Eingriffsrecht Brandenburg. Viktor Nerlich

Eingriffsrecht Brandenburg - Viktor Nerlich


Скачать книгу
Der richtige Adressat dieser IDF ist nach den allgemeinen Adressatenregelungen zu bestimmen (§§ 5 ff. BbgPolG).

       2.2 Die Identitätsfeststellung an „gefährlichen“ bzw. „verrufenen“ Orten

      Anders als bei der IDF zur Abwehr einer konkreten Gefahr kann die Polizei an sogen. gefährlichen oder verrufenen Orten anlasslos, also ohne Vorliegen einer konkreten Gefahr die Identitätsfeststellung durchführen, und zwar bei jedem, der sich an einem solchen Ort aufhält.166 Dies ergibt sich aus § 12 Abs. 1 Nr. 2 BbgPolG. Zu prüfen sind daher folgende zwei tatbestandliche Voraussetzungen:167

      (1) Existenz eines sogen. „gefährlichen“ oder „verrufenen“ Ortes i. S. der Vorschrift,

      (2) Aufenthalt einer Person an diesem Ort.

      Was einen „gefährlichen“ bzw. „verrufenen“ Ort i. S. von § 12 Abs. 1 Nr. 2 BbgPolG kennzeichnet, ergibt sich aus der Norm selbst:168

      – Personen verabreden, bereiten vor oder verüben an diesem Ort Straftaten von erheblicher Bedeutung. Damit sind nach der Legaldefinition des § 10 Abs. 3 BbgPolG alle Verbrechen i. S. von § 12 StGB sowie alle weiteren in § 100a und § 100c Abs. 2 StPO aufgeführten Taten gemeint.

      – An diesem Ort treffen sich Personen, die gegen aufenthaltsrechtliche Strafvorschriften verstoßen.

      – An diesem Ort verbergen sich gesuchte Straftäter, d. h. Personen, die rechtskräftig verurteilt und zur Strafvollstreckung gesucht sind; nicht gemeint sind lediglich Straftatverdächtige oder flüchtige Angeklagte.

      Die Gefährlichkeit des Ortes muss sich aus konkreten tatsächlichen polizeilichen Erkenntnissen ergeben.169 Die Qualifizierung einer Örtlichkeit als gefährlich beruht auf einer „ortsbezogenen Lagebeurteilung“, aus der sich ergibt, dass sich die Kriminalitätsbelastung hier im Vergleich zu anderen Orten deutlich abhebt.170 Dabei ist gleichgültig, ob der Ort öffentlich oder im Privatbesitz ist.171 Unerheblich ist auch, ob es zum Zeitpunkt der IDF zu Delikten i. S. des § 12 Abs. 1 Nr. 2 BbgPolG kommt.172

      § 12 Abs. 1 Nr. 2 BbgPolG knüpft an den Aufenthalt der zu identifizierenden Person an dem gefährlichen Ort an. Von einem Aufenthalt spricht man bei einem zumindest zögerlichen Bewegungsablauf oder einem Bleiben bzw. Verweilen an einem bestimmten Ort; das zielgerichtete Passieren einer Örtlichkeit ohne äußere Anzeichen eines verzögerten bzw. verweilenden Ganges ist kein Aufenthalt.173 Entscheidend ist dabei der äußere Anschein und nicht der innere Wille des Betroffenen.174 Von besonderer Bedeutung bei der IDF an gefährlichen oder verrufenen Orten ist, dass § 12 Abs. 1 Nr. 2 BbgPolG eine tatbestandlich sehr weitgehende Ermächtigung enthält. Dadurch sollen polizeiliche Störer bzw. potentielle Straftäter verunsichert und i. S. eines Abschreckungseffekts dem Risiko ausgesetzt sein, jederzeit überführt zu werden.175 Die Norm enthält keine tatbestandliche Einschränkung hinsichtlich des richtigen Adressaten und ermöglicht grundsätzlich die IDF von jeder sich am gefährlichen Ort aufhaltenden Person, ob von ihr nun eine Gefahr ausgeht oder nicht.176 Eine Ausnahme dürfte aus Gründen des Übermaßverbots lediglich für „offensichtlich Unbeteiligte“, also für Personen bestehen, die erkennbar in keiner Beziehung zu den gefährlichen Verhaltensweisen des Ortes stehen können.177

       2.3 Die Identitätsfeststellung an gefährdeten Objekten

      § 12 Abs. 1 Nr. 3 BbgPolG bezweckt einen Objektschutz vor terroristischen Angriffen und Sabotage.178 Nach dieser Norm kann die Identität einer Person festgestellt werden,

      – die sich in oder in unmittelbarer Nähe

      – einer Verkehrsanlage,

      – einer Versorgungsanlage bzw. -einrichtung,

      – eines öffentlichen Verkehrsmittels,

      – eines Amtsgebäudes oder

      – eines anderen besonders gefährdeten Objekts

      – aufhält

       und

      – Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass in oder an Objekten der genannten Art Straftaten begangen werden sollen, durch die Personen oder die Objekte selbst gefährdet sind

       und

      – die Identitätsfeststellung aufgrund der Gefährdungslage oder aufgrund personenbezogener Anhaltspunkte erforderlich ist.

