Substantieller Rechtsschutz im Mitarbeitervertretungsrecht der Evangelischen Kirche in Deutschland. Johannes Hempel
waren zumindest die Bedenken, ob es sich um einen „echten vorläufigen Rechtsschutz“ handle94, ausgeräumt. Allerdings stellte sich damit aufgrund des Ausschlusses der Zwangsregelungen bereits das Problem der Vollziehung der einstweiligen Anordnungen.
Schließlich wurde klargestellt, dass es sich bei dem Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Schlichtungsstelle um „Beschwerden“ handelt (vgl. § 63 I MVG.EKD 1996). Diese Klarstellung war schon deshalb erforderlich, weil ansonsten wegen § 62 S. 1 MVG.EKD 1996 auf das Beschwerdeverfahren nach §§ 146 ff. VwGO hätte zurückgegriffen werden müssen Die Beschlüsse der Schlichtungsstelle haben jedoch die Qualität von Urteilen im Sinne des § 124 VwGO; denn § 63 I MVG.EKD stellte klar, dass es sich bei der „Beschwerde“ um ein der Berufung i.S.d. § 124 VwGO entsprechendes Rechtsmittel handelt, das den Weg zu einer vollwertigen zweiten Instanz in Mitarbeitervertretungssachen eröffnet95.
Der Zuständigkeitskatalog des § 63 MVG.EKD 1992 wurde erweitert: das Verwaltungsgericht ist nunmehr zuständig für alle Streitigkeiten von „grundsätzlicher Bedeutung von Rechtsfragen“ (§ 63 I lit. h) MVG.EKD 1996).
Mit der ergänzenden Heranziehung der VwGO für das Verfahren vor der Schlichtungsstelle ergab sich allerdings die Frage, ob die nunmehr über § 62 MVG.EKD 1996 im Mitarbeitervertretungsverfahren anzuwendende Offizialmaxime (§ 86 VwGO) angemessen ist. Es wurde darauf hingewiesen, dass im Bereich der Verwaltungsgerichtsordnung eine solche Verfahrensgestaltung zwar sinnvoll sei, weil es sich um Verwaltungsvorgänge handele. Bei diesen seien in der Regel staatliche Behörden tätig, aus deren Akten sich dann der vom Verwaltungsgericht zugrunde zulegende Sachverhalt entweder ergebe oder zumindest ergebe, inwieweit rein tatsächlich Streit bestehe; eine solche aktenmäßige Vorbereitung in mitarbeitervertretungsrechtlichen Streitigkeiten sei jedoch weder geboten noch zu erwarten96.
VI. Das Vierte Änderungsgesetz vom 6.11.2003 – (MVG.EKD 2003)97
Das MVG.EKD 2003 ist als Artikel 5 (Änderung des Mitarbeitervertretungsgesetzes) Bestandteil des Kirchengesetzes über die Errichtung, die Organisation und das Verfahren der Kirchengerichte der EKD (KiGOrG.EKD)98. Schwerpunkt der Gesetzesänderung bilden daher auch hier die Fragen des Rechtsschutzes.
Durch die Aufgabe des Begriffs „Schlichtungsstelle“ zugunsten der Bezeichnung „Kirchengericht“ (§ 56 S. 1 MVG.EKD 2003) sollte betont werden, dass es sich bei dem ersten mitarbeitervertretungsrechtlichen Verfahrenszug um eine vollwertige kirchengerichtliche Instanz handelt. Allerdings wird den Gliedkirchen durch § 56 S. 2 MVG.EKD 2003 eine abweichende Bezeichnung für die Kirchengerichte ermöglicht. „Kirchengericht“ bedeutet allerdings mehr als nur eine „Änderung im förmlichen Bereich“99: so wurden die Schlichtungsstellen in verfahrensrechtlicher Hinsicht und auch im Hinblick auf ihre Besetzung immer mehr der staatlichen Gerichtsbarkeit angenähert, was zu einer entsprechenden Akzeptanz ihrer Entscheidungen im staatlichen Bereich führte100. Die Bezeichnung „Kirchengericht“ erscheint daher nur als folgerichtig.
Entscheidender waren allerdings die Änderungen, die den prozessualen Bereich betreffen. Hier wurde der Kritik hinsichtlich der Einbeziehung der Verwaltungsgerichtsordnung in das mitarbeitervertretungsrechtliche Verfahren101 Rechnung getragen: § 62 S. 1 MVG.EKD 2003 erklärt die Vorschriften des Arbeitsgerichtsgesetzes über das Beschlussverfahren (§§ 80 ff. ArbGG) „im Übrigen“ für entsprechend anwendbar. Die Vorschriften über Zwangsmaßnahmen wurden für nicht anwendbar erklärt (§ 62 S. 2 MVG. EKD 2003). Auch § 24 KiGG.EKD schließt staatliche Zwangsmaßnahmen aus. Die nichtamtliche Begründung zu dieser Vorschrift, die hinsichtlich dieses Ausschlusses im Wesentlichen auf verfassungsrechtliche Grundsätze verweist102, kann auch für die Regelung im Mitarbeitervertretungsgesetz herangezogen werden. Die Versuche, hinsichtlich der Vollstreckbarkeit eine Gleichstellung mit den Entscheidungen der Schiedsgerichte zu erreichen, scheiterten103.
