Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union. Klaus-Dieter Borchardt

Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union - Klaus-Dieter Borchardt


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vorgelegt62, die Bestimmungen zu den Voraussetzungen für den Erhalt eines einheitlichen Patentschutzes, zu seiner Rechtswirkung und zu den anzuwendenden Übersetzungsregelungen enthalten. Ergänzt werden diese Vorschläge durch ein Abkommen über die Errichtung eines europäischen Patentgerichts. Sobald das Abkommen von mindestens 13 Mitgliedstaaten ratifiziert worden ist, können diese Regelungen in Kraft treten. Ein dritter Anwendungsfall betrifft die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, die von insgesamt 11 Mitgliedstaaten (Belgien, Deutschland, Estland, Griechenland, Spanien, Frankreich, Italien, Österreich, Portugal, Slowenien und Slowakei) unterstützt wird63.

      [76] Im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) gelten spezifische Anwendungsregeln (Art. 329 Abs. 2 AEUV). Eine verstärkte Zusammenarbeit im Bereich der GASP hat zum Ziel, die Werte der EU zu wahren und ihren[S. 80] Interessen zu dienen, insbesondere unter Achtung der Grundsätze, der Ziele, der allgemeinen Leitlinien und der Kohärenz der GASP sowie der Zuständigkeiten der EU und der Kohärenz zwischen der Unionspolitik insgesamt und dem außenpolitischen Handeln der EU. Die Mitgliedstaaten, die eine verstärkte Zusammenarbeit zu begründen beabsichtigen, richten einen Antrag an den Rat. Dieser Antrag wird dem Hohen Vertreter der EU für die GASP, der insbesondere zur Kohärenz der beabsichtigten verstärkten Zusammenarbeit mit der GASP Stellung nimmt, sowie der Kommission, die insbesondere zur Kohärenz der beabsichtigten verstärkten Zusammenarbeit mit der EU-Politik Stellung nimmt, übermittelt. Der Antrag wird ferner dem Europäischen Parlament zur Unterrichtung übermittelt. Die Ermächtigung zur Einleitung der verstärkten Zusammenarbeit erfolgt durch den Rat, der einstimmig entscheidet. Dabei können alle Mitglieder des Rates an den Beratungen teilnehmen, aber nur die Mitglieder des Rates, die an der verstärkten Zusammenarbeit teilnehmen, sind stimmberechtigt. Einstimmigkeit bezieht sich deshalb auch nur auf die Stimmen der Vertreter dieser Mitgliedstaaten (Art. 330 AEUV).

       I. Die Rolle der Mitgliedstaaten

      [77] Die Mitgliedstaaten sind nach wie vor die Verfassungsgeber. Sie sind die „Herren der Verträge“64. Sie bestimmen bis zur Übertragung auch der verfassungsgebenden Gewalt auf die Union über die Grundlagen und Wesenszüge sowie über Fortschritte und Veränderungen der europäischen Einigung. Dies geschieht in Form des Abschlusses völkerrechtlicher Verträge. Ausdruck dieser verfassungsgebenden Gewalt sind neben den Gründungsverträgen der Europäischen Gemeinschaften (EGKS, EWG, EAG) etwa auch die Einheitliche Europäische Akte und die Verträge über die Europäische Union (Verträge von Maastricht, Amsterdam, Nizza und zuletzt Lissabon).

      [78] Auch die der EU übertragenen Kompetenzen sind nicht genereller Natur, sondern beziehen sich auf mehr oder weniger klar umrissene Regelungsbereiche, die den Organen der EU zur Wahrnehmung überantwortet wurden. Dies geschieht im Wesentlichen im Wege der Gesetzgebung. Der Vollzug dieser Gesetze liegt hingegen weitgehend in den Händen der Verwaltungen und Gerichte der Mitgliedstaaten. Damit hängt zugleich die Lebensfähigkeit der EU entscheidend von den Mitgliedstaaten ab. In Kenntnis dieser Abhängigkeit haben sich die Mitgliedstaaten deshalb selbst gewisse rechtliche Bindungen auferlegt. In erster Linie ist hier der Grundsatz der Unionstreue zu nennen. Danach treffen die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen, um ihre unionsrechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen. Sie unterstützen die Organe der EU bei der Erfüllung ihrer Aufgaben und unterlassen alle Maßnahmen, die die Verwirklichung der Ziele der EU gefährden könnten (Art. 4 Abs. 3 EUV).

