Die straf- und bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit der Diensteanbieter sozialer Netzwerke im Internet. Timo Handel
(§ 3 TMG)?
Aber selbst, wenn das deutsche Strafrecht gem. §§ 3, 9 StGB und das deutsche Ordnungswidrigkeitenrecht gem. §§ 5, 7 OWiG grundsätzlich auf den ausländischen Diensteanbieter eines sozialen Netzwerks anwendbar sind, könnte das Herkunftslandprinzip des § 3 TMG der Anwendung entgegenstehen. Wegen der grundsätzlich grenzüberschreitenden und weltweiten Nutzbarkeit von Telemedien, dient das Herkunftslandprinzip dazu, „das auf Telemedien anzuwendende Recht auf eine einzig anwendbare Rechtsordnung zu kanalisieren und so Rechtsunsicherheiten zu begegnen“, indem die Diensteanbieter ihr Telemedium grundsätzlich nur nach dem am Ort ihrer Herkunft geltenden Recht ausrichten müssen.272
I. Anwendbarkeit des Herkunftslandprinzips auf das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
Teilweise wird vertreten, dass das Herkunftslandprinzip auf das Strafrecht keine Anwendung findet, da die ECRL ausweislich ihres Erwägungsgrunds 8 den Bereich des Strafrechts nicht als solchen harmonisieren soll.273
Dem ist jedoch entgegenzutreten. Eine Harmonisierung des Strafrechts findet mit der ECRL und dem Herkunftslandprinzip nicht statt. Es werden keine Straftatbestände einander angeglichen oder Straftatbestände auf EU-Ebene geschaffen. Vielmehr erfolgt mit dem Herkunftslandprinzip allein eine Bestimmung über die auf den jeweiligen Diensteanbieter anwendbare Rechtsordnung. Zudem spricht für eine grundsätzliche Anwendung des Herkunftslandprinzips auch auf den Bereich des Strafrechts, dass sich die Ausnahmen des § 3 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 lit. a, aa TMG und Art. 3 Abs. 4 lit. a Ziff. i ECRL unter anderem ausdrücklich auf die Verfolgung von Straftaten beziehen.274 Sinn und Zweck des Herkunftslandprinzips sprechen ebenfalls dafür. Dieses soll gerade eine Einschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs von Telemedien in der Europäischen Union verhindern (vgl. Wortlaut des § 3 Abs. 2 TMG: „Der freie Dienstleistungsverkehr von Telemedien [...] wird [...] nicht eingeschränkt“). Insoweit muss es auf alle Rechtsgebiete Anwendung finden, soweit diese auf die Erbringung von Telemedien Auswirkungen haben und damit geeignet sind, zu einer Einschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs zu führen.275 Zu einer solchen Einschränkung kann auch das Ordnungswidrigkeitenrecht führen.
Im Ergebnis ist deshalb von einer Anwendbarkeit des Herkunftslandprinzips auf das Ordnungswidrigkeitenrecht und Strafrecht auszugehen.
II. Voraussetzungen des Herkunftslandprinzips
§ 3 Abs. 2 TMG setzt das in der ECRL und AVMD-RL geregelte und vorausgesetzte Herkunftslandprinzip in deutsches Recht um. Die Regelung schreibt vor, dass der freie Dienstleistungsverkehr von Telemedien, die innerhalb des Geltungsbereichs der Richtlinie 2000/31/EG (ECRL) und der Richtlinie 2010/13/EU (AVMD-RL) in Deutschland von Diensteanbietern, die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen sind, geschäftsmäßig angeboten oder verbreitet werden, vorbehaltlich § 3 Abs. 5 und 6 TMG nicht eingeschränkt wird.
Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass es Diensteanbietern nicht zumutbar ist, die Zulässigkeit ihres Angebots nach den „Rechtsordnungen aller anderen Mitgliedstaaten“ der EU zu prüfen.276
1. Diensteanbieter
Bei den Diensteanbietern sozialer Netzwerke handelt es sich um Diensteanbieter von Telemedien i.S.d. TMG und damit des Herkunftslandprinzips.277
2. Niederlassung des Diensteanbieters in einem anderen Mitgliedstaat
Der Diensteanbieter muss in einem anderen Mitgliedstaat als Deutschland niedergelassen sein. Mitgliedstaat ist jeder Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) und jeder andere Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, für den die AVMD-RL gilt (§ 2 Satz 1 Nr. 15 TMG). Für Diensteanbieter, die in einem Drittstaat, also einem Staat, der nicht Mitgliedstaat im vorgenannten Sinne ist (§ 2 Satz 1 Nr. 16 TMG), niedergelassen sind, gilt das Herkunftslandprinzip hingegen nicht.278 Relevanz hat dies für Diensteanbieter, die z.B. als in den USA, Russland oder China niedergelassen gelten.