Im Hinblick auf den einstweiligen Rechtsschutz verblieb es bei der Vorschrift des § 61 X, in der nunmehr – wegen § 62 S. 1 MVG.EKD 2003 folgerichtig – „einstweilige Anordnungen“ durch „einstweilige Verfügungen“ ersetzt wurde. Über den Regelungszweck und Regelungsbereich besteht jedoch Unklarheit104. Im Übrigen fragt sich, ob und gegebenenfalls wie diese einstweiligen Verfügungen vollzogen werden können.
Eine Änderung ergab sich auch insofern, als nunmehr gegen Entscheidungen, mit denen die Kammer oder der/die Vorsitzende des Kirchengerichts den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ohne mündliche Verhandlung stattgegeben hat, nicht mehr wie noch nach dem MVG.EKD 1996 die Beschwerde zum (damals) VerwG.EKD stattfindet, sondern der Widerspruch zum Kirchengericht. Gegen dessen Beschluss im Widerspruchsverfahren ist die Beschwerde (§ 63 VII MVG.EKD) zum KGH.EKD gegeben105. Dieses gilt auch bei Entscheidungen des Kirchengerichts nach mündlicher Verhandlung106.
§ 63 V MVG.EKD 2003 regelt einen eigenen Zugang im Wege der einstweiligen Verfügung zur zweiten Instanz. Voraussetzung ist allerdings, dass dort das Hauptsacheverfahren aufgrund einer Beschwerde gegen eine Entscheidung des Kirchengerichts anhängig ist. Diese Regelung wird damit begründet, dass sich aus der Verfahrensdauer die Notwendigkeit ergeben könne, lange nach Einleitung des Verfahrens einstweilige Regelungen zu treffen107.
Die Entscheidungen der zweiten Instanz sind endgültig (§ 63 VI MVG.EKD). Ob diese Vorschrift nur deklaratorischen Charakter hat, weil eine weitere Zuständigkeit etwa des Verfassungsgerichtshofs der EKD nicht normiert ist108 oder ob der kirchliche Gesetzgeber damit auch für sich in Anspruch nimmt, dass andere staatliche Stellen nicht mehr zur Entscheidung berufen sind109, ist umstritten. Der kirchliche Gesetzgeber wird aber kaum über die Reichweite des staatlichen Justizgewähranspruchs verfügen und ihn damit ausschließen können und wollen110.
VII. Das Zweite Kirchengesetz über Mitarbeitervertretungen in der EKD – MVG.EKD 2013111
Auch durch das MVG.EKD 2003 wurde das Bestreben, einen effektiven Rechtsschutz zu gewähren offenbar noch nicht befriedigt. Bereits kurz nach dem Inkrafttreten gab es Überlegungen, wie die Sanktionsmöglichkeiten für die Rechte der Mitarbeitervertretungen verbessert werden könnten112. Insbesondere wurde auch darauf verwiesen, dass bei groben Pflichtverletzungen zwar die Auflösung der Mitarbeitervertretung und der Ausschluss von Mitgliedern vorgesehen sei (§ 17 MVG.EKD 2003), bei vergleichbaren Verstößen der für den Dienstgeber handelnden Personen aufgrund der bestehenden Rechtslage aber allenfalls die gerichtliche Feststellung erwirkt werden könne, dass ein Handeln oder Unterlassen grob den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 33 MVG.EKD verletze. Die fehlenden Sanktionen für Dienstgebervertreter bestätigten damit die Notwendigkeit von Vollstreckungsmöglichkeiten113. Der Rechtsschutz wurde trotz seiner ständigen Fortentwicklung weiterhin als ineffektiv kritisiert. So resümiert Schliemann als Präsident des KGH.EKD noch im Jahre 2012: „Störend ist indessen, dass es in beiden Kirchen keine hinreichenden Mittel der zwangsweisen Durchsetzung kirchengerichtlicher Entscheidungen gibt. Die zur Verfügung stehenden Durchsetzungsmittel sind schlicht nur solche der Rechtsaufsicht, zuweilen angereichert mit einem Zwangsgeld in sehr überschaubarer Höhe“114. Damit nimmt er Bezug auf die mit „Vollstreckungsmaßnahmen“ überschriebene Vorschrift des § 53 III KAGO, nach der bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine Geldbuße bis zu 2500,00 Euro verhängt werden kann. Obwohl auch diese Regelung bereits durchaus kritisch gesehen wurde115, entschloss sich der kirchliche Gesetzgeber, den Rechtsschutz im MVG.EKD 2013 nach dem katholischen Vorbild zu „ergänzen“, weil sich diese Regelung nach Bewertung der Katholischen Kirche und der Caritas bewährt habe116. Nach § 63 a I MVG. EKD 2013 kann das Kirchengericht angerufen werden, wenn ein Beteiligter, der zu einer Leistung oder Unterlassung verpflichtet wurde, nicht innerhalb eines Monats nach Eintritt der Rechtskraft dieses Beschlusses die Verpflichtungen erfüllt hat. Stellt das Kirchengericht auf Antrag eines Beteiligten fest, dass die Verpflichtungen nach Absatz 1 nicht erfüllt sind, kann es ein Ordnungsgeld