Internationales Kauf-, Liefer- und Vertriebsrecht. Martin Rothermel
Prozessrecht des jeweiligen Gerichts – es kann also durchaus dazu kommen, dass Gerichte sich in beiden Ländern der Vertragspartner für zuständig halten, so dass es zu doppelten Zuständigkeiten kommt und parallele Prozesse geführt werden. Es kann (theoretisch) auch dazu kommen, dass gar keine Zuständigkeiten bestehen.
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Im Grunde ist es denkbar und wahrscheinlich, dass eine Zuständigkeit am Sitz der beklagten Partei besteht (ein „Auswärtsspiel“) und/oder (eventuell zusätzlich) das Gericht am Ort der Leistungserbringung (Erfüllungsort) angerufen werden kann. Eher unwahrscheinlich ist, dass sich eine Zuständigkeit am Ort der Klägers (ein „Heimspiel“) ergibt.
6. Worauf ist zu achten?
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Von großer Bedeutung sind die eben erwähnten Formerfordernisse (siehe unten Kap. C Rn. 265).
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Wichtig ist aber schon vor der formellen Ausgestaltung der Gerichtsstandsvereinbarung die Überlegung, ob und wo ein Gerichtsurteil vollstreckt werden kann. Da die Vollstreckung (siehe unten Kap. C Rn. 228) von Urteilen deutscher (oder auch anderer europäischer) Gerichte nur durch die Vereinheitlichung in der EU (durch die Brüssel Ia-Verordnung oder EuGVVO) oder einige wenige Staatsverträge theoretisch sichergestellt ist, lohnt es sich in jedem Fall, an eine Schiedsgerichtsabrede als Alternative zu denken, da die internationale Vollstreckbarkeit von Schiedssprüchen durch die New Yorker UN-Convention von 1958 besser gesichert ist (siehe unten Kap. C Rn. 355 und Kap. D).
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Wie oben erwähnt, gibt es einen Grund, darauf zu achten, dass das Recht auch zum Gericht passt. Auch sollte man sich darüber Gedanken machen, ob der Richter zum gewählten Recht oder zum typischerweise anfallenden Problem passt. Vielleicht mag z.B. die besondere Nähe deutscher Juristen zur strengen AGB-Kontrolle ein Grund sein, solche Entscheider zu vermeiden, wenn man z.B. einen Standardvertrag nach UN-Kaufrecht (siehe unten Kap. E) mit Gewährleistungs- und Haftungsbeschränkungen versieht. Möglicherweise will man bestimmte Sachverhalte auch von ausgewählten Richtern mit bestimmter Nationalität, Ausbildung und Sachkunde entscheiden lassen und denkt daher an ein Schiedsgericht.
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Für Schiedsgerichte sprechen ferner (je nach Ausgestaltung des Verfahrens) Aspekte der Vertraulichkeit, der Verfahrensdauer, der Verfahrenskosten, der Flexibilität etc. (siehe unten Kap. D).
IV. Vertragsschluss
1. Gilt dafür das gewählte Recht oder was sonst noch?
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Innerhalb der EU sind die Regelungen zum Vertragsschluss vorhersehbar durch die Rom I-VO (siehe unten Kap. C Rn. 92); es gilt das gewählte oder mangels einer Rechtswahl durch objektive Anknüpfung anzuwendende Recht, wobei es allerdings möglich ist, das Verhalten einer Partei auch noch zusätzlich nach dem Recht des Staates ihres gewöhnlichen Aufenthaltes zu bewerten (siehe unten Kap. C Rn. 144).
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Besondere Regelungen zum Vertragsschluss (zur Form weiter unten) sind in der EU nicht zu erwarten (insbesondere sind sie nicht zwingend, sondern greifen nur, wenn das Recht des betreffenden Landes zur Anwendung kommt – wer also eine Rechtswahl zugunsten eines anderen Rechts trifft, sollte dessen (Form-)Vorschriften oder Voraussetzungen für einen Vertragsschluss kennen) (siehe unten Kap. C Rn. 92 und 273).
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Außerhalb der EU sind die Bestimmungen für den Vertragsschluss schwer im Detail vorhersehbar.
