Kirchliche Loyalitätspflichten und die Europäische Menschenrechtskonvention. Matthias Lodemann

Kirchliche Loyalitätspflichten und die Europäische Menschenrechtskonvention - Matthias Lodemann


Скачать книгу
eines wichtigen Grundes i.S. des § 626 BGB kann das Dienstverhältnis von beiden Vertragsparteien ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden. Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor bei Vertrauensbrüchen oder groben Achtungsverletzungen gegenüber Angehörigen der Dienstgemeinschaft, leitenden Personen oder wesentl. Einrichtungen der kath. Kirche, bei schweren Vergehen gegen die Sittengesetze der Kirche oder die staatl. Rechtsordnung oder bei sonstigen groben Verletzungen der sich aus diesen Richtlinien ergebenen Dienstpflichten.

      Die fehlende Genauigkeit dieser Vorgaben mag die staatlichen Gerichte dazu verleitet haben, ihre eigenen Wertungen an Stelle der Kirche zu setzen, anstatt bei diesen rückzufragen. Weiterhin ist den Urteilen eine dogmatische Ungenauigkeit gemein, selbst wenn sie stellenweise nicht entscheidungserheblich sein sollte. So bleibt unklar, ob das BAG entsprechende Verstöße gegen Loyalitätsobliegenheiten als personen- oder verhaltensbedingte Kündigungsgründe einordnen wollte.234 Dies gilt auch für inhaltsgleiche oder zumindest doch vergleichbare Loyalitätsverstöße. Ein wenig mehr dogmatische Genauigkeit wäre schon deshalb wünschenswert gewesen, weil u.a. eine Kündigung auf das Nichtvorliegen einer Abmahnung gestützt wurde,235 die aber bei einer personenbedingten Kündigung gar nicht236 oder zumindest doch nur bei steuerbarem Verhalten237 in Frage kommt. In neuerer Rechtsprechung ist das BAG letztgenannter Ansicht gefolgt.238 Letztlich kann diese Frage aber hier ebenso wie die Frage nach einer möglichen Steuerbarkeit homosexueller Neigungen bzw. dem Ausleben derselben dahinstehen, da sie nur im Einzelfall relevant war. Dogmatische Genauigkeit wäre gleichwohl lobenswert gewesen.

      C. Fallgruppen

      Aus diesen Fällen sowie den bereits zuvor dargestellten Loyalitätsrichtlinien der Großkirchen lassen sich nun einzelne Fallgruppen ableiten. Eine Kategorisierung ist nicht nur aufgrund der verbesserten Übersichtlichkeit vonnöten; vielmehr wird beispielsweise argumentiert, dass einige Fallgruppen etwa vom neuen AGG gerade nicht umfasst sind.239 Die Differenzierung ist somit unerlässlich. Nach dem Gesagten bieten sich hier drei Fallgruppen an:240

      der Verstoß gegen Sakramente, hier ist schon aufgrund der zahlenmäßigen Häufigkeit insbesondere die kirchenrechtlich unzulässige Eheschließung zu nennen (katholische Kirche),241

      der Kirchenaustritt,242

      der Verstoß gegen tragende Grundsätze der Kirche als Generalklausel, hierzu können insbesondere die Abtreibung243 oder auch die praktizierte Homosexualität244 gezählt werden.

      Weitere mögliche Differenzierungen, etwa nach Tendenzfreundlichkeit bzw. -feindlichkeit245 oder -nähe bzw. Sendungsrelevanz des Arbeitnehmers,246 sind dagegen bestenfalls geeignet, die Schwere des Verstoßes zu bewerten, bieten aber keinen materiellen Mehrwert. Selbstverständlich ist dabei, dass die Kategorien durchaus miteinander verwoben sein können. So kann beispielsweise ein Kirchenaustritt immer auch ein öffentliches Eintreten gegen Positionen der Kirche beinhalten.

      D. Kritik: Die Rechtsprechung des BAG als Angriff auf die Identität der Kirchen

      Die Kritik, wie virulent sie auch gewesen sein mag, soll hier nur angedeutet werden, da als Grundlage für ihre Bewertung die Reichweite der verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie der Kirchen Voraussetzung ist. Gleichwohl kann auf eine Darstellung in der gebotenen Kürze nicht verzichtet werden, weil es ebendiese Kritik war, die letztlich zur Grundsatzentscheidung des BVerfG führte.247

      I. Die ekklesiologische Kompetenz

      Stärkster Kritikpunkt war sicherlich die Annahme der Gerichte, dass die ekklesiologische Kompetenz der Kirchen durch die staatlichen Gerichte zu kontrollieren sei.248 In der oben dargestellten Rechtsprechung gingen die Gerichte davon aus, dass die Kirchen zwar erhöhte Loyalitätserwartungen haben dürften. Diese seien jedoch – wenn auch zunächst von den Kirchen festzuschreiben – von den Fachgerichten voll überprüfbar. Ebenso sei auch von den Gerichten zu überprüfen, ob und in welchem Maße kirchliche Arbeitnehmer diesen Loyalitätsobliegenheiten unterlägen. Richtigerweise wendete sich die Kritik damit nicht vorrangig gegen eine Stufung der Loyalitätsobliegenheiten als solche; sofern diese von der Kirche vorgesehen wäre, wäre sie durchaus nicht zu beanstanden. Legen jedoch die Arbeitsgerichte eine solche Stufung von außen fest, so solle ein Eingriff in die Selbstverwaltungsgarantie vorliegen.249

