Compliance-Handbuch Kartellrecht. Jörg-Martin Schultze
Die Berechnung der konkreten Bußgelder im Falle eines Kartellverstoßes richtet sich nach den Bußgeldleitlinien der Kommission.33
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Der Ausgangspunkt für die Bußgeldberechnung ist danach ein Grundbetrag von bis zu 30 % des sog. tatbezogenen Umsatzes, d.h. des Wertes der von dem betroffenen Unternehmen im relevanten räumlichen Markt innerhalb des EWR verkauften Waren und Dienstleistungen, die in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit dem Verstoß stehen. Im Regelfall legt die Kommission als Bemessungsgrenze den tatbezogenen Umsatz im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr zugrunde.34 Der so ermittelte Wert wird mit der Anzahl der Jahre multipliziert, die das Unternehmen an der Zuwiderhandlung beteiligt war.35 Zeiträume bis zu sechs Monate werden mit einem halben, Zeiträume von mehr als sechs Monaten werden als ein ganzes Jahr gerechnet. Zusätzlich und von der Dauer des Verstoßes unabhängig fügt die Kommission einen Betrag zwischen 15 % und 25 % des tatbezogenen Umsatzes als reine „Abschreckungsgebühr“ hinzu.36 In der bisherigen Fallpraxis der Kommission entsprach dieser Betrag der Prozentzahl des Grundbetrages.
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Als erschwerende Faktoren, die den Grundbetrag und damit das Bußgeld erhöhen können, berücksichtigt die Kommission eine Fortsetzung des Verstoßes oder einen erneuten Verstoß, die Verweigerung der Zusammenarbeit mit und ohne Behinderung der Kommissionsuntersuchung sowie die Rolle eines Unternehmens als Anführer oder Anstifter des Verstoßes.
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Mildernde Umstände sind die nachgewiesene Beendigung des Verstoßes nach dem Eingreifen der Kommission außer im Falle geheimer Vereinbarungen oder Verhaltensweisen (insbesondere von Kartellen); Fahrlässigkeit, beigebrachte Beweise zur Geringfügigkeit sowie Nachweise, dass das Unternehmen den Verstoß nicht umgesetzt hat, aktive Zusammenarbeit des Unternehmens mit der Kommission außerhalb der Kronzeugenregelung sowie der Nachweis, dass das wettbewerbswidrige Verhalten durch Behörden oder geltende Vorschriften genehmigt oder ermutigt wurde.37
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Compliance-Programme werden von der Kommission – anders als von einigen nationalen Kartellbehörden38 – nicht als mildernder Umstand bei der Bußgeldbemessung berücksichtigt.39 Sie sind nach EU-Kartellrecht auch nicht geeignet, die Zurechnung des Fehlverhaltens eines einzelnen Unternehmensmitarbeiters gegenüber dem Unternehmen zu verhindern. So heißt es hierzu auf der aktuellen Webseite der Kommission:40
„The Commission welcomes and supports efforts by the business community to ensure compliance with EU competition rules. If an infringement is found, however, the mere existence of a compliance strategy will not be taken into consideration when setting the fine: the best reward for a good compliance strategy is not to infringe the law.“
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Die Bußgelder der Europäischen Kommission fallen in ihrer Höhe oftmals drastisch aus. Trotz dieses Umstandes bestätigte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ihre Rechtmäßigkeit in einem Verwaltungsverfahren vor dem Hintergrund des vergleichbaren italienischen Kartellverfahrensrechts.41 Zuvor hatte bereits das Europäische Gericht die Rechtmäßigkeit der Bußgeldfestsetzung nach den Bußgeldleitlinien der Kommission bestätigt.42 Folgende „Rekord-Bußgelder“ der Kommission stechen heraus:
Die Kommission verhängte 2017/2018 das bisher höchste Bußgeld in einem Kartellverfahren in Höhe von EUR 3,8 Mrd. gegen verschiedene internationale Hersteller von LKW, die 14 Jahre lang Bruttolistenpreise und die Weitergabe von Kosten für die Einhaltung von Umweltnormen an ihre Kunden abgesprochen hatten.43 Die bisher höchste Gesamtbußgeldsumme der Kommission gegen ein einzelnes Unternehmen erging gegen Google/Alphabet, das wegen drei verschiedener Verstöße gegen das kartellrechtliche Missbrauchsverbot in den Jahren 2017, 2018 und 2019 mit Bußgeldern von insgesamt EUR 8,25 Mrd. sanktioniert wurde.44
