Larandia - Das Bündnis der Zehn. B.L. BELL

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ohne dass ich etwas dagegen tun konnte. Eine Hand legte sich auf meine Schulter, welche sich dann um meinen ganzen Körper schloss, und versuchte, mich auf die Beine zu stellen. Es war Francesca, aber ich nahm sie gar nicht mehr wahr. Ich nahm überhaupt nichts mehr wahr um mich herum. Ich versuchte, mich mit zitternden Beinen zu erheben, klappte jedoch immer wieder ein, wie ein Klappmesser. Ich spürte Stiche. Tiefe, schneidende Stiche in meinem Herzen. Ich richtete mich erneut auf und bemühte mich, vorwärtszugehen. Immer wieder strauchelte ich und je mehr ich verstand, was da gerade geschehen war, desto häufiger fiel ich hin.

      Als ich einen weiteren Fuß nach vorn setzte, stolperte ich, stürzte in den Sand und blieb dort liegen. Ich drehte mich auf die Seite, zog die Beine an und um mich herum wurde es plötzlich schwarz.

      »Tod ..., der Tod ..., er hat sie eingeholt ... Mama ... Papa«, flüsterte ich mit einer mir völlig fremden Stimme.

      Ich hielt mich mit aller Kraft an dem tauben Gefühl fest, das mich davor bewahren sollte, zu begreifen, was ich einfach nicht begreifen wollte. Die Dunkelheit umfing mich, hielt mich und zog mich in einen tiefen Strudel.

      Das Leben, die Liebe – alles war vorbei.

      Kapitel 3

       Alles auf Anfang

      Ich saß auf dem Rücksitz des Streifenwagens der Polizei und blickte auf die mir plötzlich völlig fremde Welt und Umgebung hinaus. Ich wurde nachhause gebracht und dort gab mir dann ein anwesender Arzt ein sehr starkes Beruhigungsmittel, von welchem ich fast zwei Tage durchschlief. Als ich erwachte, trank ich einige Schlucke Wasser, nahm die nächste Tablette und schlief einfach weiter. So gingen die ersten zwei Wochen vorüber, bis ich zu schwach war, um aufzustehen. Meine Nanny befürchtete, ich könnte tablettenabhängig werden, woraufhin ich drei Wochen lang in einer Klinik in Malibu Beach lag, um mich dort physisch wie psychisch wieder zu stabilisieren.

      Die Farbe in meinem Leben war verschwunden. Alles war für mich schwarz und weiß. Es gab nicht mal mehr die Farbe Grau. Ich fühlte nichts mehr, nur noch innere Leere, Dunkelheit und ein tiefes Nichts.

      Mir hatte es die Luft zum Atmen genommen, es wurde mir der Boden unter den Füßen weggerissen. Ich schottete mich von der Außenwelt ab und wollte auch niemanden mehr an mich heranlassen. Ich war in Trauer – in tiefer Trauer und das war meine Art und Weise, damit fertig zu werden. Zu meiner großen Bestürzung riefen mich meine Freunde und sogar Justin kein einziges Mal an. Seitdem ich mich von allen zurückgezogen hatte und nicht mehr der hippe, lustige und fröhliche Sonnenschein war, distanzierten sie sich immer mehr. Sollten das etwa die Freunde gewesen sein, welchen ich mein ganzes Leben lang vertraut und von denen ich gedacht hatte, man würde sich in guten wie in schlechten Zeiten beistehen?

      In der Zwischenzeit hatte meine Nanny mit meinen letzten verbleibenden Verwandten in Europa telefoniert. Ich war noch nicht volljährig und da meine Nanny nicht das Sorgerecht für mich hatte, musste ich dorthin auswandern oder, um es mit meinen Worten zu sagen, ich wurde dorthin abgeschoben. Nicht, dass ich etwas gegen Europa hatte, aber ich war die Sonne und das turbulente, hektische Leben in L.A. nun mal gewöhnt.

      Mein Onkel Archibald Harrison und meine Tante Philippa lebten in der kleinen schottischen Stadt Wick. Die Hafenstadt lag an der nordöstlichen Küste von Schottland, etwa 410 km nördlich von Edinburgh und rund 1060 km nördlich von London. Das 7155 Einwohner zählende Wick war die Hauptstadt der Grafschaft Caithness. Allein die Zahl der Einwohner schockierte mich. So viele Schüler hatte allein meine Highschool gehabt. In diesem Ort kannte jeder jeden. Egal, wohin man kam, immer wurde man angeglotzt und wenn du ein neues Kleid anhattest, wusste es am nächsten Tag die ganze Stadt. Es war mir einfach zu dörflich. Zu wenig Stadt. Zu wenig Anonymität.

      Früher hatte ich Onkel und Tante öfter in den Ferien mit meinen Eltern zusammen besucht, denn meine Mum war die Schwester meines Onkels Archie. Meine Mutter stammte ebenfalls ursprünglich aus Wick. Das Haus, in dem mein Onkel wohnte, war deren Elternhaus. Das war eines der wenigen Dinge, worauf ich mich wirklich freute. Somit hatte ich zumindest ein etwas aus dem Leben meiner Mutter zurückbekommen. Aber das war auch schon alles.

