuhause an seinem Schreibtisch legte er die Wurstbrote neben sich, um sie noch zu essen, bevor seine Mutter ihn zum Abendessen rufen würde. Doch er vergaß sie bald, wie er auch den Rest der Welt um sich stets vergaß, wenn er als „Aegon Targaryen“ einen Text in einem der vielen Internet-Foren für Fantasygeschichten und Rollenspiele schrieb, galt er doch in diesen Kreisen als eine maßgebliche Autorität. Mittlerweile existierten, fein säuberlich nummeriert, an die hundert Profile mit seinem Namen. Aber bis auf „Aegon Targaryen42“, der über gewisse Aspekte esoterischer Fragen zu den Religionen der HALO-Allianz äußerst umfassend informiert war, hatte keiner je einen solchen Status erreicht wie Thor. Heute ging es um die vorab veröffentlichte Betaversion der sechsten World-Of-Warcraft-Erweiterung „Legions“, über deren Qualität man sich innerhalb unterschiedlicher Communities stritt. Der Bilderrahmen stand zwischen seinen Schätzen, die auf den Kommoden und Regalen seines Zimmers aufgereiht waren: Figuren und Bilder von Sagengestalten mystischer Welten, Tiere, Menschen, Elfen, Zwerge, Ungeheuer und tapfere Krieger. Alles, was diese


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