Larandia - Das Bündnis der Zehn. B.L. BELL

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kam mit einigen Blättern zurück und kreuzte mir Dinge an, sagte Sachen dazu und nach einer halben Stunde entließ sie mich mit rauchendem Kopf. Ich sah auf meinen Stundenplan, betrachtete danach den Lageplan und seufzte leise.

      Geschichte war jetzt dran. Nicht unbedingt mein stärkstes Fach, aber da musste ich jedes Jahr aufs Neue durch. Ich ging ein, zwei Flure hinauf und hinunter und hielt schlussendlich vor einer weißen Klassenzimmertür, die weit offenstand. Ich hörte Stimmen aus dem Inneren, atmete tief aus und betrat dann das Klassenzimmer. Niemand nahm – Gott sei Dank – Notiz von mir. Ich ging zum Lehrer, stellte mich nochmals kurz vor, gab ihm meinen Laufzettel und er wies mir einen Platz ziemlich weit hinten im Klassenzimmer zu. Ich huschte durch die Reihen und setzte mich an einen freien Platz.

      Die erste Stunde verlief ohne Probleme, denn das meiste, das der Lehrer von sich gab, wusste ich schon. Anscheinend waren sie hier mit dem Stoff etwas hinterher. Als ich mir meinen Stundenplan ansah, klingelte es und alle Schüler erhoben sich.

      »Ich habe dich hier noch nie gesehen. Bist du neu?«, fragte mich ein schlaksiger Junge.

      Er hatte rotblonde Haare, viele Sommersprossen, trug eine dunkelblaue Hose und ein weißes Hemd. Daneben stand ein Mädchen, etwas kleiner als ich. Ihre olivfarbene Haut hatte einen wunderschönen goldenen Schimmer und die langen dunkelbraunen Haare trug sie zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammengebunden. Einige Strähnen, die sich daraus gelöst hatten, umspielten sanft ihr Gesicht. Sie trug einen roten Faltenrock und eine gepunktete Bluse. Das ganze Outfit hatte sie noch mit goldenen Kreolen aufgepeppt. Das gefiel mir sofort. Sie sah mich mit ihren kugelrunden Rehaugen zwischen den dichten schwarzen Wimpern freundlich an.

      »Hallo. Ja, heute ist mein erster Tag. Ich bin Kimberly«, meinte ich und sie drückten mich in eine Ecke im Flur.

      »Ich heiße Christian«, stellte sich der Junge vor und gab mir höflich die Hand.

      »Ich bin Emma. Wir haben jetzt eine Freistunde. Die Jungs haben Fußballtraining. Hast du Lust, zuzusehen?«, wollte Emma wissen und hakte sich sofort bei mir unter.

      Eigentlich mochte ich ja dieses Anfallen nicht, aber im Grunde war es besser, als immer so alleine dazustehen.

      »Ja, gerne.« Ich nickte und ließ mich von Emma mitschleifen.

      »Cool, wir sehen uns gleich. Hat mich gefreut, Kimberly«, rief mir Christian zu und eilte in Richtung Turnhalle.

      »Komm, holen wir uns etwas zu trinken und gehen raus. Es ist bewölkt, aber zumindest regnet es nicht mehr. Unser schlechtes schottisches Wetter scheint dir nicht sehr zu gefallen, was?«, fragte Emma grinsend und als wir in die Cafeteria kamen, holten wir uns zwei Flaschen Wasser.

      »Nicht wirklich. Ich bin das warme Wetter Kaliforniens gewohnt«, sprach ich und zuckte mit den Schultern.

      »Cool. Ich war noch nie in Amerika. Muss toll dort sein. Was machst du eigentlich hier?«, erkundigte sich Emma und wir schlenderten hinaus auf den Fußballplatz, wo wir uns auf die Tribüne setzten.

      Um uns herum saßen schon einige Zuschauer, die meisten weiblich. Doch zu meinem Glück schenkte man mir keinerlei Beachtung.

      »Meine Eltern sind bei einem Unfall ums Leben gekommen. Ich lebe jetzt hier bei meinem Onkel und bei meiner Tante«, erzählte ich und wurde wieder traurig.

      »Das tut mir sehr leid. Aber weißt du was, Kimberly? Du wirst nicht für immer traurig sein. Der Schmerz wird vergehen.« Emma drückte mir sachte die Hand und blickte dann in die Ferne.

