Substantieller Rechtsschutz im Mitarbeitervertretungsrecht der Evangelischen Kirche in Deutschland. Johannes Hempel
IV. Der Rechtsschutz im „Ursprungs – MVG.EKD“ 1992 – (MVG.EKD 1992)72
Nicht zuletzt dieser ineffektive Rechtsschutz führte zur Entstehung des MVG. EKD 199273, wenn auch das Bedürfnis im Vordergrund gestanden hatte, ein einheitliches Mitarbeitervertretungsrecht in der evangelischen Kirche zu schaffen, und zwar in zweifacher Hinsicht: zum einen sollte eine Vereinheitlichung des in den Landeskirchen jeweils geltenden Mitarbeitervertretungsrechts erreicht werden; zum andern sollte die Diakonie, in der bisher Mitarbeitervertretungsregelungen nur auf der Grundlage von Satzungsrecht beschlossen worden waren74, in den Bereich des staatskirchenrechtlichen Selbstverwaltungsrechts geholt werden75, wozu es erforderlich war, über einen kirchenrechtlichen Anknüpfungspunkt – ein synodales Kirchengesetz – zu verfügen76.
Zur Verbesserung des Rechtsschutzes wurde insbesondere das Erfordernis einer zweiten Instanz im Schlichtungsverfahren bei Zuständigkeit für den gesamten Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland mit dem Wunsch der Diakonie begründet, in deren Bereich Schlichtungsausschüsse auch unterschiedliche Entscheidungen getroffen hätten, die dann nicht mehr anfechtbar seien; denn staatliche Gerichte hätten sich für unzuständig erklärt, aber auch darauf hingewiesen, dass das Fehlen einer zweiten Instanz nicht den üblichen Standards entspräche77.
Das Verfahren vor den Schlichtungsstellen wurde als eigenständiges Verfahren ausgestaltet, d. h. ohne eine Verweisung „im Übrigen“ auf eine staatliche Verfahrensordnung. Allerdings wurde für die Mitarbeitervertretung zur Verbesserung des Rechtsschutzes78 ein Beschwerderecht (§ 48 MVG.EKD 1992) eingeführt; auch wurde die Ersatzvornahme (§ 60 VII MVG.EKD 1992) in das Gesetz mit der Einschränkung aufgenommen, dass es den Gliedkirchen freigestellt wird, hiervon Gebrauch zu machen, während eine Selbstbindung der EKD nicht vorgesehen war.
Staatliche Zwangsmaßnahmen wurden für das erstinstanzliche Schlichtungsverfahren nicht gesetzlich ausgeschlossen, weil man davon ausging, dass sich die Beteiligten eines Schlichtungsverfahrens an die Entscheidungen der Schlichtungsstelle halten werden79.
Im Zeitpunkt des Inkrafttretens des MVG.EKD 1992 war das Gesetz über das Verwaltungsgericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelischen Kirche in Deutschland (VVG.EKD)80 noch nicht erlassen worden (vgl. die Übergangsvorschrift des § 63 II MVG.EKD 1992). Nach § 63 I MVG.EKD 1992 war in bestimmten Fällen gegen Beschlüsse der Schlichtungsstelle der „kirchliche Verwaltungsrechtsweg“ gegeben, womit offenblieb, ob als Rechtsmittel Beschwerde, Berufung oder Revision in Betracht kam81. Diese Frage beantwortete das VerwG.EKD dahin, dass das Rechtsmittel als „Beschwerde“ bezeichnet wurde, obwohl davon weder im MVG. EKD 1992 noch im VVG.EKD die Rede war82. Gem. § 15 VVG.EKD waren die Entscheidungen des VerwG.EKD endgültig. Auf das Verfahren fanden gem. § 16 VVG.EKD die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung Anwendung. Allerdings wurden die Vorschriften über Zwangsmaßnahmen (§§ 167 ff. VwGO) für nicht anwendbar erklärt. Dies führte zu der Forderung, eine Vollstreckungsregelung direkt in das MVG.EKD aufzunehmen und eine Zwangsgeldfestsetzung durch die Schlichtungsstelle zu ermöglichen83.
Eine Aufwertung des Rechtsschutzes bedeutete die Einführung von „einstweiligen Anordnungen“ (§ 62 MVG.EKD). Jedoch verzichtete der Gesetzgeber auch hier darauf, auf die staatlichen Gesetze zu verweisen. Stattdessen heißt es dort: „Kann in Eilfällen die Kammer nicht rechtzeitig zusammentreten, trifft der oder die Vorsitzende einstweilige Anordnungen.“ Diese Regelung wurde als „unklar“ kritisiert84.
