Fälle und Lösungen zum Öffentlichen Recht. Joachim Wolf
Bild und als Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Bei der Erörterung des Schrankenvorbehalts im Falle von Eingriffen kommt es auf eine Auseinandersetzung der höchsten Eingriffshürde an, nämlich dem Vorliegen von Gründen, die selbst einen Eingriff in die Intimsphäre rechtfertigen können. Im Hinblick auf Fluggäste, die Einblicke Fremder in ihren unbekleideten Körper aus religiösen Gründen strikt ablehnen, ist eine Verletzung der Glaubens- und Religionsfreiheit nach Art. 4 GG zu erörtern.
|21|Staatsorganisationsrechtlich ist die vorgesehene Übertragung von Kontrolleingriffen gegenüber Fluggästen auf private Unternehmen als Beliehene im Hinblick auf die in Art. 33 Abs. 4 GG enthaltene Verfassungsbestimmung problematisch und überprüfungsbedürftig. Nach Art. 33 Abs. 4 GG ist die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse als ständige Aufgabe in der Regel staatlichen Beamten vorbehalten. Bei der ausnahmslosen Erhebung personenbezogener Daten von Flugpassagieren und ihrer etwaigen Weiterleitung an staatliche Sicherheitsbehörden handelt es sich um hoheitsrechtliche Befugnisse.
Bei der zweiten verfassungsprozessualen Frage des Falles ist die Problematik einer präventiven Beschwerdebefugnis gegen Gesetzesvorhaben zu erörtern.
4. Gutachterlicher Prüfungsauftrag
Aus den Fragestellungen am Ende der Aufgabenstellung ergeben sich gegenüber den ermittelten Rechtsfragen des Falles keine Abweichungen.
Gutachten
Vorbemerkung: Die Einführung einer neuen Sicherheitstechnologie an Flughäfen in Form von Körperscannern ist aufgrund ihres routinemäßigen und massenhaften Einsatzes bei allen Fluggästen und aufgrund der erheblichen Eingriffe in Persönlichkeitsrechte durch Einblicke in den unbekleideten Körper eine wesentliche Frage, die nur der Gesetzgeber regeln kann. Durch einen bloßen Rückgriff auf die bestehenden polizeirechtlichen Generalklauseln zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung lässt sich die geplante Einführung der neuen Durchleuchtungstechnologie nicht rechtfertigen. Die polizeirechtlichen Generalklauseln kommen also als Ermächtigungsgrundlagen für die Einführung der Scannertechnologien von vornherein nicht in Betracht. Das ergibt sich auch aus der Fragestellung des Falles, die klar auf die Verfassungsmäßigkeit der geplanten Änderung des § 5 Luftsicherheitsgesetzes abstellt.
Erste Fallfrage: Ist der vorgelegte Gesetzesentwurf zur Änderung des § 5 Abs. 1 S. 1 Luftsicherheitsgesetz mit dem Grundgesetz vereinbar?
I. Eingriff der geplanten Änderung des § 5 Abs. 1 S. 1 Luftsicherheitsgesetz in die grundrechtliche Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG
Nach dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 GG und nach dem System des Grundgesetzes ist die Menschenwürde „unantastbar“. Das wird in Lehre und Rechtsprechung über die vom operativen Grundrechtsteil abgehobene Wortwahl des Art. 1 Abs. 1 GG hinaus zusätzlich aus dem Fehlen jeglichen Schrankenvorbehalts zur Menschenwürdegewährleistung hergeleitet. Jeder staatliche Eingriff in die Menschenwürde stellt somit nach |22|klar überwiegender, wenn auch nicht mehr unwidersprochener Auffassung in Lehre und Rechtsprechung zugleich ihre Verletzung dar. Zu prüfen ist also ein staatlicher Eingriff in Art. 1 Abs. 1 GG durch die geplante Gesetzesänderung (Zum Aufbau: auf die Problematik einer Abwägbarkeit der Menschenwürde mit überragenden Gemeinschaftsgütern, wie etwa der öffentlichen Sicherheit, ist im Anschluss an die Schutzbereichserörterung einzugehen. Hier kann dann auch die Streitfrage erörtert werden, ob der verfassungsrechtliche Menschenwürdegehalt überhaupt abwägungsoffen ist oder nicht).
Der grundrechtliche Gehalt der Menschenwürde liegt im Selbstbestimmungsrecht jedes Einzelnen über den Status und die Reichweite der eigenen Persönlichkeitssphäre und des hiermit verbundenen Achtungsanspruchs gegenüber Staat und Gesellschaft (Art. 1 Abs. 1 S. 2: „zu achten und zu schützen“).[10] Auch[11] hier ist somit der klassische negatorische Ausschlussgehalt der Menschenwürde als Grundrecht zunächst einmal maßgeblich, der aber – im Unterschied zur bloßen allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG – alle Bereiche der menschlichen Persönlichkeit umfasst, nicht nur die verhaltensbezogenen, geäußerten Formen, sondern auch „innere Werte“, wie u.a. die Intimsphäre und das Schamgefühl. Hinzu kommt, dass die Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG von der staatlichen Gewalt „zu achten und zu schützen ist“. Diese Schutzpflicht geht über einen rein klassischen negatorischen Grundrechtsgehalt hinaus.