      Ich sah sie von der Seite her an und versuchte instinktiv ihre Gedanken zu lesen. Ich ließ meinen Schutzschild fallen und konzentrierte mich ganz auf sie. Zu meiner Verwunderung bekam ich nur einzelne Wörter mit. Und die auch nur sehr verschwommen. Keine klaren Sätze oder Gedanken. Ich kniff die Augen zusammen und fokussierte mich völlig auf Emma, doch keine Chance. Das verwunderte mich, denn so etwas hatte ich noch nie erlebt – zumindest bis zum Tod meiner Eltern. Und zum ersten Mal stellte ich einem anderen Menschen diese Frage:

      »Emma, an was denkst du gerade?«

      »An vieles und auch an gar nichts. Ich denke an meine eigenen Eltern. Sie sind jetzt schon so lange tot und dennoch kommt es mir manchmal so vor, als wären sie noch da.«

      »Das tut mir sehr leid. Ja, das kenne ich. Ich muss mich erst daran gewöhnen, wie es ist, allein zu sein«, entgegnete ich und biss mir auf die Lippen.

      »Du bist nicht allein. Nicht solange du Freunde hast, die für dich da sind. Oh, sieh mal, da kommen unsere Jungs!« Emma deutete auf das Spielfeld.

      Ich blickte hinaus und erkannte einige Gestalten, die in lilafarbenen Leibchen herumliefen und einige, die keine trugen. Sie wärmten sich auf dem Rasen auf und ich schaute ein wenig gelangweilt in die Runde, als mir urplötzlich eine Person auffiel. Diese war groß – fast einen Meter neunzig. Schlank, sportlich und trainiert. Es war aber nicht so, dass es irgendwie protzig wirkte. Er hatte dunkelbraune Haare und kickte den Ball vor sich her, spielte Pässe und schoss Tore wie ein Profi aus der Nationalmannschaft. Ich konnte meinen Blick nicht von ihm abwenden. Nicht nur ich. Auch viele andere Mädchen hingen an der Statur des jungen Mannes.

      »Wer ist das?«, fragte ich und nickte in seine Richtung.

      »Wer?« Emma trank einen Schluck Wasser.

      »Der da, der so gut spielt und so groß ist, dass er fast alle anderen überragt«, meinte ich etwas energischer.

      »Ach das! Klar, dass du fragst. Das ist Oliver York. Er ist Kapitän der Mannschaft. Ein ziemlich guter Schüler und der Sohn von Dr. Maria York. Sie ist Oberärztin bei uns im Krankenhaus«, erzählte Emma und ich verfolgte Olivers Bewegungen.

      Sie waren so grazil und elegant. Ich nahm wahr, dass sich hinter uns noch einige Mädchen hinsetzten und sie schwärmten von Olivers Aussehen und seinem sportlichen Können. Ich konnte auch ihre Gedanken hören. Es war jedoch hauptsächlich langweiliges Gerede über Musik, angesagte Klamotten, Sex, ein klein wenig Geläster, aber sonst nichts Wichtiges.

      »Was meint ihr, wen wird Oliver dieses Jahr zum Gründerball begleiten?«, wollte eine ziemlich hohe Stimme wissen und aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, dass sie von einer jungen Frau kam, die groß und gertenschlank war. Ihr langes blondes Haar fiel ihr bis auf die Hüften hinab. Sie war ziemlich stark geschminkt, jedoch hübsch.

      »Frag nicht so blöd, wahrscheinlich dich, Lucia. Jeder Typ will doch mit dir ausgehen«, antwortete eine andere gelangweilt und die meisten Mädchen kicherten.

      »Ach, halt die Klappe! Seltsamerweise hat er letztes Jahr alle abgelehnt, die ihn gefragt haben, und auch sonst hatte er niemanden gefragt. Dieses Jahr muss es klappen.« Lucia warf ihre langen Haare auf den Rücken und ich fuhr wieder meinen Schutzschild hoch, da ich das dumme und hirnlose Gerede nicht mehr hören wollte.

      Ich wandte meinen Blick erneut dem Spielfeld zu und – ob es Zufall war oder nicht – in diesem Moment trafen sich unsere Blicke. Oliver stand nah an der Bande und sah mir direkt in die Augen. Sekundenlang. Seine Augen waren eisblau, jedoch keineswegs kalt, sondern warm und freundlich. Sein Blick schien mich zu röntgen, als würde er mir bis in die Seele schauen wollen.

      »Er sieht zu uns!«

      »Oliver sieht zu mir!«

      »Nein, er sieht zu mir!«, hörte ich die Mädchen hinter uns flüstern und ich rollte nur mit den Augen, schaute nochmals zu ihm, doch er war schon aus meinem Sichtfeld verschwunden.

      Nach dem Training kam Christian völlig verschwitzt zu uns gelaufen und grinste breit.

      »Und, hattest du Spaß?«, fragte er mich und schlenderte mit mir und Emma zurück in Richtung Schulgebäude.

      »Mehr oder weniger. Ihr spielt sehr gut«, sagte ich und kramte nach meinem Stundenplan.

      »Hattest also nicht nur Augen für unseren Kapitän?«

      »Nein, Quatsch. Ich habe jetzt Mathe«, wiegelte ich ab und stopfte das Papier wieder in meine Tasche.

      »Wir auch. Na los, gehen wir, sonst kommen wir noch


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