Larandia - Das Bündnis der Zehn. B.L. BELL

Larandia - Das Bündnis der Zehn - B.L. BELL


Скачать книгу
in Amerika Auto fahren durftest. Wie du weißt, geht das hier leider nicht. Jedoch haben wir für dich ein neues Fahrrad gekauft, mit dem du dich fortbewegen kannst. Natürlich ist es auch möglich zu Fuß zu gehen. Das College ist nur fünf Minuten mit dem Fahrrad entfernt. Sobald du achtzehn bist, kaufen wir dir ein eigenes Auto – versprochen«, räusperte sich Archie und zwinkerte mir im Rückspiegel zu.

      »Das ist lieb von euch, danke«, antwortete ich und bemühte mich krampfhaft, zu lächeln.

      Wir wechselten noch ein paar Sätze über das ständige Regenwetter und über das, was sich hier in der kleinen Stadt so alles verändert hatte. Das war es dann auch schon. Obwohl wir in einer Kleinstadt waren, erschien alles so ländlich zu sein. So grün. So unverbraucht. Ich kam mir vor wie in einem Rosamunde Pilcher-Film. Wie in einem für mich völlig falschen Film.

      Kurz darauf kamen wir auch schon an Mums Elternhaus an und, nachdem ich ausgestiegen war, musste ich schlucken. Es war ein typisch schottisches Haus aus grauem Backstein mit einem Schornstein und mehreren Erkerfenstern. Hoch und relativ eng. Die Tür war schmal so wie die Fenster. Alles wirkte sehr gedrungen. Was mir allerdings auf Anhieb gefiel, war, dass hinter dem Haus die Fassade des Leuchtturms in der abendlichen Dämmerung aufragte.

      Das Haus stand in der Harbour Road, in der Nähe einer Tankstelle. Auf dem kleinen Vorplatz, welcher aus Schottersteinen bestand, parkte Archie den Wagen. Wir brachten meine schweren Koffer ins Haus, bestehend aus vier Schlafzimmern und drei Bädern. Ich stieg die schmale, enge Treppe hinauf. Überall im Haus hatte man Teppichboden verlegt. Anscheinend war es hier so üblich. Bei uns in L.A. hatte man echten Holzboden oder Fließen aus Marmor. Aber das war Vergangenheit. Ich stieg noch eine weitere Treppe hinauf, bis in den zweiten Stock. Hier oben gab es nur zwei Zimmer und ein Badezimmer.

      »Hier oben haben wir dein Zimmer hergerichtet und nebenan ist unsere kleine Bibliothek mit einem Piano, falls du spielen kannst oder es üben möchtest. Ich weiß ja nicht, was dir so gefällt, Kimberly«, erklärte mir Philippa zaghaft und ging vor mir geradeaus in ein Zimmer mit einem großen Erkerfenster.

      Ich hatte direkten Blick auf den Leuchtturm und zum ersten Mal lächelte ich. Ein großes, breites Bett mit samt-grünen Bettlaken stand in der Ecke des Raumes. Direkt gegenüber befanden sich ein weißer Holzkleiderschrank und eine weiße Kommode. Die Decken waren schräg. Auch hier im Zimmer gab es einen weißen weichen Teppichboden. Es wirkte sehr gemütlich. Neben der Tür stand ein Schreibtisch mit einem Laptop darauf.

      »Ich dachte mir, dass dieses Zimmer für dich das Richtige wäre. Gleich nebenan ist dein eigenes Badezimmer. Dein Onkel und ich sind im ersten Stock. Im Grunde hast du das gesamte Stockwerk für dich. Das, so finde ich zumindest, ist für eine junge Frau in deinem Alter das Wichtigste: Privatsphäre haben«, meinte Philippa und stand etwas verlassen neben der Tür.

      »Danke, Tante. Es ist wirklich schön hier«, presste ich heraus und kam mir so dumm und unbeholfen dabei vor.

      Ich war einfach noch nicht in der Lage, jetzt irgendwelchen überschwänglichen Gefühlen nachzugehen. Ich versuchte momentan schlichtweg, jeden Tag so gut wie möglich zu überstehen. Durchzustehen, ohne zusammenzubrechen. Mehr konnte man nicht von mir erwarten. Zumindest sah ich das so. Allein der Start morgen in einer neuen Schule würde schon hart genug werden.

      Ich schlief nicht besonders gut in dieser Nacht. Ich hatte viel geweint, war lange wach gelegen und mich störte außerdem ein Unwetter. Es rüttelte am Dach und an den Fenstern. Blitze zuckten ständig in mein Zimmer hinein und ich verkroch mich tief unter meine Decke. Immer wieder hoffte ich, dass dies hier alles nur ein Traum wäre und ich bald in meinem großen Bett zuhause in Kalifornien erwachen und meine Eltern mich zum Frühstück rufen würden.