1. Sog. Objektformel
Dieser grundrechtliche Gewährleistungsgehalt der Menschenwürde wird nach unverändert überwiegender Auffassung in Lehre und Rechtsprechungspraxis in die sog. Objektformel gekleidet. Danach darf der Mensch nicht zum bloßen Objekt staatlichen Handelns degradiert werden. Dies sei der Fall, wenn seine Subjektqualität in Frage gestellt werde, das heißt „die Behandlung durch die öffentliche Gewalt die Achtung des Wertes vermissen lässt, der jedem Menschen um seiner selbst willen zukommt“ (BVerfGE 109, 279, 312f.; BVerfG, Urteil vom 15.02.2006, 1 BvR 357/05, NJW 2006, 751, 757f.).
Der Körperscanner erzeugt Bilder, auf denen u.a. intime Details des Körpers des jeweiligen Fluggastes sichtbar werden. Dadurch wird das individuelle Schamgefühl tangiert. Da diese Form der Sicherheitskontrolle per Gesetz allgemeinverbindlich für alle ausgestaltet werden soll, bleibt dem Einzelnen keinerlei Vermeidungs- und Rückzugsmöglichkeit mehr. Die Prozedur muss hingenommen werden, auch bei entschiedener Ablehnung durch den einzelnen Fluggast. Andernfalls steht das Flugzeug als Transportmittel nicht mehr zur Verfügung. Ob und inwieweit dieser Eingriff in den Intimbereich und das Schamgefühl der Fluggäste technisch durch Verschleierungen des Einblicks des Sicherheitspersonals in körperliche Einzelheiten der Fluggäste verhinderbar ist und hieraus ggf. eine modifizierte Beurteilung der Frage des Eingriffs in die Menschenwürde folgt, ist aufgrund der Angaben im Sachverhalt nicht zu er|23|örtern. Im Sachverhalt heißt es, dass solche Verschleierungstechniken noch nicht zur Verfügung stehen.
Hinweis zur gutachterlichen Prüfung der Objektformel
Eine Auseinandersetzung mit der sog. Objektformel als in Lehre und Rechtsprechung übereinstimmend hervorgehobenes Substrat des grundrechtlichen Gewährleistungsgehalts der Menschenwürde ist für die hier verlangte Prüfung eines staatlichen Eingriffs in den Schutzbereich der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG unerlässlich. Dabei muss der in der Objektformel verankerte individualrechtliche Schutz- und Gewährleistungsgehalt der Menschenwürde fallbezogen zum Tragen kommen. Die bloße These, durch die Einführung der Scannertechnologie würden alle Flugpassagiere zum „Objekt staatlicher Behandlung“ degradiert, wäre gutachterlich unzureichend. In ihr fehlt jede Begründung für den individualrechtlichen Schutz- und Gewährleistungsgehalt des Menschenwürdegrundrechts. Eine solche Begründung kann nur aus der Werthaftigkeit der Menschenwürde gewonnen werden, die in jedem Menschen verankert ist, weil er Mensch ist. Die konkrete Frage lautet also, ob diese Werthaftigkeit jedes Menschen mit der flächendeckenden Einführung der Scannertechnologie missachtet würde. Das lässt sich nicht mit stereotypen Pauschalierungen beantworten, zu denen die Objektformel leider verleitet.
Die Objektformel liefert nicht mehr als eine Grundorientierung für den gutachterlichen Umgang mit der Menschenwürde, wobei viele konkrete Einzelfragen und Abgrenzungen offenbleiben. So ist es beispielsweise keineswegs klar, ob eine Degradierung des Einzelnen zum Objekt staatlicher Behandlung schon in zielmäßig klar begrenzten Einzelmaßnahmen liegen kann, in denen ersichtlich eine – für sich genommen unstreitige und allgemein akzeptierte – staatliche Sicherheitsverantwortung zum Ausdruck kommt, ohne jede staatliche Absicht der Degradierung des Einzelnen zum Objekt. Der zeitlich kurze Kontrollvorgang – 30 bis 40 Sekunden – und die unterschiedslose Anwendung auf alle Fluggäste, lassen klar erkennen, dass das Ziel der neuen Scannertechnologie nur darauf ausgerichtet ist, hochbrisante Einzelfälle im Interesse der Flugsicherheit für alle herauszufiltern. Hier kann man durchaus Zweifel an einer Objektbehandlung haben. Umgekehrt spricht der Ausschluss jeder Rückzugs- und Vermeidungsmöglichkeit für den Einzelnen für eine Objektbehandlung. Die Objektformel ist also in ihrer konkreten Anwendung auf den Fall erörterungsbedürftig.
2. Zwischenergebnis