Die Integrationsfestigkeit des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts im Rahmen der Kündigung von Arbeitsverhältnissen im Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG. Lisa Maria Völkerding
auf Teilaspekte hiervon erstreckt.200 Die Unterscheidung berührt daher nicht das Gleichbehandlungsgebot.201 In einer gerichtlichen Auseinandersetzung würde sich das Gericht bei der Übertragung der Grundsätze für Tendenzbetriebe kirchliche Arbeitsverhältnisse sogar vielmehr in die Gefahr begeben, wesentlich Ungleiches gleich zu behandeln. Das staatliche Neutralitätsgebot ist nicht mit einer Pflicht zur „kritischen Distanz“ verbunden202, sondern erfordert Toleranz und Offenheit für sämtliche religiöse oder weltanschauliche Ansichten203. Insofern verstößt die Berücksichtigung der Besonderheiten der Religionsgemeinschaft nicht gegen das Neutralitätsgebot, sondern sichert dieses erst ab. Dass die verfassungsrechtlichen Bestimmungen der Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV im Kündigungsschutzprozess Transzendenz- statt Tendenzschutz voraussetzen, bekräftigte das BVerfG im Übrigen in seinen Leitentscheidungen Stern und Chefarzt.204
II. Die Dienstgemeinschaft als Grundlage kirchlicher Arbeitsverhältnisse
Als „Dienstgemeinschaft“205 wird im kirchlichen Arbeitsrecht die besondere Beziehung zwischen der Kirche und den Personen, die sich zur Erfüllung des kirchlichen Sendungsauftrages arbeitsteilig zusammenschließen, bezeichnet.206 Sie bildet eine „Brücke“ zwischen weltlichem (Arbeits-)Recht und theologischem Glaubensauftrag.207 Der Begriff der „Dienstgemeinschaft“ als solcher ist mit Blick auf seine erstmalige Verwendung im „Gesetz zur Ordnung der Arbeit in öffentlichen Verwaltungen und Betrieben“ vom 23. März 1934208 von seinem theologischen Fundament zu unterscheiden. Die Begrifflichkeit wurde von der Kirche 1936 unter Bezugnahme auf die NS-Regelung erstmalig aufgegriffen209 und in den 50er Jahren in kirchenrechtlichen Regelungen beider Kirchen normativ verankert210. Der historisch problematische Hintergrund des Wortes „Dienstgemeinschaft“ ist Quelle beständiger Kritik an dessen Verwendung.211 Es kann dahingestellt bleiben, inwiefern eine alternative Begriffsform wünschenswert wäre. Das hinter dem Begriff der „Dienstgemeinschaft“ liegende Konzept der „Gemeinschaft des Dienstes“ (siehe 2 Kor 8, 4) weist nach kirchlichem Verständnis jedenfalls keinerlei Bezug zum nationalsozialistischen Gefolgschaftssystem auf.212
1. Katholische Kirche
In c. 211 CIC heißt es: „Alle Gläubigen haben die Pflicht und das Recht, dazu beizutragen, dass die göttliche Heilsbotschaft immer mehr zu allen Menschen aller Zeiten auf der ganzen Welt gelangt.“ Sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche gehen von einem gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen aus.213 Anders als die evangelische Kirche214 unterscheidet die katholische Kirche allerdings hinsichtlich der Stellung im kirchlichen Dienst zwischen Laien und Klerikern.215 Letztere übernehmen nehmen eine herausragende Rolle im kirchlichen Dienst ein (vgl. cc. 273 ff. CIC)216, wobei der Zweite Vatikanische Konzil die Differenzierung dahingehende relativierte, dass zwar „[…] in der Kirche eine Verschiedenheit des Dienstes, aber eine Einheit der Sendung […]“ bestehe217. Unerheblich ist jedenfalls die Rechtsform des Anstellungsverhältnisses für die Zugehörigkeit zur Dienstgemeinschaft.218 Obgleich die „Dienstgemeinschaft“ inzwischen als maßgebliche Argumentationsbasis für die Eigenart des kirchlichen Dienstes fungiert, verkompliziert die Überblendung des theologischen Fundaments mit der wirtschaftlichen Praxis die Bestimmung einer genauen Definition.219 Vor dem Hintergrund der Beschäftigung konfessionsverschiedener und konfessionsloser Mitarbeiter durch die Kirche kann die Dienstgemeinschaft schwerlich ausschließlich an das Selbstverständnis der Christen als zum Sendungsdient berufene Kinder Gottes i.S.d. cc. 204 ff. CIC anknüpfen.220 Eine Verengung des Begriffs auf einen Dienst, der ungeachtet der internen Motive faktisch der Erfüllung des Sendungsauftrages dient, wird zwar wiederum möglicherweise dem Prinzip des gemeinsamen Priesteramtes der Gläubigen nicht zur Gänze gerecht.221 Da die Dienstgemeinschaft jedoch selbst nicht als Form einer „soziologische[n] Gemeinschaft“ zu verstehen ist oder als Rechtsgrundlage für die erbrachten Leistungen dienen kann222, kann die Dienstgemeinschaft nur dasjenige sein, was die Kirche nach eigenem Selbstverständnis unter kirchlichem Dienst versteht. Die katholische Kirche hat nach ihrem allein maßgeblichen Selbstverständnis in Art. 1 S. 1 der „Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“ von 1993223 eine Legaldefinition für den Rechtsbegriff der „Dienstgemeinschaft“ normiert, wonach diese durch den gemeinsamen Beitrag zur Erfüllung des Sendungsauftrags der Kirche gekennzeichnet sei.