      Als ich am nächsten Morgen aus dem Fenster blickte, sah alles noch gleich aus. Trüb, grau und verregnet. Es nieselte und der Himmel hing voller Wolken. Ich konnte aus der Ferne den Leuchtturm sehen und die Wellen schlugen dagegen. Einige Seemöwen kämpften gegen den leichten Sturm an. Ich setzte mich verschlafen auf, streckte mich und schlurfte dann in mein Badezimmer. Ich stellte mich unter die Dusche, drehte den Hahn volle Pulle auf und ließ mir das warme Wasser lange über den Rücken laufen. Ich benutzte das neue Shampoo mit Vanille. Es roch herrlich. Nach dem Duschen durchsuchte ich meinen Kleiderschrank nach etwas Brauchbarem. Ich entschied mich für eine dunkelblaue enge Jeans und eine schwarze Bluse. Meine rotbraunen Haare föhnte ich trocken und band sie mir zu einem langen Zopf. So gestylt ging ich mit leicht zittrigen Beinen die enge und steile Treppe hinunter bis in die Küche. Philippa stand am Herd, briet frisches Rührei und stellte mir eine Tasse Kaffee mit Toast auf meinen Platz. Von meinem Onkel war weit und breit nichts zu sehen.

      Das Frühstück verlief relativ still, was mir nur recht war. Ich war in der Früh nicht unbedingt eine Quasselstrippe und momentan hasste ich es ohnehin, zu reden. Ich aß mein Frühstück, trank den Kaffeebecher leer, griff nach Tasche, Handy und Schlüssel.

      »Dein Onkel und ich arbeiten sehr viel am Tag. Unser Institut liegt nicht weit von hier. In der Nähe von Old Wick Castle. Unsere Nummer hast du. Wenn du etwas brauchst, melde dich jederzeit«, meinte Philippa. Sie bemühte sich, aufmunternd zu wirken, und zwinkerte mir zu.

      »Alles gut, danke. Ich bin es gewohnt, allein zu sein. Wir sehen uns heute Abend«, sagte ich mit fester Stimme und schaute ihr kurz nach, während sie das Haus verließ.

      Nachdem sie gegangen war, räumte ich den Frühstückstisch ab und sah mich noch ein wenig in der Küche und im Wohnzimmer um. Die Küche war in einem strahlenden Weiß gehalten. Getäfelte Küchenschränke, ein weißer hoher Kühlschrank und einige Bilder. Auf manchen waren meine Eltern und ich mit drauf. Immer wenn ich meine Eltern entdeckte, zerbrach mein Herz noch ein Stück mehr. Das würde wahrscheinlich niemals aufhören. Zerbrechen, erneuern, zerbrechen. Da könnte ich wahrscheinlich noch hunderte Male zum Psychiater rennen. Etwas ändern an der Situation, meine Eltern ins Leben zurückholen, das konnte niemand. Sie blieben tot. Für immer.

      Nebenan befand sich das behagliche Wohnzimmer. Es war grün getäfelt und in der Mitte der Wand gab es sogar einen Kamin. Davor standen zwei hohe Lehnstühle, dahinter ein breites Sofa mit vielen Kissen und einem Couchtisch aus Holz. Den Boden hatte man – oh Wunder – mit Teppich ausgelegt. An beiden Wänden waren hohe schmale Regale mit unzähligen Büchern. Ein Fernseher rundete das Ambiente ab. Ich lächelte, während ich aus dem Fenster blickte. Es hatte aufgehört, zu nieseln, und somit zog ich mir meinen grünen Mantel über, schlüpfte in meine Boots und ging nach draußen.

      Ich kannte mich in meiner neuen Heimat Wick überhaupt nicht aus, jedoch war der Weg zur Schule nicht schwer zu finden. Keine fünf Minuten später ging ich am Bignold Park vorbei und konnte vor mir das imposante Gebäude erkennen, zu dem sich schon zahlreiche Autos, Fahrradfahrer und Fußgänger bewegten. Das College hatte einen recht großen Vorplatz, wo sich bereits kleine Grüppchen von Menschen zusammenstellten und quatschten. Ich versuchte, den Kopf gesenkt zu halten, um bloß keine neugierigen Blicke auf mich zu ziehen. Schnell lief ich zum Haupteingang und stand Sekunden später in einer hellerleuchteten Halle. Ich bemühte mich, meinen Schutzschild hochzufahren, um von niemandem per Zufall die Gedanken lesen zu müssen. Ich wollte jetzt kein blödes Gequatsche oder Getratsche hören. Da fiel mir ein, dass ich gestern das Gerede von meinem Onkel und meiner Tante nicht gehört hatte. Ich konnte mich zumindest nicht daran erinnern, etwas vernommen zu haben.

      Ich suchte den Weg zum Sekretariat und huschte durch Schüler hindurch, immer den Kopf gesenkt, um bloß nicht aufzufallen. Das Sekretariat lag am anderen Ende des Hauptgebäudes. Schnell eilte ich dort hinein und stellte mich höflich an den Tresen. Eine etwas rundliche Frau mit knallrot gefärbten Haaren schaute mich durch ihre dicken Brillengläser an.

      »Guten Morgen, ich bin Kimberly Berry. Ich bin neu hier«, stellte ich mich kurz vor, nachdem ich ihre Gedanken gelesen hatte, dass sie es hasste, wenn man nicht am Morgen freundlich grüßen konnte und sich ordentlich vorstellte.

      Sie sah mich verblüfft an und lächelte dann freundlich:

      »Einen wunderschönen guten Morgen. Ich hoffe, du hast gut hergefunden. Hier, das sind dein Stundenplan und eine Übersichtskarte unserer Schule. Lass uns kurz den Stundenplan durchgehen und dann kreuze ich dir


Скачать книгу