a. Das Sitzland als Ort der Niederlassung
Der Ort der Niederlassung eines Diensteanbieters ergibt sich aus dessen Sitzland (vgl. § 2a Abs. 1 TMG).279 Dieses bestimmt sich danach, wo „sich der Mittelpunkt [der] Tätigkeiten“ des Diensteanbieter „im Hinblick auf ein bestimmtes Telemedienangebot befindet“.280 Der Standort des Servers ist zur Bestimmung dieses Ortes unerheblich (vgl. Art. 2 lit. c ECRL); ebenso rein formale Kriterien, wie z.B. ein Briefkasten.281 Ausschlaggebend ist vielmehr der Ort der tatsächlichen Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit, also der Ort, an dem die „Steuerung der Tätigkeiten des Diensteanbieters angesiedelt ist“.282
Für den Fall, dass mehrere Orte in verschiedenen Staaten in Betracht kommen, ergibt sich aus Erwägungsgrund 19 Satz 5 der ECRL, dass für den Ort der Niederlassung maßgeblich ist, an welchem Ort sich der Mittelpunkt der Tätigkeiten des Anbieters in Bezug auf den Dienst befindet.283 Das ist regelmäßig der Ort, an dem der Diensteanbieter seine Tätigkeit bzw. den Dienst schwerpunktmäßig steuert.284 Ein Indiz hierfür kann sein, dass eine Niederlassung länger besteht als die andere.285
Im Rahmen eines Konzerns ist allein auf die Gesellschaft des Diensteanbieters abzustellen, sodass eine Zurechnung dieser Eigenschaft von einer Tochtergesellschaft, die das Telemedium tatsächlich anbietet oder verbreitet, an die Muttergesellschaft in einem Mitgliedstaat mit einer strengeren Rechtsordnung ausscheidet.286
Sofern ein ausländischer Diensteanbieter, der neben seinem Hauptsitz in einem Drittstaat auch einen Sitz in einem Mitgliedstaat der EU hat, kann sich aus einer Bestimmung des Mittelpunkts der Tätigkeiten in Bezug auf den Dienst ergeben, dass der Dienst als von dem Drittstaat aus angeboten und verbreitet gilt, sodass eine Anwendung des Herkunftslandprinzips ausscheidet.287
b. Das Sitzland von Videosharingplattform-Anbietern
Ausdifferenzierte Sonderregelungen zur Bestimmung des Sitzlandes sehen die Absätze 4 bis 7 des § 2a TMG, die Art. 28a Abs. 2 bis 4 AVMD-RL in deutsches Recht umsetzen, für Videosharingplattform-Anbieter vor.288 Entsprechende Regelungen in Bezug auf das NetzDG sollen mit § 3d Abs. 2 und 3 NetzDG-E geschaffen werden.289
Ist ein Videosharingplattform-Anbieter – nach den gerade dargestellten Voraussetzungen des § 2a Abs. 1 TMG (siehe oben a.) – nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats niedergelassen, so gilt derjenige Mitgliedstaat als Sitzland, in dessen Hoheitsgebiet ein Mutterunternehmen oder ein Tochterunternehmen des Videosharingplattform-Anbieters (§ 2a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 TMG) oder ein anderes Unternehmen einer Gruppe, von welcher der Videosharingplattform-Anbieter ein Teil ist (§ 2a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 TMG), niedergelassen ist.
Sofern mehrere der vorgenannten Unternehmen in Bezug auf den Videosharingplattform-Anbieter existieren und in verschiedenen Mitgliedstaaten niedergelassen sind, bestimmt § 2a Abs. 5 TMG eine Rangfolge der Unternehmen zur Bestimmung des Orts der Niederlassung des Diensteanbieters. Dieser bestimmt sich primär nach dem Ort der Niederlassung des Mutterunternehmens (§ 2a Abs. 5 Nr. 1 TMG). Ein Mutterunternehmen i.S.d. Regelung ist ein Unternehmen, das ein oder mehrere Tochterunternehmen kontrolliert (§ 2 Satz 1 Nr. 17 TMG). Die Kontrolle kann unmittelbar und mittelbar erfolgen, wie die Legaldefinition des Tochterunternehmens in § 2 Satz 1 Nr. 18 TMG verdeutlicht.
Ist das Mutterunternehmen nicht in einem Mitgliedstaat niedergelassen, ist auf den Mitgliedstaat abzustellen, in dem das Tochterunternehmen niedergelassen ist (§ 2a Abs. 5 Nr. 2 TMG). Tochterunternehmen ist ein Unternehmen, das unmittelbar oder mittelbar von einem Mutterunternehmen kontrolliert wird (§ 2 Satz 1 Nr. 18 TMG). Wenn es mehrere solche Tochterunternehmen gibt und jedes dieser Tochterunternehmen in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist, gilt der Videosharingplattform-Anbieter in dem Mitgliedstaat niedergelassen, in dem eines der Tochterunternehmen zuerst seine Tätigkeit aufgenommen