      [S. 81]

      [79] Die Aufgabe des Europäischen Rates besteht vor allem darin, die für die weitere Entwicklung erforderlichen Impulse zu geben und die allgemeinen politischen Zielvorstellungen und Prioritäten hierfür festzulegen (Art. 15 Abs. 1 EUV). Dies geschieht durch den Erlass politischer Grundsatzentscheidungen oder die Formulierung von Richtlinien und Aufträgen für die Arbeit des Rates der EU und der Kommission. Derartige Anstöße sind vom Europäischen Rat etwa für die Wirtschafts- und Währungsunion, die Direktwahlen des Europäischen Parlaments sowie für sozialpolitische Aktivitäten und Beitrittsfragen ausgegangen. Der Präsident des Europäischen Rates nimmt die Außenvertretung der EU in Angelegenheiten der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik wahr.

      [80] Den anderen EU-Organen kommt vor allem die Aufgabe zu, den durch die Mitgliedstaaten vorgegebenen Integrationsrahmen durch unionseigene Rechtsetzung auszufüllen. Die Hauptakteure im Rechtsetzungsverfahren sind das Europäische Parlament, der Rat der EU, die Europäische Kommission sowie zwei beratende Ausschüsse in Gestalt des Wirtschafts- und Sozialausschusses und des Ausschusses der Regionen65. Nur in Ausnahmefällen, wie etwa im Bereich des Wettbewerbsrechts, treten die EU-Organe, allen voran die Europäische Kommission, auch als Vollzugsorgane auf. Die Wahrung des Rechts durch diese Organe bei der Erfüllung ihrer Aufgaben sichert der Gerichtshof der EU. Über die Rechtmäßigkeit und Ordnungsgemäßheit der Einnahmen und Ausgaben der EU sowie über die Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung wacht der Rechnungshof. Die einheitliche Währung, der Euro, liegt in den Händen der Europäischen Zentralbank.

      Weiterführende Literatur: Behrens, Integrationstheorie, RabelsZ 1981, S. 8; von Bogdandy (Hrsg.), Die Europäische Option, 1993; Everling, Reflections on the Structure of the European Union, CMLRev. 1992, S. 1053 ff.; ders., Vom Zweckverband zur Europäischen Union – Überlegungen zur Struktur der Europäischen Gemeinschaft, FS für Ipsen, 1988, S. 596; Fischer/Kommer, Verstärkte Zusammenarbeit der EU. Ein Modell für Kooperationsfortschritte in der Wirtschafts- und Sozialpolitik?, Friedrich Ebert Stiftung, 2011; von der Groeben, Ziele und Methoden der Europäischen Integration, 1972; Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, 5. Aufl. 1979; Merten (Hrsg.), Föderalismus und Europäische Gemeinschaften, Berlin 1990; Oppermann, Die Europäische Gemeinschaft als parastaatliche Superstruktur – Skizze einer Realitätsbeschreibung, FS für Ipsen, 1988, S. 685–699; Zuleeg, Die Europäische Gemeinschaft als Integrationsverband, FS für Carstens, 1984, S. 289.

      [S. 82]

      [81] Der Begriff „Rechtsquelle“ hat eine zweifache Bedeutung. In seiner ursprünglichen Wortbedeutung umschreibt er den Entstehungsgrund des Rechts, d.h. die Motivation zur Schaffung des Rechts. In diesem Sinne wäre Rechtsquelle des Unionsrechts die internationale Solidarität und der Wille, ein einiges Europa im Wege wirtschaftlicher Verflechtung zu schaffen. Im juristischen Sprachgebrauch wird unter dem Begriff „Rechtsquelle“ dagegen die Herkunft und Verankerung des Rechts verstanden. In diesem Sinne bilden die Rechtsquellen in ihrer Gesamtheit die Unionsrechtsordnung. Sie können unterschieden werden nach geschriebenen Rechtsquellen, ungeschriebenen Rechtsquellen und Absprachen zwischen den Mitgliedstaaten.

       I. Das primäre Unionsrecht

      [82] Als primäres Unionsrecht wird das unmittelbar von den Mitgliedstaaten geschaffene Recht bezeichnet. Es enthält die grundlegenden Rechtssätze über die Zielsetzungen, die Organisation und die Funktionsweise der EU sowie Teile des Wirtschaftsrechts. Das primäre Unionsrecht gibt damit die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen der EU vor, die von den dazu eigens mit legislativen und administrativen Befugnissen ausgestatteten Unionsorganen im Unionsinteresse auszufüllen sind.

      Zum primären Unionsrecht gehören die Unionsverträge (dazu unter 1.), die an diesen Verträgen vorgenommenen Änderungen und Ergänzungen (dazu unter 2.)


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