Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union. Klaus-Dieter Borchardt

Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union - Klaus-Dieter Borchardt


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      [102] Zunächst existieren echte völkerrechtliche Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten, mit denen insbesondere die territoriale Beschränktheit nationaler Regelungen überwunden und einheitliches Recht auf Ebene der Union geschaffen werden soll. Dies ist vor allem von Bedeutung im Bereich des internationalen Privatrechts. Als Beispiele seien hier erwähnt:

      • Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1968, in Kraft getreten am 1.2.197384; dieses Übereinkommen ist im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks durch die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.11.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) ersetzt worden85.

      • Übereinkommen über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften und juristischen Personen vom 29.2.196886.

      • Übereinkommen über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen vom 23.6.199087.

      [103] Die Mitgliedstaaten der EU können daneben völkerrechtliche Abkommen schließen, deren Regelungsgegenstand zwar in einem engen faktischen Zusammenhang mit der Tätigkeit der EU steht, für die aber keine Kompetenz an die EU-Organe übertragen worden ist. Zu nennen sind vor allem

      • das Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19.6.198088,

      [S. 90]

      • die Vereinbarung über Gemeinschaftspatente vom 15.12.198989; diese Vereinbarung ist im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit in die Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 über das EU-Patent überführt und damit dem EU-Recht unmittelbar zugeordnet worden90,

      • Das Abkommen über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der WWU (sog. Fiskalpakt 2012), das von 25 der damals 27 Mitgliedstaaten (Vereinigtes Königreich und die tschechische Republik blieben dem Pakt fern, Kroatien war noch kein Mitglied der EU) am 2. März 2012 unterzeichnet wurde.91

      Diese Abkommen unterliegen uneingeschränkt den völkerrechtlichen Regeln.

      [104] Auf diese Handlungsform wird zurückgegriffen, wenn Zweifel über die Reichweite der Zuständigkeit der EU bestehen, die zu treffende Regelung jedoch zur Verwirklichung der Vertragsziele als notwendig erachtet wird. Dabei handelt es sich um Übereinkommen der Mitgliedstaaten in Form eines Beschlusses der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, der gleichzeitig mit einem Unionsrechtsakt des als EU-Organ handelnden Rates verbunden wird92. Ihre formelle Zugehörigkeit zum Unionsrecht ist jedoch nur insoweit sichergestellt, als sich diese Rechtsakte in den Rahmen der Unionsverträge einfügen93. Dabei kommt es entscheidend darauf an, ob diese Rechtsakte eine von der Zuständigkeit der EU erfasste Politik betreffen und eine allgemeine Überzeugung über die Verbindlichkeit dieser Rechtsakte besteht94.

      [S. 91]

       (1) Primäres Recht:

      – Unionsverträge (EUV, AEUV, EAGV), Charta der Grundrechte

      – Allgemeine (Verfassungs-)Rechtsgrundsätze

       (2) Völkerrechtsabkommen der EU

       (3) Sekundäres Recht:

      • Rechtsakte mit Gesetzescharakter

      – Verordnungen

      – Richtlinien

      – Beschlüsse

      • Rechtsakte ohne Gesetzescharakter

      – Einfache Rechtsakte

      – Delegierte Rechtsakte

      – Durchführungsrechtsakte

      • Unverbindliche Rechtsakte

      – Empfehlungen und Stellungnahmen

      • Sonstige Handlungen, die keine Rechtsakte sind

      – Interinstitutionelle Vereinbarungen

      – Entschließungen, Erklärungen, Aktionsprogramme

       (4) Allgemeine Rechtsgrundsätze

       (5) Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten:

      – Völkerrechtliche Übereinkommen

      – Beschlüsse der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten

      Weiterführende Literatur: Bernhardt, Quellen des Gemeinschaftsrechts: Die „Verfassung der Gemeinschaft“, in: Kommission (Hrsg.), Dreißig Jahre Gemeinschaftsrecht, 1983, S. 77–90; Bleckmann, Die Rechtsquellen des Europäischen Gemeinschaftsrechts, NVwZ 1993, 824; Gilsdorf, Die Rechtswirkungen der im Rahmen von Gemeinschaftsabkommen erlassenen Organbeschlüsse, EuZW 1991, S. 459; Hirsch, Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Assoziierungsabkommen, BayVBl. 1997, S. 449; Knauff, Ungeschriebenes Primärrecht, in: FS für Scheuing, 2011, S. 127; Kort, Zur europarechtlichen Zulässigkeit von Abkommen der Mitgliedstaaten untereinander, JZ 1997, S. 640; Ott, GATT und WTO im Gemeinschaftsrecht, 1996.

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