      Der Flug von Los Angeles nach London dauerte zehn Stunden. Danach ging es nochmal eineinhalb Stunden hinauf nach Aberdeen und weitere fünf Stunden mit einem Flughafenshuttle nach Wick, am äußersten Rand des Nirgendwos. Die kleine Weltreise machte mir nichts aus, denn so konnte ich ein wenig für mich sein und über vieles nachdenken. Auf die Ankunft freute ich mich nicht so wirklich. Ich wusste einfach nicht, wie es werden würde. Außerdem hasste ich Überraschungen.

      Archie und Philippa hatten es sehr gut aufgenommen, dass sie von nun an auf ein siebzehnjähriges Mädchen aufpassen sollten. Sie hatten selbst keine Kinder – so viel ich wusste – und sich immer welche gewünscht. Woran es lag? Keine Ahnung. Jedenfalls versprachen sie mir bei den unzähligen Telefonaten, die wir seitdem geführt hatten, dieses und jenes. Irgendwann hatte ich aufgehört zuzuhören. Sie führten also meist einen Monolog, wenn wir uns unterhielten. Ich wusste einfach nicht, über was ich mit ihnen reden sollte. Hoffentlich waren es nicht so alteingesessene Spießer, die zigtausend Regeln hatten, an die ich mich zu halten hätte.

      Was ich noch mehr vermissen würde, war das Autofahren. Ich fuhr seit einem Jahr meinen eigenen Wagen, was mir enorme Freiheiten gab. Hier in Schottland durfte man erst mit achtzehn ans Steuer und das auch noch mit Linksverkehr. Das hieß, ich musste noch einmal in die Fahrschule. Zumindest ein paar Stunden zum Umgewöhnen.

      Mit all diesen Fakten sank meine Stimmung immer mehr und mehr auf den Nullpunkt und je näher ich der Hafenstadt Wick kam, desto tiefer drückte ich mich ausgelaugt, schlecht gelaunt und müde in meinen Sitz am Fenster.

      Als ich am Abend ankam, regnete es natürlich wie aus Eimern. Mit wackeligen Beinen stieg ich aus dem kleinen Bus, zog mir meine Kapuze tief ins Gesicht und begab mich mit meinem Koffer auf den kleinen Bahnhofsvorplatz. Ich blickte mich suchend nach zwei mir bekannten Gestalten um. Aaus dem Augenwinkel sah ich einen dunkelgrauen Range Rover vorfahren. Die Lichter blendeten mich und die Scheibenwischer schlugen wild hin und her. Die Luft roch nach Regen und frischem Gras. Ein leichter Wind fegte über den Bahnhofsvorplatz. Es war eine friedliche Stille und das Gerede anderer Passanten um mich herum blendete ich einfach aus. Ihre Gedanken hörte ich ebenfalls nicht mehr, seit mich mein Schicksalsschlag getroffen hatte. Vielleicht war dadurch endlich der Spuk vorbei und ich konnte diese Behinderung abhaken.

      Ich sammelte nun meine ganze Kraft und Konzentration, um die Ankunft meiner neuen Zieheltern so gut wie möglich zu überstehen. Als der Wagen vor mir hielt, atmete ich tief ein und aus. Eine hochgewachsene Frau mit blondem Haar, das zu einem strengen Knoten im Nacken zusammengebunden war, und ein etwas korpulenter Mann mit silbergrauem Haar und wachsamen blauen Augen stiegen aus und kamen durch den Regen unter das Bahnhofsvordach auf mich zu. Auch in ihren Gesichtern konnte ich Anspannung lesen, doch sie sahen mich freundlich an.

      »Schön dich zu sehen, Kimberly«, sagte Philippa lächelnd, während Onkel Archie an meine Seite kam und mir den Arm um die Schulter legte.

      »Wir freuen uns sehr, dass du endlich bei uns bist. Willkommen in Wick, welches sich gerade heute nicht von seiner schönsten Seite präsentiert«, meinte Onkel Archie und drückte mich daraufhin sachte, aber herzlich an sich.

      Ich presste die Lippen aufeinander, um nicht zu weinen. Ich hatte schon zu viele Tränen in den letzten Wochen vergossen, doch jetzt wollte ich die Zeit der Trauer endlich hinter mir lassen. Zumindest wollte ich es versuchen.

      »Ich freue mich auch, bei euch zu sein«, stammelte ich und sah verlegen zu Boden.

      »Komm rasch ins Auto. Wir können uns zuhause weiter unterhalten, wenn du das möchtest«, sagte Philippa und wir hievten gemeinsam meine drei schweren Koffer ins Auto.

      Ich setzte mich nach hinten, legte den Gurt an und lehnte mich zurück. Wir drei fuhren schweigend vom Bahnhof Richtung Küstenstreifen. Ich blickte aus dem Fenster und betrachtete die kleinen Lichter der Stadt. Es waren noch einige Menschen auf den Straßen unterwegs. Alle mit Regenmänteln in quietschgelb oder mit


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