2. Kann man AGB verwenden?
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Die Verwendung von AGB in internationalen Geschäften ist möglich. Man kann die Rechtswahlvereinbarung, die Gerichtsstandsvereinbarung und auch eine Schiedsgerichtsvereinbarung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen treffen. Dann müssen allerdings gewisse Formvorschriften eingehalten werden, wie z.B. die Schriftlichkeit für Gerichtsstandsvereinbarungen und Schiedsgerichtsvereinbarungen (siehe unten Kap. C Rn. 97, 265 und 271).
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Die AGB müssen wirksam einbezogen werden und dies richtet sich nach dem Recht, das die Parteien wählen (wollen) bzw. das ansonsten gemäß objektiver Anknüpfung zur Anwendung kommt; hier kann es im internationalen Geschäftsverkehr Besonderheiten geben (siehe unten Kap. C Rn. 273); grundsätzlich ist es empfehlenswert, die AGB bei Vertragsschluss zu übersenden und gegenzeichnen zu lassen.
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Hinsichtlich der Sprache von im internationalen Geschäftsverkehr verwendeten AGB ist zu empfehlen, dass diese in der „Vertragssprache“ bereitgehalten und verwendet werden, also in der Sprache, die ansonsten für die Anbahnung und Abstimmung des Geschäftes gewählt wird (siehe unten Kap. C Rn. 111); vereinzelt wird auch die Auffassung vertreten, die AGB müssten in einer „Weltsprache“ vorliegen. Unklar ist aber, was eine solche Weltsprache ist.
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Widersprechen sich die von den Parteien verwandten und möglicherweise auch übersandten AGB (Battle of Forms), kann es sein, dass sich die widersprechenden Teile gegenseitig eliminieren (Knock-out Rule oder Restgültigkeitstheorie) oder dass diejenigen AGB sich durchsetzen, auf die als Letztes verwiesen wird (Last Shot Doctrine oder Theorie des letzten Wortes) – dies hängt von der jeweiligen Rechtsordnung und Rechtsprechung ab (siehe unten Kap. C Rn. 109).
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Auch im internationalen Geschäftsverkehr gibt es für Allgemeine Geschäftsbedingungen eine Inhaltskontrolle – diese richtet sich nach dem gewählten oder anzuwendenden Recht. Hier ist der deutsche Jurist in puncto Vertrags- und Gestaltungsfreiheit nicht gerade verwöhnt, da die deutsche Gesetzgebung und Rechtsprechung eine sehr strenge Inhaltskontrolle für AGB (auch in Verträgen zwischen Unternehmen ohne Beteiligung von Verbrauchern) vorsieht. Dies wird vielfach kritisiert – gerade im internationalen Vergleich der Rechte, weil es bspw. nach dem Schweizer Recht gar keine Inhaltskontrolle für AGB und darüber hinaus noch das Prinzip der geltungserhaltenden Reduktionen gibt (siehe unten Kap. F Rn. 10). Auch im UN-Kaufrecht gibt es keine Regelungen zur Inhaltskontrolle AGB – insoweit besteht eine Lücke, die aufzufüllen ist, was regelmäßig durch die Anwendung des ansonsten gewählten oder durch objektive Anknüpfung anzuwendenden Rechts geschieht (siehe unten Kap. E Rn. 1). Allerdings ist der für die Inhaltskontrolle relevante Maßstab nicht das nationale Recht, sondern das UN-Kaufrecht (siehe unten Kap. E Rn. 12), das kann im Vergleich zum strengen deutschen Recht schon ein Vorteil in Richtung Gestaltungsfreiheit sein. Common-Law-Länder haben ebenfalls nur begrenzte Inhaltskontrollen, jedenfalls im unternehmerischen Geschäftsverkehr und in grenzüberschreitenden Verträgen (siehe unten Kap. G Rn. 12).
3. Gibt es auch internationale kaufmännische Gepflogenheiten?
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Grundsätzlich sind kaufmännische Gepflogenheiten, wie Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben oder kaufmännische Bestätigungsschreiben an sich, im internationalen Geschäftsverkehr nicht unproblematisch,2 weil nur schwerlich davon ausgegangen werden kann, dass es weltweit einheitliche kaufmännische Gepflogenheiten und Bräuche gibt und man sich daher nicht ohne Weiteres darauf verlassen kann; zudem müssten diese im Streitfall auch bewiesen werden, was regelmäßig nicht einfach ist (schon im nationalen Kontext führt das oft zu Problemen).
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In der EU gilt für das Thema Schweigen und kaufmännisches Bestätigungsschreiben, dass sich dies nach dem Recht des Aufenthalts der schweigenden Partei richtet (siehe unten