2. Evangelische Kirche
Grundlegend für die evangelische Dienstgemeinschaft ist das Verständnis des gemeinsamen Priestertums aller Gläubigen.224 Das Amt der Kirche wurzelt dabei im Amt der Apostel und stellt ein einzigartiges, auf die Repräsentation Christi gerichtetes Amt dar, das im Wege der Ordination verliehen wird.225 Der Amtsträger steht dabei allerdings „in der Gemeinde“226, da die Dienstgemeinschaft trotz unterschiedlicher Aufträge durch die „[…] gemeinsame […] Verantwortung vor der allen geltenden Aufgabe […]“227 geprägt ist. Diese dienstliche Ordnung hat ihre theologische Grundlage im dreifachen Amt Christi, als Priester, Lehrer und Hirte.228
III. Überblick über Grundlagen und Ausformungen kündigungsrelevanter Loyalitätsobliegenheiten
1. Hintergrund der kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten
Die Kirchen unterliegen unter Berücksichtigung ihrer verfassungsrechtlichen Sonderstellung bei der Ausgestaltung von kirchlichen Dienstverhältnissen geringeren Restriktionen als ein weltlicher Arbeitgeber.229 Neben den hier auszuklammernden Besonderheiten des kollektiven Arbeitsrechts230 betrifft dies insbesondere die Möglichkeiten kirchlicher Arbeitgeber, den Bestand von Arbeitsverhältnissen in besonderer Abhängigkeit von der außerdienstlichen Lebensführung des Mitarbeiters zu gestalten.
Für die Kirche stellt die Ausgestaltung eines Ethos-orientierten Anforderungsprofils für Ihre Mitarbeiter mit Blick auf den ersten Brief des heiligen Paulus an seinen Weggefährten Timotheus 4,12 eine ihrer Selbstbestimmung unterliegende, ureigene Angelegenheit dar.231 In Satz 12 heißt es in Bezug auf die Voraussetzungen für das Lehren des Wortes Gottes: „Niemand verachte dich wegen deiner Jugend; du aber sei den Gläubigen ein Vorbild im Wort, im Wandel, in der Liebe, im Glauben, in der Reinheit“. Die hiermit gemeinten Verhaltens- und Persönlichkeitsanforderungen gehen erkennbar über die rechtsgeschäftlichen Leistungspflichten im eigentlichen Sinne hinaus. Sie betreffen weder die Form noch die Güte der zu erbringenden Arbeit. Vielmehr wird der Wert der Arbeitsleistung für den kirchlichen Sendungsauftrag an der Einstellung und dem Lebenswandel der Person, die sie erbringt, gemessen. Es handelt sich dabei allerdings nicht um einklagbare Nebenpflichten i.S.v. §§ 241 Abs. 2, 242 BGB, sondern um Obliegenheiten, deren Nichtbeachtung für den Arbeitnehmer nachteilige Folgen in Form von Sanktionen zeitigen kann.232
Sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche haben die sich aus ihrem Selbstbestimmungsrecht ergebenen Freiheiten in Bezug auf die Erstellung eines Anforderungsprofils an ihre Mitarbeiter kodifiziert.233 Während die katholische Kirche bereits 1993 eine „Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“234 (im Folgenden: GrOkathK) beschlossen hatte, folgte die evangelische Kirche mit einer einheitlichen „Richtlinie über die Anforderungen der privatrechtlichen beruflichen Mitarbeit in der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihres Diakonischen Werkes“235 (im Folgenden: EKD-RL) erst im Jahr 2005.236
Vor dem Hintergrund der EuGH-Verfahren Egenberger237 und IR238 entschloss sich die deutsche katholische Kirche im Jahr 2015 zu einer grundlegenden Novellierung ihrer GrOkathK.239 Die GrOkathK vom 27. April 2015 ist mit Wirkung vom 1. August 2015 zunächst in 23 von 27 Diözesen umgesetzt worden und gilt seit dem 1. Januar 2016