      Was unter „Aufhalten“ zu verstehen ist, ergibt sich aus den obigen Ausführungen zur IDF an gefährlichen Orten. Fraglich ist, was Aufhalten in unmittelbarer Nähe zu dem Objekt bedeutet. Mit einer genauen Entfernungsangabe ist dieses Tatbestandsmerkmal nicht zu bestimmen. Es kommt darauf an, ob der Betroffene imstande ist, vom Ort seines Aufenthalts auf das Objekt in kurzer Zeit einzuwirken; die „unmittelbare Nähe“ ergibt sich also aus der Lage, Größe und Eigenart des gefährdeten Objekts sowie aus der Art der befürchteten Straftat, d. h. einzelfall- und ereignisabhängig.179

      Verkehrsanlagen und Verkehrseinrichtungen sind z. B. Bahnhöfe, Bahn- und Gleisanlagen von Straßen- oder U-Bahnen usw. Zu den öffentlichen Verkehrsmitteln zählen die Verkehrsmittel des öffentlichen Personennahverkehrs wie S- und U-Bahnen und Busse. Ggf. ist jeweils die Zuständigkeit der Bundespolizei zu beachten. Versorgungsanlagen und Versorgungseinrichtungen sind Anlagen zur Versorgung der Bevölkerung mit Strom, Wasser, Gas usw., also z. B. Kraftwerke, Wasserversorgungsanlagen, Klärwerke, Gasdepots, Tankstellen, Großmarkthallen oder elektrische Oberleitungen. Amtsgebäude sind alle Gebäude, die staatliche Behörden beherbergen wie z. B. Gerichtsgebäude, Schulen oder Ministerien bzw. andere Verwaltungsgebäude. Zu den anderen besonders gefährdeten Objekten gehören z. B. Wohnungen gefährdeter Politiker oder Prominenter oder konsularische Einrichtungen.180

      Es müssen Tatsachen die Annahme rechtfertigen,181 dass in oder an den genannten Objekten Straftaten begangen werden sollen, durch die entweder die Objekte selbst unmittelbar oder Personen gefährdet sind. Es geht aber nicht um irgendwelche Straftaten, die in oder in der Nähe der Objekte begangen werden (z. B. Drogenkriminalität am Bahnhof).182 Es muss sich um Straftaten handeln, die mit der Aufgabe und Funktion des Objekts in Verbindung stehen und die Objekte der genannten Art selbst oder Personen unmittelbar gefährden.183 Nicht erforderlich für die Befugnis zur IDF nach dieser Norm ist die konkrete Gefährdung eines bestimmten Objekts.184

      Die Identitätsfeststellung muss schließlich erforderlich sein. Das kann sich zum einen aus einer Gefährdungslage ergeben, z. B. Anschlagsandrohung auf ein Amtsgebäude.185 Das kann aber zum anderen auch auf Anhaltspunkten beruhen, die sich auf die von der IDF betroffene Person beziehen, z. B. durch ein bestimmtes Verhalten, also konkrete Anhaltspunkte.186

       2.4 Die Identitätsfeststellung an Kontrollstellen

      Gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 4 BbgPolG kann die Polizei die Identität einer Person feststellen, die an einer Kontrollstelle angetroffen wird, die von der Polizei zur Verhütung bestimmter Straftaten eingerichtet wurde.187 Eine solche Kontrollstelle ist auf Auto- und Wasserstraßen sowie an Boots- und Flughäfen möglich, darf aber außer bei Gefahr im Verzug nur mit Zustimmung des Behördenleiters eingerichtet werden (§ 12 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 BbgPolG).188 Sie sollte nicht verwechselt werden mit der Kontrollstelle nach § 111 StPO, die bei der Verfolgung bestimmter Straftaten der Ergreifung flüchtiger Täter bzw. Sicherstellung von Beweismitteln dient.

       2.5 Die Identitätsfeststellung zum


Скачать книгу