Rechtliche Grenzen vertraglicher Haftungsausschlüsse und -begrenzungen in B2B-Exportverträgen. Alexander Grieger
zu einem „scharfen Schwert“ verkommen220.
Insgesamt lässt sich somit feststellen, dass keine Gründe ersichtlich sind, weshalb eine Inhaltskontrolle mit den grundgesetzlichen Vorgaben nicht im Einklang stehen sollte221. Vielmehr wird heute nicht mehr von der „Richtigkeitsgewähr“ von Verträgen222 gesprochen, welche infolge eines Aushandelns der Vertragspartner auf Augenhöhe ein optimales Ergebnis liefern, sondern von „Ungleichgewichten“, welche regulierende staatliche Eingriffe geradezu einfordern.
V. Unzureichende Zielerreichung durch §§ 138, 242 BGB
Die gem. Art. 2 Abs. 1 GG im Rahmen der allgemeinen Handlungsfreiheit verfassungsrechtlich geschützte Privatautonomie, welche gleichzeitig den staatlichen Schutz der schwächeren Vertragspartei bedingt, konnte wie oben dargestellt nur mittels §§ 138, 242 BGB
§ 138 Sittenwidriges Rechtsgeschäft; Wucher
(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.
(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.
§ 242 Leistung nach Treu und Glauben
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
nicht ausreichend gewahrt werden und erforderte deshalb – gleichsam als „Notrecht“223 – eine formelle Kontrollmöglichkeit mit objektiven Anknüpfungspunkten zur Schaffung eines Ausgleichs zwischen Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit224. Eine Kontrolle anhand unscharfer Kriterien im Grenzbereich des § 138 BGB, der die Nichtigkeit von Rechtsgeschäften nur dann feststellt, wenn diese mit „grundlegenden Wertungen der Rechts- oder Sittenordnung“225 kollidiert, konnte diesem Anspruch nicht gerecht werden226. Der Richtervorbehalt bei struktureller Überlegenheit eines Vertragspartners und ungewöhnliche Belastungen des anderen Vertragspartners betrifft im Rahmen des § 138 BGB nur krasse Einzelfälle und stellt – genauso wie die kaum greifbare Generalklausel nach § 242 BGB – kein generell geeignetes Mittel zur Inhaltskontrolle von (auch) nachteiligen Verträgen dar227.
Bezogen auf den Betrachtungsgegenstand wird nach heutigem Recht die Sittenwidrigkeit einer individualvertraglich vereinbarten Haftungsausschluss- oder Haftungsbeschränkungsklausel in aller Regel ausscheiden228; im Hinblick auf vorformulierte Klauseln sind ohnehin §§ 305ff. BGB vorrangig229, welche einen strengen Maßstab anlegen und eine Prüfung nach § 138 BGB entbehrlich machen. Sofern die AGB-Kontrolle nicht anwendbar ist, findet eine Kontrolle nach § 242 BGB nur im sehr eingeschränkten Anwendungsbereich notariell beurkundeter Immobilientransaktionen Anwendungen, bei denen infolge unzureichender Aufklärung und Belehrung durch den Notar ein besonderer zusätzlicher Anknüpfungspunkt besteht (vgl. hierzu später unter E.II.2 Notarverträge)230.
VI. Rechtscharakter von AGBs und dogmatische Begründung der AGB-Kontrolle
Die AGBs an sich werden nach der herrschenden Meinung als vertragliche Absprachen innerhalb einer geltenden Rechtsordnung („Vertragstheorie“231) eingeordnet, während die mittlerweile auch durch Rechtsprechung und Gesetzeswortlaut widerlegte Mindermeinung von einer separat geschaffenen Rechtsordnung zwischen den beteiligten Vertragspartnern, insbes. den Verwender der AGBs, ausgehen („Normentheorie“232). Wenngleich die Relevanz dieses Theorienstreits als sehr gering angesehen wird233, so bietet dieser doch einen ersten Ansatzpunkt, um sich der Frage anzunähern, wie sich Privatautonomie und Inhaltskontrolle konzeptionell vereinen lassen.