      In der Sache führe dies letztlich zur Etablierung einer „staatlichen Kirchenhoheit“.250 Zumindest mittelbar über das Arbeitsrecht konnte der Staat den Kirchen also diktieren, was sie glauben und was sie nicht glauben durften. Schreibe man dies aber der Kirche vor, so sei dies nicht nur ein Angriff auf ihre Freiheit, sondern vielmehr sogar auch ein Angriff auf ihre Identität.251 Definiert das BAG also selbst, was Inhalt des Sendungsauftrags der Kirche sei, sowie was deren Glaubwürdigkeit beeinträchtigt, so übernimmt es damit ein ekklesiologisches Mandat.252 Diese Versuche gelten jedoch dem untauglichen Objekt: „Der Staat trennt dort, wo die kirchliche Sache Einheit erfordert.“253 Das Selbstverwaltungsrecht der Kirchen könne folglich nur durch das Selbstverständnis der Kirchen rechtmäßig ausgefüllt werden. Mit anderen Worten: Die Frage, ob ein Loyalitätsverstoß vorliegt, ließe sich denklogisch nicht von der Frage nach seiner Bewertung, seiner Schwere trennen.

      Die Gegenmeinung, die sich ja auch letztlich in der Rechtsprechung des BAG niedergeschlagen hatte,254 verkennt und bestreitet demgegenüber ebenfalls nicht, dass die grundlegende Kompetenz, Loyalitätsobliegenheiten festzuschreiben, den Kirchen innewohnt.255 Bestritten wird die weite Reichweite dieser Kompetenz. Obschon die religiöse Bindung „eine Bindung des ganzen Menschen“ sei und staatliche Gerichte nicht befugt sein könnten, theologische Streitfragen zu entscheiden, sei eine jede These, die auf Differenzierung bei den Adressatengruppen der Loyalitätserwartungen verzichtet, falsch; diese Notwendigkeit zur generellen Differenzierung folge daraus, dass im Einzelfall eben nicht differenziert, sondern nur nach dem Schema von entweder-oder geurteilt werden könne.256 Von den Gerichten sei also nach Einzelfallumständen zu entscheiden, entsprechende Beispiele wurden genannt.257 Dies resultiere daraus, dass dem kirchlichen Selbstverwaltungsrecht nicht automatisch der Vorrang gegenüber den Grundrechten der betroffenen Arbeitnehmer einzuräumen sei;258 vielmehr sei dies höchstens aus faktischen Erwägungen der Fall, etwa weil die Kirche durch eine Nichtkündigung in ihrer Glaubwürdigkeit betroffen wäre, während der Arbeitnehmer durch soziale Sicherungssysteme im Falle einer Kündigung abgesichert wäre.259

      II. Die BAG-Rechtsprechung als Tendenzschutz in neuen Kleidern

      Ein weiterer, eng verzahnter Kritikpunkt entzündete sich daran, dass trotz der ausdrücklichen Differenzierung durch das BAG260 der den Kirchen nun gewährte Schutz materiell deckungsgleich mit dem Schutz säkularer Tendenzunternehmen und -träger gestaltet wurde, denn auch hier sind die Loyalitätsobliegenheiten nur abgestuft zu befolgen.261 Dies verkenne jedoch das Anderssein des kirchlichen Dienstes, der sich, eben gerade anders als Tendenzschutz aus übrigen Grundrechtsgewährleistungen, auf sämtliche Lebensbereiche erstreckt.262 Eng verwandt zum vorgenannten Kritikpunkt bemängelt diese Ansicht also, dass die kirchliche Dienstgemeinschaft, die „Homogenität im christlichen Ethos“ nicht künstlich aufgespalten werden könne.263 Außen- und Innentätigkeit, Ordnung und Bekenntnis, Verkündigung und Unterstützung, all diese Tätigkeiten dürften nicht getrennt betrachtet werden.264

      Die Gegenmeinung konterte mit einer ausdrücklichen und gewollten Gleichstellung von Kirchenautonomie und Tendenzschutz. So formulierte Ruland: „Insoweit nehmen die Kirchen gegenüber anderen Tendenzträgern jedoch keine Sonderstellung ein.“265 Beide verwirklichten grundrechtlich geschützte Freiheiten, die wiederum in Kollision auf Grundrechte ihrer Arbeitnehmer träfen.266 Beide seien also auch gleich zu behandeln.

      Wie


Скачать книгу