Die straf- und bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit der Diensteanbieter sozialer Netzwerke im Internet. Timo Handel
IV. Das Elektronischer-Geschäftsverkehr-Vereinheitlichungsgesetz (ElGVG)
Nach einer Verständigung zwischen dem Bund und den Bundesländern wurden schließlich im Jahr 2007 mit dem Gesetz zur Vereinheitlichung von Vorschriften über bestimmte elektronische Informations- und Kommunikationsdienste (Elektronischer-Geschäftsverkehr-Vereinheitlichungsgesetz – ElGVG) das TDG und der MDStV durch das Telemediengesetz (TMG) ersetzt.355 Das TMG bezieht sich nun auf „Telemedien“, die eine Mischung aus Telediensten i.S.d. TDG und Mediendiensten i.S.d. MDStV darstellen.356 Die Verantwortlichkeitsregelungen finden sich in §§ 7ff. TMG und die Privilegierung für Hostprovider in § 10 TMG. Da das TMG auf den Regelungen der ECRL beruht und diese in deutsches Recht umsetzt, ist es unter Berücksichtigung der Richtlinie und ihrer Erwägungsgründe auszulegen.357
V. Zweites und drittes Gesetz zur Änderung des Telemediengesetzes
Mit dem Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes der Bundesregierung vom 18.11.2015 sollte neben einer Anpassung der Verantwortlichkeitsregelungen an die Bedürfnisse von WLAN358-Betreibern auch eine Anpassung des § 10 TMG erfolgen, da „mit Hilfe des Internets leichter und in größerem Ausmaß Rechte des geistigen Eigentums verletzt werden können“.359 Geplant war die Einführung von Voraussetzungen, unter denen Hostprovidern eine Berufung auf das Haftungsprivileg verwehrt bleibt, wenn „deren Geschäftsmodell im Wesentlichen auf“ solchen Rechtsverletzungen aufbaut.360
Der Entwurf sah hierfür vor, dass der bisherige Wortlaut des § 10 TMG zu § 10 Abs. 1 TMG-E und ein neuer Abs. 2 angefügt wird:361
„(2) Die Kenntnis von Tatsachen oder Umständen nach Absatz 1, aus denen die rechtswidrige Handlung oder die Information offensichtlich wird, wird vermutet, wenn es sich bei dem angebotenen Dienst um einen besonders gefahrgeneigten Dienst handelt. Ein besonders gefahrgeneigter Dienst liegt in der Regel dann vor, wenn
1. die Speicherung oder Verwendung der weit überwiegenden Zahl der gespeicherten Informationen rechtswidrig erfolgt,
2. der Diensteanbieter durch eigene Maßnahmen vorsätzlich die Gefahr einer rechtsverletzenden Nutzung fördert,
3. in vom Diensteanbieter veranlassten Werbeauftritten mit der Nichtverfolgbarkeit bei Rechtsverstößen geworben wird oder
4. keine Möglichkeit besteht, rechtswidrige Inhalte durch den Berechtigten entfernen zu lassen.“
Nach Stellungnahme des Bundesrates, wonach „die Vermutungsregelung in § 10 Abs. 2 des Regierungsentwurfs“ aufgrund „zu erwartenden negativen Auswirkungen auf Medienvielfalt und Meinungsfreiheit abzulehnen“ ist, hat die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zugesagt, das Anliegen eingehend zu prüfen.362 Im weiteren Gesetzgebungsverfahren wurde die Änderung des § 10 TMG aus der Beschlussvorlage des Regierungsentwurfs entfernt und die Norm in der Folge nicht mehr geändert.363