Nachdem der Gesetzgeber bei der Implementierung von § 310 BGB im Rahmen der Schuldrechtsreform 2001 keine dogmatischen Begründungen geliefert hat234, lohnt sich ein Blick auf die Entstehungsgeschichte von § 12 AGBG bzw. dem späteren § 24 AGBG, welcher fast unverändert in § 310 BGB übernommen wurde. Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung235 zu § 12 Nr. 1 AGBG sollten bestimmte Kontrollnormen keine Anwendung auf Allgemeine Geschäftsbedingungen finden, „die gegenüber einem Kaufmann verwendet werden, wenn der Vertrag zum Betrieb seines Handelsgewerbes gehört“. Nach der Gesetzesbegründung sei eine vollständige Befreiung solcher Verträge von einer AGB-Kontrolle jedoch nicht möglich, nachdem auch für diese der Grundsatz von „Treu und Glauben“ gelte, welche der gesamten Rechtsordnung inne wohne236. Vielmehr könnten in Verbrauchergeschäften nicht geduldete Risikoverlagerungen im kaufmännischen Geschäftsverkehr im Einzelfall zulässig sein, wobei ein generelles Werturteil zur Vermeidung von unflexiblen Lösungen vermieden werde237. Die Zulässigkeit bestimmter Klauseln solle sich gerade dadurch ergeben können, dass die für eine Vielzahl von B2B-Verträgen geltenden nachteiligen Regelungen durch „Vorteile anderer Art ausgeglichen“238 werden können.
Kurz zusammengefasst soll auf Basis des Grundsatzes von Treu und Glauben trotz einer verringerten Schutzbedürftigkeit im B2B-Bereich die gesetzliche Kontrollmöglichkeit unerwünschte Risikoverlagerungen, welche nicht durch Vorteile anderer Art angemessen ausgeglichen werden, verhindern.
Überraschenderweise werden diese Aspekte heute eher wenig aufgegriffen239 und im Allgemeinen zwei dogmatische Konzepte zur Begründung herangezogen, wobei sich das erste mit dem Verhältnis zwischen den beteiligten Vertragspartnern, das zweite mit überindividuellen Aspekten befasst240. Gemeinsame Ausgangsbasis für beide Ansatzpunkte, die fließend ineinander übergehen, ist nach Leuschner ein Informationsdefizit des Verwendungsgegners, das zu einer Unterlegenheit desselben führt241:
1. Vertragstheoretischer Ansatz: Individualaspekte
Der bereits angesprochene Rationalisierungsgedanke, der bei der Verwendung vorformulierter Vertragsbedingungen zu Tage tritt, wird von nicht gewünschten Risikoverlagerungstendenzen zwischen den beteiligten Vertragspartnern begleitet242. Der Schutzzweck der §§ 305ff. BGB wird dahingehend gesehen, dass der Verwendungsgegner vor einer einseitigen Ausnutzung der Vertragsfreiheit243 bzw. Privatautonomie durch den Verwender – d.h. durch das Stellen einseitig optimierter Vertragsklauseln – geschützt werden solle244. Demzufolge genießen auch individuelle Absprachen, welche dem Idealbild privatautonomer Entscheidung entstammen und gleichsam „auf Augenhöhe“245 verhandelt wurden, einen höheren Stellenwert und somit höheren Kontrollhürden als einseitig vorgegebene AGBs246.
Interessanterweise wird bei der rechtsdogmatischen Begründung für die Notwendigkeit der AGB-Kontrolle nicht auf die Überlegenheit des Verwenders (z.B. in wirtschaftlicher oder gar intellektueller Hinsicht) abgestellt247. Begründet wird dies hauptsächlich mit dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut, der rein auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (§§ 305ff. BGB) und nicht auf die generelle Überlegenheit des Verwendungsgegners abstellt248. Die unzulässige Ausnutzung einseitiger Vertragsfreiheit249 ergibt sich hierbei aus der Möglichkeit des Verwenders, die verwendeten Klauseln einseitig, vorab ohne Zeitdruck und ggfs. unter Heranziehung rechtlichen Rats umfassend zu gestalten, während der Verwendungsgegner in die Situation kommen kann, mangels beschränkter Informationsaufnahme und -verarbeitungsmöglichkeit weder zeitlich noch inhaltlich die vorgelegten Klauseln im selben Verhältnis prüfen zu können250. Dem Verwendungsgegner wird insoweit auch zugerechnet, dass ihm eine Prüfung im gleichen Maßstab regelmäßig gar nicht zugemutet werden könne: Während der Verwendungsgegner die Klauseln mit ggfs. großem Zeitaufwand und umfassender Rechtsberatung für eine Vielzahl von Fällen vorbereite, mache es für den Verwendungsgegner in dem ihm betreffenden Einzelfall keinen Sinn, vergleichbar hohen Zeitaufwand und Kosten in die Prüfung der vorgelegten Klauseln zu investieren (sog. „prohibitiv hohe Transaktionskosten“251). Der Verwendungsgegner hat somit in der Vertragsabschlusssituation (deshalb auch z.T. „situative Unterlegenheit“252 genannt) nicht das gleiche Maß an Information in Bezug auf die Inhalte und Tragweite der ihm vorgelegten Klauseln,