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Diese Bußgelder dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Kommission bei weitem nicht nur mit Großkonzernen oder mit aus Verbrauchersicht prominenten Industrien befasst. In den letzten Jahren sind von der Kommission wegen Kartellabsprachen auch in eher mittelständisch geprägten Industrien (wie z.B. Fensterbeschläge, Selbstdurchschreibepapier, Reißverschlüsse oder Plastikverpackung für Lebensmittel) hohe Bußgelder verhängt worden.45 Für missbräuchliche Rabatte erging 2006 ein Bußgeld in Höhe von fast 8 % des Gesamtkonzernumsatzes gegen den norwegischen Konzern Tomra, der Leergutautomaten für die Rückgabe von Plastikflaschen herstellt.46
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Auch vertikale Verstöße können mit hohen Bußgeldern belegt werden. Die Kommission ist hier in der Vergangenheit besonders aktiv geworden, wenn Unternehmen durch direkte oder indirekte Exportbeschränkungen den Binnenwettbewerb beeinträchtigt haben.47 Dieser Fokus setzt sich auch in jüngeren Bußgeldentscheidungen fort, in denen zudem Preisbindungen und Internetbeschränkungen eine große Rolle spielen.48
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Bußgelder von Kartellbehörden, einschließlich solcher der Europäischen Kommission, sind sowohl hinsichtlich des ahndenden Teils als auch dann, wenn sie einen wirtschaftlichen Vorteil abschöpfen, bei dessen Bestimmung die Steuerlast berücksichtigt wurde, steuerlich nicht als Betriebsausgaben abzugsfähig.49 Anders ist es nur, wenn ein wirtschaftlicher Vorteil brutto abgeschöpft wird, da dann natürlich die Tatsache, dass diese Vorteile seinerzeit versteuert worden sind, jetzt durch entsprechenden Abzug korrigiert werden muss. Das Bundeskartellamt weist eingangs seiner Bußgeldleitlinien darauf hin, dass diese nur den ahndenden Teil betreffen.50 Da der Kommission diese Unterscheidung fremd ist, kann bei Kommissionsbußgeldern in geeigneten Fällen mit wirtschaftlicher Brutto-Abschöpfung argumentiert und so zumindest ein Teil des Bußgeldes steuerlich abzugsfähig sein. Bußgelder spielen zudem keine Rolle im Zusammenhang mit Schadensersatzforderungen. Dies bedeutet, dass Bußgelder weder auf Schadensersatzansprüche angerechnet werden können noch dass die Bußgeldfreiheit eines Unternehmens – etwa im Rahmen eines Kronzeugenantrags – dieses vom Risiko einer Schadensersatzpflicht befreit.51
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Die Bußgelder der Kommission richten sich allein gegen Unternehmen, nicht gegen die handelnden Unternehmensmitarbeiter. Trotz der immensen Höhe der von der Kommission verhängten Bußgelder ist ein Verstoß gegen das EU-Kartellrecht kein Strafrechtsverstoß.52
1.2 Bundeskartellamt
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Das deutsche Bundeskartellamt verfügt gemäß §§ 81ff. GWB für Kartellverstöße gegenüber Unternehmen über den gleichen maximalen Bußgeldrahmen wie die Kommission, d.h. es kann Bußgelder von bis zu 10 % des weltweiten Konzernumsatzes verhängen (§ 81c Abs. 2 GWB). Mit der 10. GWB-Novelle wurde mit § 81c Abs. 4 GWB der Bußgeldrahmen für Unternehmensvereinigungen deutlich erhöht.53 Auch die Bußgelder gegen die Verletzung von Verfahrensanordnungen des Bundeskartellamtes haben sich deutlich erhöht. Der Bußgeldrahmen halbiert sich im Falle der Fahrlässigkeit, § 17 Abs. 2 OWiG.
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Durch eine Entscheidung des BGH zum Zement-Kartell54 hat sich bei der Interpretation der 10 %-Grenze zwischen deutschem und europäischem Kartellrecht ein wichtiger Unterschied aufgetan: Während die Kommission, unbeanstandet von den Europäischen Gerichten, die 10 %-Grenze als sog. Kappungsgrenze ansieht, ist der daran angelehnten Auffassung des Bundeskartellamtes (und des Gesetzgebers) nun ein Riegel vorgeschoben worden. Nach dem Urteil des BGH ist die 10 %-Grenze als Obergrenze des Bußgeldrahmens anzusehen. Das Bundeskartellamt hatte 2013 auf dieses Urteil mit einer Anpassung seiner Leitlinien zur Bußgeldberechnung reagiert.55
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Nach diesen Bußgeldleitlinien setzt das Bundeskartellamt ein Gewinn- und Schadenspotenzial in pauschaler Höhe von 10 % des