Die kirchengerichtliche Rechtsprechung versuchte im Wege der Auslegung den Rechtsschutz zu effektuieren. So vertrat das VerwG.EKD die Auffassung, dass gegen eine Entscheidung nach § 62 MVG.EKD 1992 die Beschwerde nach § 63 MVG.EKD 1992 gegeben sei, weil es sich auch bei ihr um einen „Beschluss der Schlichtungsstelle“ handle, auch wenn sie der Vorsitzende allein getroffen habe. Im Übrigen habe durch die Schaffung des Verwaltungsgerichts im Mitarbeitervertretungsrecht eine zweite Instanz eingerichtet werden sollen Dadurch habe man zugleich der Kritik an den bisherigen Rechtsschutzmöglichkeiten Rechnung tragen wollen. Das Gericht hielt daher die Beschwerde für zulässig und unterzog sie einer Überprüfung nach § 123 VwGO. Dabei ging es davon aus, dass für die Entscheidung des Beschwerdegerichts im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung dieselben Grundsätze gelten wie für die Entscheidung erster Instanz. Damit wurde unterstellt, dass bei Verfahren nach § 62 MVG.EKD 1992 die Prüfung nach §§ 935, 940 ZPO, § 123 VwGO zu erfolgen habe85.
Diese Auslegung des § 62 MVG.EKD erscheint aber schon deshalb zweifelhaft, weil das erstinstanzliche Schlichtungsverfahren (Hauptverfahren) keinen Verweis auf staatliche Verfahrensvorschriften vorsah. Wenn dem Gesetzgeber aber daran lag, das erstinstanzliche Hauptverfahren eigenständig zu regeln, so fragt sich, warum dann im Eilverfahren Rückgriff auf die Vorschriften der VwGO und der ZPO genommen werden sollte. Anscheinend wurde mithin aus der Verwendung des Begriffs „einstweilige Anordnung“ geschlossen, dass es sich um ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren i.S.d. § 123 VwGO handeln muss. Demgegenüber wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass zu den inhaltlichen Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung keine Angaben gemacht werden. „Aus der Formulierung kann lediglich geschlossen werden, daß es noch ein späteres Hauptsacheverfahren geben kann. Ob hier ein echter vorläufiger Rechtsschutz im Sinne des § 123 VwGO gemeint ist, muß zumindest bezweifelt werden. Der Wortlaut der Bestimmung mutet eher wie ein Übergang zur Einzelrichterentscheidung auf Antrag an, wenn die Kammer verhindert ist. Ein gut geregeltes einstweiliges Anordnungsverfahren könnte u. U. bestehende Rechtsschutzlücken schließen …“86.
Die ersten Jahre praktischer Rechtsanwendung des MVG.EKD 1992 erwiesen sich durchaus als positiv87. Allerdings waren auch die Defizite insbesondere im Bereich des Rechtsschutzes nicht zu übersehen. Es fehlte an klaren Regelungen für das erstinstanzliche Verfahren, insbesondere auch für den einstweiligen Rechtsschutz. Auch das zweitinstanzliche Verfahren war durch den Hinweis in § 63 MVG.EKD 1992 auf den Verwaltungsrechtsweg und durch den Zuständigkeitskatalog nicht zufriedenstellend gelöst.
V. Das erste Änderungsgesetz zum MVG.EKD vom 6.11.1996 – (MVG.EKD 1996)88
Bereits vier Jahre nach Erlass des MVG.EKD 1992 trat mit Wirkung zum 1.1.1997 das erste Änderungsgesetz (MVG.EKD 1996) in Kraft mit zahlreichen Detailänderungen, jedoch mit dem Ausbau des Rechtsschutzes als Schwerpunkt.
In § 56 MVG.EKD wurde das erstinstanzliche Verfahren als „gerichtliches Verfahren“ bezeichnet und damit zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei den „Schlichtungsstellen“ um Kirchengerichte handelt89. Bislang entschied die Schlichtungsstelle in nicht-öffentlicher Verhandlung (§ 61 V 2 MVG. EKD 1992). Der kirchengerichtliche Charakter der Schlichtungsstelle wird nunmehr dadurch unterstrichen, dass ihre Kammern öffentlich tagen, es sei denn, besondere Gründe erforderten den Ausschluss der Öffentlichkeit (§ 61 V 3 MVG.EKD 1996)90.
Ferner wurde die Zuständigkeit der Schlichtungsstelle neu geregelt. An die Stelle des Zuständigkeitskatalogs und der „kleinen Generalklausel“ in § 60 I MVG.EKD 1992 trat nunmehr eine umfassende Generalklausel, wodurch Auslegungsschwierigkeiten behoben wurden91.
Eine erhebliche Änderung brachte jedoch die Klarstellung in § 62 MVG.EKD 1996, wonach für das Verfahren vor der Schlichtungsstelle die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung entsprechend anzuwenden sind. Dies bedeutete die Angleichung des Verfahrensrechts in erster und zweiter Instanz. Wie bereits in § 16 VVG.EKD wurde auch in § 62 S. 2 MVG.EKD 1996 die Vorschriften über Zwangsmaßnahmen für nicht anwendbar erklärt. Den bereits zum MVG. EKD 1992 geäußerten Bedenken, dass eine Vollstreckung der kirchengerichtlichen Entscheidungen, etwa eine Zwangsgeldfestsetzung, möglich sein müsse, weil die bisherigen innerkirchlichen Durchsetzungsmittel nicht ausreichend seien92, wurde nicht entsprochen.
Für den einstweiligen Rechtsschutz bedeutete die Regelung in § 62 MVG.EKD 1996