Eine Ergänzung der Haftungsregelungen erfolgte jedoch in § 8 TMG. Der neu angefügte Abs. 3 regelt, dass § 8 Abs. 1 und 2 TMG auch für Diensteanbieter nach § 8 Abs. 1 TMG gelten, die ihren Nutzern einen Internetzugang über ein drahtloses lokales Netzwerk zur Verfügung stellen. Ziel dieser Änderung und der mit dem dritten Gesetz zur Änderung des Telemediengesetzes vorgenommenen weiteren Änderungen der §§ 7 und 8 TMG ist die Schaffung von mehr Rechtssicherheit für die Betreiber von öffentlichen WLAN-Hotspots.364
342 BT-Drucks. 13/7385, S. 1. 343 Vgl. die gemeinsame Erklärung von Bund und Ländern vom 18.12.2006, abgedruckt bei Engel-Flechsig, ZUM 1997, 231. 344 Der Bund war der Ansicht, dass das Internet dem Telekommunikationsbereich zuzuordnen sei und ihm daher die Kompetenz zur Gesetzgebung zustehe. Dies bestritten die Länder, die der Auffassung waren, dass es sich um Rundfunk oder rundfunkähnliche Dienste handele, welche in ihre Gesetzgebungskompetenz fallen (siehe Hoeren, NJW 2007, 801; Spindler, CR 2005, 741, 745). 345 Hoeren, NJW 2007, 801, 802. 346 Zur damals erforderlichen Abgrenzung von Telediensten und Mediendiensten siehe auch Engels, K&R 2001, 338, 340. 347 BT-Drucks. 14/6098, S. 1. 348 Heckmann, in: Heckmann, jurisPK-Internetrecht, Kap. 1 Rn. 16. 349 Tettenborn, K&R 1999, 252, 258; Spindler, CR 2005, 741, 745. 350 Sieber/Liesching, MMR-Beilage 8/2007, S. 3f. 351 Tettenborn, K&R 1999, 252, 253. 352 Jandt, in: Roßnagel, Recht der Telemediendienste, TMG § 7 Rn. 16; Nickels, CR 2002, 302, 305; Frey/Rudolph/Oster, CR Beilage zu Heft 11/2015, S. 2; Spindler, ZUM 2017, 473, 478; Spindler, in: Spindler/Schmitz, Telemediengesetz, TMG Vor § 7 Rn. 13. 353 BGBl. 2001 I, S. 3721; BT-Drucks. 14/6098, S. 1. 354 Spindler, CR 2005, 741, 745. 355 BGBl. 2007 I, S. 179; BT-Drucks. 16/3078, S. 1ff. 356 Hoeren, NJW 2007, 801. 357 Siehe auch Kapitel 3 B. II. 358 WLAN steht für Wireless Local Area Network. 359 BT-Drucks. 18/6745, S. 1. 360 BT-Drucks. 18/6745, S. 1. 361 BT-Drucks. 18/6745, S. 6. 362 BT-Drucks. 18/6745, S. 15 und 17. 363 BT-Drucks. 18/8645, S. 11. 364 BT-Drucks. 18/12202, S. 9.
C. Anwendbarkeit des TMG auf die Diensteanbieter sozialer Netzwerke
Zur Beantwortung der Frage, ob Diensteanbieter sozialer Netzwerke nach einer oder mehrerer der vorgenannten Regelungen in ihrer Haftung privilegiert sein könnten, müssten diese und damit das TMG zunächst überhaupt Anwendung auf sie finden. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 TMG gilt das TMG für Telemedien. Wie bereits dargestellt, sind soziale Netzwerke im Internet als Telemedien im Sinne der Legaldefinition des TMG zu qualifizieren.365 Das TMG ist daher auf die Diensteanbieter sozialer Netzwerke anwendbar.
365 Siehe hierzu Kapitel 1 A. I. 2. b.
D. Der Begriff der „Verantwortlichkeit“
Das Haftungsregime der §§ 7 bis 10 TMG regelt die „Verantwortlichkeit“ der Diensteanbieter (vgl. die Überschrift des dritten Abschnitts des TMG und den Wortlaut der Regelungen), indem es verschiedene Haftungsprivilegierungen vorsieht. Trotz dessen findet sich im TMG keine Legaldefinition des Begriffs.
Nach allgemeinem juristischem Sprachgebrauch bedeutet der Begriff Verantwortlichkeit ein Einstehenmüssen für etwas,366 insb. „für die Rechtsfolgen, die das Recht an bestimmte Sachverhalte knüpft“,367 wobei es sich um einen rechtsgebietsübergreifenden Begriff handelt.368 Die Gesetzesbegründung